Gerhard Richter in Wien:Des Malers "Kuckuckseier"

Eine Ausstellung in Wien gilt Gerhard Richters Landschaftsmalerei. Es ist die größte Ausstellung zum Werk des deutschen Malers in Österreich bisher - und schließt überraschend gut an lokale Urväter an.

Von Almuth Spiegler

Wenn die Gegenwart die Kunstgeschichte einholt, wird der Künstler als Visionär verklärt. Im Fall der Ausstellung von Gerhard Richters Landschaften im Bank-Austria-Kunstforum in Wien müsste man neben dem Maler allerdings auch die Macher würdigen, die trotz Lockdowns und wenig rosigen wirtschaftlichen Aussichten stur an diesem Vorhaben festgehalten haben. Und die Ausstellung nach fünf Jahren Vorbereitungszeit nahezu unverändert - bis auf zwei nicht angereiste Leihgaben aus dem New Yorker Museum of Modern Art - eröffnen konnten.

Diese wunderschönen, menschenleeren Landschaften, in denen manchmal nur schnöde Details wie eine Autobahnbrücke, ein Verkehrsschild an eine wie ausradiert wirkende Zivilisation erinnern. Dieses listige Versprechen einer von der deutschen Romantik abgeleiteten Aussicht auf etwas Größeres, das Richter mit seinen tiefen Horizonten, leeren Himmeln und Caspar-David-Friedrich-Stimmungen antriggert. Nur um sein Publikum damit zu konfrontieren, dass dieser alte, auf einen Gott bauende Trost heute in die Leere führt, die sich hier vor unseren Augen erstreckt.

Gerade das "Verlogene" seiner Landschaften, wie Richter es selbst nennt, ist der Schlüssel

Welch ein Geschenk ist diese malerische Spielwiese der Reflexionen über tradierte Vorstellungen von Endlichkeit und Erhabenheit für Wien, wo Richter nie sonderlich präsent war. Gerade diese Landschaften zwischen Abstraktion und Realismus aber bilden einen äußerst spannenden Link zur österreichischen Malerei. Beispielsweise zu Urvater Max Weiler, an dessen Kohlezeichnungen Richters "Gebirge" (1968) anzuschließen scheint. Oder zu ehemals Jungen Wilden wie Hubert Scheibl und Herbert Brandl, dessen Bergspitzen aus derselben ambivalenten Faszination für die Naturbetrachtung ragen.

Gerhard Richter in Wien: Lieber auf die Abstraktion fokussieren oder auf die Horizontlinie? Gerhard Richters "Piz Surlej, Piz Corvatsch" (1992).

Lieber auf die Abstraktion fokussieren oder auf die Horizontlinie? Gerhard Richters "Piz Surlej, Piz Corvatsch" (1992).

(Foto: Christof Schelbert, Olten / Gerhard Richter 2020)

Ein besseres Thema hätte diese mit ihren 140 Exponaten, darunter etwa 80 Gemälden, bislang größte Schau Gerhard Richters in Österreich also nicht haben können. Noch dazu ein Thema, das in der Richter-Rezeption vergleichsweise ungeliebt ist. Sein Dauerflirt mit der Schönheit und der deutschen Romantik war ihm vor allem in Deutschland mehr angekreidet worden, als sein Ansinnen, mit diesen Landschaften "Kuckuckseier" gelegt zu haben, beachtet wurde. Doch gerade das "Verlogene" seiner Landschaften, wie er es bezeichnete, ist der Schlüssel zu ihnen, seit Jahrzehnten, seit den frühen Sechzigerjahren, waren sie seine ständigen Begleiter. Nicht zahlenmäßig, aber so konstant wie kein anderes Thema durchziehen sie sein Werk.

Die Kuratoren Lisa Ortner-Kreil vom Kunstforum und Hubertus Butin, der als ehemaliger Richter-Assistent direkten Zugang zum Künstler garantierte, unterteilen die Ausstellung in fünf Kapitel, die mehr erzählen, als es eine chronologische Hängung hätte tun können. Denn Richter kehrt in seinen Landschaften immer wieder zurück zu unserem Verlangen, uns auch in völliger Abstraktion an die Idee einer Landschaft zu klammern. Im erstmals überhaupt auf Reisen gegangenen, gut dreieinhalb Meter langen Gemälde "St. Gallen" aus dem Jahr 1989 will das Auge in all der gerakelten Farbe unbedingt noch eine Horizontlinie erkennen. Ähnlich die Überlegung bei einer ganzen Wand voller kleinformatiger Landschaftsfotos - von denen viele noch niemals vorher ausgestellt waren -, die Gerhard Richter in unterschiedlichster Manier mit Farbe bearbeitet, betupft, beklatscht hat.

Gerhard Richter in Wien: Mit Motiven wie der "Wolke" (1976) triggert Gerhard Richter im Betrachter die Assoziation mit der deutschen Romantik.

Mit Motiven wie der "Wolke" (1976) triggert Gerhard Richter im Betrachter die Assoziation mit der deutschen Romantik.

(Foto: Robert Bayer / Gerhard Richter 2020)

Außer in den ersten Jahren, als Richter seine Landschaftsvorlagen noch in Büchern, Fotoalben oder von Postkarten suchte, waren es später eigene Fotografien, oft von Urlauben, oft bewusst amateurhaft, die er benutzte. Für seine großen, fast völlig in Farbnebel aufgehenden Landschaften, die an William Turner erinnern. Oder seine Seestücke um 1970. Ihr Raum ist der eindrucksvollste, im Zentrum "See See", bei dem Richter, der oft die fotografische Vorlage seiner Malerei manipuliert, eine fiktive Situation entstehen lässt, fast schwindelerregend in diesem Fall: Denn der wolkig wirkende Himmel ist, schaut man genau, ebenfalls die wellige Meeresoberfläche. Nur gespiegelt.

An der letzten Stirnwand lauert dann die Illusion schlechthin: Ein gewaltiges Wolkenbild, "Wolke" (1976), das einen optisch regelrecht hineinzieht ins Azur. Dabei, welch doppelte Täuschung, ist die "Wolke" eines der wenigen Gemälde, die eine reale Situation wiedergeben, die nicht gesampelt wurden.

Gerhard Richter: Landschaft. Kunstforum Wien. Bis 14. Februar. Der Katalog kostet 32 Euro.

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