Gescheiterte Bewerbung:Projektemacher in München

Titelseite der allerersten SZ vom 1. Oktober 1859

Titelseite der allerersten SZ vom 1. Oktober 1859

(Foto: SZ)

Theodor Fontane und die erste Süddeutsche Zeitung.

Von Iwan-Michelangelo D'Aprile

Zu den zahllosen Bewerbungen, die Theodor Fontane versandt hat - verbrieft sind unter anderem Bewerbungen als Eisenbahnschaffner, Gartenbauvereinssekretär, Hilfsbibliothekar, Hauslehrer, Zimmervermieter oder Museumsgründer - zählt auch eine als Berlin-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung. Wenige Tage vor seinem 40. Geburtstag wandte sich Fontane zum Abschluss des ereignisreichen Jahres 1859 an seinen Münchener Freund und Schriftstellerkollegen Paul Heyse mit der Bitte um Vermittlung beim Redakteur der Zeitung. Was auf den ersten Blick wie eine bloße weitere Kuriosität auf der Liste gescheiterter Pläne aussehen könnte, weist ins Zentrum des Autorenprofils Fontanes. Mehr als zwanzig Jahre lang war er zumeist hauptberuflich als "Korrespondenzartikelfabricant", wie er es selbst nannte, tätig.

Zum Zeitpunkt der Bewerbung konnte Fontane bereits ein beeindruckendes Portfolio aufweisen: als Berlin-Korrespondent der demokratischen Dresdener Zeitung hatte er die Polizeimaßnahmen der preußischen Konterrevolution von 1849/50 geschildert. Für Brockhaus' liberale Leipziger Deutsche Allgemeine Zeitung analysierte er Anfang der 1850er-Jahre die hegemonialen Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Bund unter der Ägide Österreichs und dem preußisch dominierten Zollverein. Und als London-Korrespondent hatte er die deutschen Leser und Leserinnen mehr als drei Jahre lang nicht nur über das Leben in der englischen Hauptstadt, sondern ausführlich auch über die Folgen des Krimkriegs (1853 - 56) und den Großen Indischen Aufstand (1857) informiert.

Beides - Fontanes Bewerbung wie die Gründung der Süddeutschen Zeitung, die mit der heutigen nur den Namen gemeinsam hat -, wird nur verständlich vor dem Hintergrund der epochalen Ereignisse des Jahres 1859. Mit dem erfolgreichen italienischen Unabhängigkeitskrieg gegen die österreichische Hegemonialmacht sowie dem Regentschaftswechsel in Preußen war Bewegung in die Wiener Ordnung gekommen. Fontane musste sich wieder einmal beruflich neu orientieren. Mit dem preußischen Regierungswechsel endete auch seine Anstellung als Londoner Referent der Manteuffel'schen Pressestelle.

Gespür für Zeittendenzen zog den "Korrespondenzartikelfabricanten" nach Süden

Sein Gespür für Zeittendenzen zog ihn nach Süden. Nach dem vergeblichen Versuch, für die Restvertragslaufzeit als Pressereferent nach Rom entsandt zu werden, reiste er Anfang 1859 nach München. Gelockt hatte ihn die vage Aussicht auf eine Anstellung als literarischer Berater König Maximilians II., der die bayerische Hauptstadt zu einem deutschen Kulturzentrum ausbaute. Zahlreiche Naturwissenschaftler, Historiker und Literaten wie Justus Liebig, Paul Heyse, Heinrich von Sybel oder Wilhelm Heinrich Riehl hatten hier bereits ihr Auskommen gefunden.

Aus diesen Kreisen ging auch die Süddeutsche Zeitung hervor, deren erste Nummer am 1. Oktober 1859 erschien. Als Redakteur fungierte Karl Brater, der nach der 48er-Revolution als Bürgermeister Nördlingens zusammen mit dem Verleger Carl Beck konstitutionelle Schriften herausgegeben hatte. Später gehörte Brater zu den Mitbegründern der Fortschrittspartei. Im Hintergrund zog der Historiker Heinrich von Sybel die Fäden. Sybel, einer der entscheidenden Akteure bei der Etablierung der Geschichte als Leitwissenschaft eines kleindeutsch-liberalen Nationalgedankens, hatte in dieser Hinsicht im selben Jahr bereits die Historische Zeitschrift gegründet, die bis heute maßgeblich die deutsche Geschichtswissenschaft prägt. Die Finanzierung sicherte Sybel über die preußische Centralpressestelle, der sein Studienfreund und Historikerkollege Max Duncker vorstand, der die preußische Pressepolitik im liberalen Sinn zu gestalten versuchte. Programmatisch sollte die Zeitung ein Gegengewicht zur in der italienischen und deutschen Frage ganz auf österreichischer Linie ausgerichteten Augsburger Allgemeinen Zeitung bilden.

Wie die "Neue Ära", die sich schnell als ein kurzes liberales Strohfeuer der preußischen Geschichte entpuppte, blieb auch die verheißungsvolle pressegeschichtliche Konstellation bloße Episode. Fontanes Münchener Pläne zerschlugen sich schnell. Maximilian hatte keinen Bedarf an einem weiteren Berater. Eine kurze Anstellung als Vertrauenskorrespondent in Dunckers Pressestelle endete nach wenigen Monaten in einem Eklat und einem scharfen Verweis des preußischen Königs wegen vermeintlichem Geheimnisverrats. Paul Heyse teilte mit, dass der Berliner Korrespondentenposten bei der SZ schon vergeben sei. Duncker selbst gab im folgenden Jahr angesichts der rasch die alte Machtstellung behauptenden militärisch-konservativen Kreise das Amt des Pressestellenleiters auf. Sybel verließ 1861 unter dem Druck der ultramontanen Hofpartei München. Ohne gesicherte Finanzierung und Infrastruktur wurde die SZ nach Frankfurt am Main verlegt und dort bald mit der preußischen Regierungszeitung Die Zeit fusioniert, bevor auch diese 1864 eingestellt wurde. Zwei Jahre später rückten preußische Truppen im deutschen "Einigungskrieg" in Bayern ein. Fontane trat nach der Absage der SZ in die Redaktion der ultrakonservativen preußischen Kreuzzeitung ein, wo er für die kommenden zehn Jahre als "unechter Korrespondent" mit Sitz im Berliner Regierungsviertel vermeintlich direkt aus London berichtete.

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