Gerhard Polt im Gespräch:Ich hab drei Stinkbomben, wo schmeiß ich die hin?

In seinem neuen Buch "Hundskrüppel" erzählt der Kabarettist Geschichten aus seiner Kindheit. Verglichen mit damals, kommt ihm München heute sehr geschleckt und poliert vor.

Interview: Rainer Stadler

SZ-Magazin: Herzlichen Glückwunsch, Herr Polt, wenn man Ihre Lausbubengeschichten liest, könnte man direkt neidisch werden auf Ihre glückliche Kindheit. Gerhard Polt: Glücklich würde ich nicht sagen. Ich hab halt festgestellt, dass wir Kinder damals in einer ganz anderen Welt aufgewachsen sind. Die hat sich mit der Welt der Erwachsenen relativ wenig arrangiert. Das heißt, mich hat in erster Linie interessiert: Wie kann ich irgendeinen Schaden anrichten? Wie kann ich zum Beispiel bei den Autos auf der Straße die Luft aus den Reifen lassen?

Gerhard Polt im Gespräch: Kabarettist Gerhard Polt.

Kabarettist Gerhard Polt.

(Foto: Foto: AP)

SZ-Magazin: Und heute sind Ihnen die Kinder zu brav? Polt: Schauen Sie sich doch um in München: Da gibt's umzäunte Spielplätze, in denen turnen die Kinder herum und sind aufgeräumt. Das wäre für uns undenkbar gewesen. Man fängt heute immer früher mit dem Domestizieren an, aber ich halte davon nichts. Ich meine den Stolz der Eltern auf ihr Kind, das noch in den Windeln liegt und schon Englisch lernt.

SZ-Magazin: Die Institution Kindergarten mögen Sie auch nicht besonders. Polt: Ich bin ihm entkommen und bereue es nicht. Wir hatten die Möglichkeit, unsere eigene Welt zu bauen. Ohne dass jemand sagt: So, jetzt stellen wir Klötze auf. Oder: Jetzt tun wir singen. Wir haben damals vollkommen in eigener Regie gehandelt. Eigenverantwortlich sozusagen.

SZ-Magazin: So verantwortlich liest sich das nicht, wenn Sie beschreiben, wie Sie und Ihre Bande aus der Amalienstraße dem Rudi von den Türkenstraßlern mit dem Brennglas den kleinen Zeh angeschmort haben. Polt: Und wie der geschrien hat! Oder wie wir dem Trompetenspieler Adde beim Konzert seinen Stuhl weggezogen haben. Der hätte sich das Genick brechen können.

SZ-Magazin:Man könnte Ihre Abgebrühtheit ja damit erklären, dass Sie in einer Metzgerei aufgewachsen sind. Polt: Schlachten und diese Vorgänge waren für mich Normalität. Aber ich meine, man kann immer noch ein ganz humaner Mensch werden, wenn man das erlebt hat. Es gibt ja heute Kinder, die haben noch nie den Vorgang des Hühnerrupfens oder Gockelschlachtens verfolgt. Die kennen das Hendl nur als Chicken. Ich weiß nicht, ob diese Menschen wirklich friedlicher sind. Mir fällt nur immer ein: Ich achte ja jeden Vegetarier. Aber ich sag dann gern, ein bisschen provokant: Aha, wie der Adolf Hitler. Der war ja auch Vegetarier.

SZ-Magazin: Kann ein Kind in München überhaupt noch so abenteuerlich aufwachsen wie Sie, mit Baumhaus und Bandenwesen? Sie lebten ja in Ihrer Kindheit auch noch in Schliersee und Altötting, wo der Wald hinterm Haus lag. Polt: Schwierig. Ich seh natürlich - wenn man zum Beispiel durch die Maxvorstadt geht, früher ein lebendiges Viertel mit Handwerkern und Kleinbetrieben -, dass die Stadt geschleckt und poliert ist. Ich weiß auch noch, wie manche Mütter ihr Kind immer mit dem Taxi durch München gefahren haben. Damit's mit einem anderen Kind spielen kann.

SZ-Magazin: Also war früher doch alles besser. Polt: Nein, anders. Ich seh mich als Chronist meiner Zeit. Also möchte ich erzählen, wie es war. Das kann man episch machen oder psychologisch. Ich bin kein Psychologe, also erzähl ich's direkt. Das heißt, ich steh als Kind vor der Frage: Ich hab drei Stinkbomben, wo schmeiß ich die hin?

SZ-Magazin: Und? Polt: Na ja, wenn ich das den Zuhörern vorlese und dann sage, eine Parfümerie wäre natürlich besonders geeignet, kommt sofort eine gute Stimmung auf. Aber es geht mir nicht nur um die einzelnen Geschichten, sondern ich hoffe, dass sich das am Ende verdichtet, zu einer Welt. Oder einer gewissen Haltung, die wir damals hatten.

SZ-Magazin: Wie drückt sich die aus? Dass man es macht wie Sie früher und in der Bank einen Rollmops hinter der Fußbodenleiste versteckt, der dann ziemlich zu stinken anfängt? Polt: In die Banken geht ja heute kein Rollmops mehr unbemerkt hinein. Aber wenn es mir gelingt, dass ein Kind sich über diese Geschichte freut und was Anarchistisches aufblitzt - dass es die Aura der Bank inspiriert, doch noch einen Flecken hinmachen könnte, das wäre wunderbar. Mit Haltung meine ich, dass man als Kind die Autoritäten, die Welt der Erwachsenen zwar erkennt, aber immer sucht: Wo ist die Lücke? Dass man sich, auf Deutsch gesagt, nichts scheißt.

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