Süddeutsche Zeitung

Gergenwartskunst:Spiegel eigener Ängste

Das Museum Frieder Burda in Baden-Baden stellt Gerhard Richters "Birkenau"-Bilder aus. Ist das dem Holocaust-Gedenken angemessen?

Von ADRIENNE BRAUN

Hat er oder hat er nicht? Doch, behauptet Gerhard Richter, zunächst habe er die Fotografien aus dem Konzentrationslager Birkenau abgemalt, dann aber festgestellt, "man kann das nicht befriedigend darstellen". Also legte er zahllose Malschichten über die Motive, hat gerakelt, gespachtelt, überschrieben - und sich damit zugleich aus einer Debatte (SZ vom 13. März 2015) herausgewunden, die er mit angestoßen hat: Darf man Fotografien aus Auschwitz als Vorlage für Gemälde verwenden? Die ursprünglichen Motive spielten keine Rolle mehr, meint Richter. Er hätte auch neue Leinwände verwenden können für seine vier abstrakten Gemälde "Birkenau" von 2014. Für ihn seien sie wie Musik, die rein emotional wirke und sich dabei über den Titel doch auf konkrete Ereignisse beziehe.

Trotzdem mag dies nun mancher bei der aktuellen Ausstellung im Museum Frieder Burda in Baden-Baden für ein Scheinargument halten. Denn auch wenn die abstrakten Großformate nichts mehr von den Vorlagen verraten, wird der Zusammenhang unmissverständlich hergestellt, indem die Fotografien hier direkt neben dem vierteiligen Zyklus hängen. Diese Aufnahmen des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau sind außergewöhnlich, denn sie wurden nicht von den Befreiern nach Kriegsende gemacht, sondern bereits im Jahr 1944 von Mitgliedern des jüdischen Sonderkommandos. Sie dokumentieren die Scheiterhaufen in dem KZ und zeigen Menschen, die über das Gelände getrieben werden, vermutlich in Richtung Gaskammer.

Für den Maler Gerhard Richter bestand nie ein Zweifel daran, dass sich Wirklichkeit auch abstrakt darstellen lasse. Um zu zeigen, wie viel Realität in der Abstraktion stecken kann, beginnt der Kurator Helmut Friedel die Ausstellung zunächst mit einem Streifzug durch minimalistische Positionen - mit Arbeiten von Sol LeWitt, Carl Andre und Imi Knoebels "6 A13/B16" aus dem Jahr 1967, einer mit nüchternem, zartem Raster überzogenen weißen Fläche. Gerhard Richter lässt die Diagonalen bei "Wellblech", einem Gemälde von 1967, dagegen bewusst zwischen Figuration und Abstraktion changieren. Im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten wirkt die Birkenau-Serie verschlossen. Die dichten Bildoberflächen erinnern an Schlacke, vermischt mit waberndem Blut, an Morast, auf den grauer Ascheregen gerieselt ist. Doch die Düsternis, die diese grau-rot-grünen Flächen ausstrahlen, spiegelt eher die dumpfen Ängste des Betrachters - und nicht das tatsächliche Leid der Opfer. Es werden auch digitale Versionen der vier Bilder gegenübergestellt, die kleiner im Format sind und in mehreren Varianten arrangiert werden. Aber selbst wenn diese Kombinationen unterschiedliche ästhetische Eindrücke hervorbringen: Inhaltlich evozieren sie doch immer nur dasselbe diffuse Unbehagen. So spricht aus diesen Bildern eine große Hilflosigkeit, mit ästhetischen Mitteln angemessen auf den Holocaust zu reagieren. Im vergangenen Jahr wurden die Arbeiten unter dem Titel "Abstrakte Bilder (937/1-4)" eher beiläufig im Albertinum Dresden ausgestellt. Die Baden-Badener Präsentation hat nun fast dokumentarischen Charakter, weil auch Fotografien zum Naziterror aus Richters Fundus ergänzt wurden, seinem "Atlas", in dem er seit 1962 Fotos, Zeitungsausschnitte und Skizzen sammelt.

In einer Vitrine ist außerdem die Suhrkamp-Edition "Mit meiner Vergangenheit lebe ich" ausgelegt. Die Einbände dieser Memoiren von Holocaust-Überlebenden wurden mit Ausschnitten der Birkenau-Bilder illustriert - und machen deutlich, dass die kunstinternen Fragestellungen durchaus in die gesellschaftliche Debatte über das Gedenken hineinragen. Durch die Verwendung als Buchcover wird Richters Birkenau-Bildern Symbolcharakter zugeschrieben. Sie werden zu Labels gemacht, die ästhetisch entschärft und sehr viel leichter vermarkt- und verdaubar sind als die fotografisch dokumentierte Grausamkeit.

Gerhard Richter: Birkenau. Bis 29.Mai im Museum Frieder Burda, Baden-Baden; www.museum-frieder-burda.de

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URL:
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Quelle:
SZ vom 08.02.2016
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