Gerhard Richter wird 85:Lasset Farbe herabregnen

Gerhard Richter wird 85

Gerhard Richter: Der weit ausholende Schwung und die großen Gesten, die seine älteren Abstraktionen bestimmen, sind auf den neuen Bildern aufgespalten in kleinste Farbbewegungen.

(Foto: dpa)

Er gilt als der bedeutendste lebende Maler der Welt. Nun feiert Gerhard Richter seinen Geburtstag mit etlichen neuen Bildern, für die das Museum Ludwig in Köln ihm viel Platz freigeräumt hat.

Von Catrin Lorch

Es riecht schon im Treppenhaus nach junger Malerei. Die Gemälde, die Gerhard Richter im Kölner Museum Ludwig gehängt hat, sind alle, wie man sagt, atelierfrisch.

Fast die gesamte Produktion der vergangenen Monate hat der Künstler, der als bedeutendster lebender Maler gilt, vom Atelier in Köln-Hahnwald in die Innenstadt geschickt. Es ist so etwas wie ein Geschenk von Gerhard Richter, der an diesem Donnerstag seinen 85. Geburtstag feiert, für die Stadt, in der er seit Jahrzehnten wohnt.

Geplant war ursprünglich eine Übersichtsschau aus eigenen Beständen, immerhin gehören dem Museum so bedeutende Ikonen wie das epochale "EMA (Akt auf einer Treppe)" aus dem Jahr 1966 oder die "48 Portraits", die Gerhard Richter für den deutschen Pavillon auf der 36. Biennale von Venedig malte.

Die spontane Geste des Künstlers zum "halbrunden" Festtag überraschte Direktor Yilmaz Dziewior, der nun in seinem Katalogvorwort dem Ehrenbürger der Stadt auch sein Haus als "Richtermuseum" zu Füßen legt.

Was das ist, ein "Richtermuseum"? Zehrt nicht Dresden, der Geburtsort des Künstlers, von dem Ruhm, der ideale Ort zu sein, um das Werk zu erleben? Bedeutende Schenkungen von Gerhard Richter, vor allem aber die Übergabe des Archivs hat man in Dresden klug annonciert: beispielsweise mit Fundsachen wie einem Comic, den Gerhard Richter Anfang der Sechzigerjahre zeichnete und in dem "schwarze Männer" die Hauptrolle spielen.

Früher hat Richter Bildflächen geteilt, als könne er den Himmel aufreißen

Doch jetzt muss das Kölner Museum Ludwig nicht nur auf die langjährige Zusammenarbeit, Ausstellungen und bedeutende frühe Ankäufe verweisen. "Gerhard Richter. Neue Bilder" ist eine gewaltige Ausstellung, gerade weil sie sich nicht die Hallen und Heldensäle im Erdgeschoss reserviert hat.

Sie entfaltet sich in aller Gravität im ersten Stock, wo der Künstler die mehr als zwei Dutzend jüngsten Abstraktionen auf Leinwand und Holz eigenhändig entlang des langen Mittelgangs arrangiert hat, der als Hauptstraße durch die Sammlung gilt, was der Präsentation eine große Unbekümmertheit verleiht.

Die neuen Abstraktionen verbinden jetzt die Sammlung von Nachkriegskunst des Museums mit den Kabinetten, die freigeräumt wurden, um ältere Werke von Gerhard Richter aus der Sammlung zu zeigen.

Für die nächsten Wochen die lebendigste Adresse, um Richters Werk zu begegnen

Der gewaltige Block der "48 Portraits" darf sich dort als lange Reihe einmal um alle vier Wände eines Saals entfalten und dann noch in einen benachbarten Raum vorstoßen.

Kein Kurator hätte es sich je erlaubt, mit einem so prominenten Werk so umzugehen, Gerhard Richter persönlich darf das. Und so ist das Museum Ludwig für die nächsten Wochen die lebendigste Adresse, um Richters Werk zu begegnen, fast so, als hätten sich Museum und Atelier kurzgeschlossen.

Die "Neuen Bilder" wirken auch ohne schützende Kabinette blendend selbstbewusst. Der weit ausholende Schwung und die großen Gesten, die ältere Abstraktionen von Gerhard Richter bestimmen, sind auf den neuen Bildern aufgespalten in kleinste Farbbewegungen.

Zum Geburtstag wünscht er sich, dass bei der Vernissage "einfach jemand das Licht anknipst"

Richter hat früher die Bildflächen geteilt, als könne er den Himmel aufreißen lassen - jetzt darf Farbe herabregnen. Dass Gerhard Richter in den vergangenen zehn Jahren vor allem digitale Streifenbilder, die "Strips" komponiert hat, scheint hier Spuren zu hinterlassen. Deren feine, unendliche Farbkombinationen und Kontraste schimmern in den leuchtenden freien Abstraktionen noch einmal auf.

Richter selbst soll während der Arbeit im Museum vergnügt erzählt haben, unter den Farbgewittern gäbe es noch einiges, das jetzt wie weggewaschen ist. Landschaften beispielsweise, tiefe Horizonte, Lanzarote, ausgeführt in der für ihn auch charakteristischen, leicht verwaschenen, fotorealistischen Malweise.

Seine Galeristin, eigens aus New York angereist, sei verzweifelt gewesen, als er die allesamt wieder zugemalt habe. Das Publikum wird nach solchen Ansagen vor allem die tiefer liegenden, in Lila und Grau verrakelten Zonen erforschen, unmöglich, jetzt solche Panoramen mit Blicken zu durchwandern, ohne an das zu denken, was dort womöglich verborgen ist.

Eine Sehnsucht, die dem Publikum vertraut sein könnte. Denn schon die Serie zu Birkenau (SZ vom 13. März 2015), für die Gerhard Richter die einzigen bekannten Fotografien als Vorlage verwendet hat, die während der NS-Zeit in einem Vernichtungslager aufgenommen wurden, waren schlussendlich von ihm wieder mit Abstraktionen zugemalt worden. Sie waren da - blieben aber unsichtbar.

Gerhard Richter spielt so auch mit den ungeheuren Erwartungen seines Publikums: Die mehr als eine Million Besucher, die seine jüngste Retrospektive besuchten, schätzen sicher die Abstraktionen, die klugen Arbeiten aus Glas und Spiegeln.

Abstraktion und Realismus liegen in Richters Werk gar nicht so weit auseinander

Vor allem in Deutschland hat das Publikum zu den Figuren auf Gemälden wie "Onkel Rudi" (1965) oder "Tante Marianne" (1965) ein Verhältnis aufgebaut, sie adoptiert, wie sonst nur Romanfiguren oder die großen Charaktere, die das deutsche Theater in der Klassik entworfen hat.

Die nach Familienfotos gemalten Bilder, vor allem aber auch die als "Stammheim-Zyklus" apostrophierte Serie "18. Oktober 1977" über den Tod der Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe wirkten auf die deutsche Öffentlichkeit fast kathartisch.

Doch weil Richter mit solchen Motiven haushaltet, weil er inzwischen den womöglich tröstlichen Fotorealismus mit Abstraktion zumalt, wird fühlbar, dass Abstraktion und Realismus auch in seinem Werk gar nicht so weit auseinanderliegen.

Motive, so sagen es die neuen Gemälde, können mit dem Pinsel erschaffen und auch wieder vernichtet werden. Die beiden so lange als fast gegensätzlich verstandenen Stränge im Werk Richters liegen plötzlich gar mehr weit auseinander, nur einen winzigen Bruchteil von Millimetern Farbschicht.

Deutlich, aber nicht endgültig

Gerhard Richter hat das womöglich schon erfahren, noch bevor er Künstler wurde. Um seine Chancen auf einen Studienplatz an der Akademie zu erhöhen, hatte er sich zunächst in einem Malereibetrieb anstellen lassen, in dem politische Transparente im Auftrag der DDR-Regierung angefertigt wurden. Seine Aufgabe bestand während der ersten Monate darin, die alten Tafeln zu reinigen, bevor sie erneut bemalt werden konnten.

Dass er derzeit offensichtlich lieber die abstrakten Farbflecken als die fotorealistischen Motive als letzte Schicht stehen lässt, erinnert an die höfliche Ansage des großen Verweigerers Bartleby in Herman Melvilles Erzählung; an dessen "Ich möchte lieber nicht". Deutlich und strikt persönlich motiviert klingt das, aber nicht endgültig.

Die Eröffnung seiner Schau im "Richtermuseum" wird der Künstler übrigens auch "lieber nicht" feiern, sondern den Geburtstag im Urlaub verbringen. Er hat sich gewünscht, dass die Vernissage darin besteht, dass "einfach jemand das Licht anknipst".

Gerhard Richter. Neue Bilder im Museum Ludwig, Köln, bis zum 1. Mai. Der Katalog kostet 20 Euro.

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