Gérard Depardieu als Comic:Aus einer lächerlichen Karikatur wird ein faszinierender Mensch

Vier Jahre lang hat Comicautor Mathieu Sarpin den Schauspieler Gérard Depardieu begleitet. Will man von diesem Skandalkoloss auch noch eine Homestory als Comic lesen? Unbedingt!

Von Alex Rühle

Oh Gott. Der schon wieder: Er habe "mit einem Gefühl der Liebe zu Russland" gewählt, sagte Gérard Depardieu dem TV-Sender Rossija 24, als er am vergangenen Sonntag in der russischen Botschaft in Paris seine Stimme abgab. Natürlich stellte die Botschaft sofort ein Foto von Depardieu bei der Stimmabgabe ins Netz. Und ebenso natürlich schrieben Hunderte von Netzportalen wieder darüber.

Gégé, wie die Franzosen ihn nennen, ist permanent auf allen Kanälen, 220 Filme, mindestens genauso viele Skandale, alle paar Monate ein spektakulärer Motorradunfall. In der Rue du Cherche-Midi hat er mittlerweile so viele Restaurants, Bars und Feinkosthandlungen gekauft oder neu eröffnet, dass die Pariser die Straße nur noch halb im Scherz Rue Depardieu nennen. Und dann ist da natürlich die Russland-Story: Erst schimpfte Depardieu über die mörderische Steuerlast unter François Hollande, dann schenkte ihm Putin einen russischen Pass, und in Saransk, der Hauptstadt der Republik Mordwiniens, die wirklich so heißt, boten sie ihrem neuen Ehrenbürger aus dem Stand den Job des Kulturministers an, als der sich in traditioneller Troddeltracht fotografieren ließ. Kurzum, will man von diesem hyperbarocken Skandalkoloss jetzt auch noch eine Homestory lesen?

Unbedingt! Jedenfalls wenn sie Mathieu Sapin verfasst hat. Sapin ist auf dem Bild hier oben das winzige Männchen mit dem Kastenkopf und den Bartstoppeln, das eines Tages bei Depardieu klingelte, durch irgendwelche dunklen Kellergänge irrte und am Ende in diesem spektakulären Saal landete, in dessen Mitte Depardieu thronte. In Unterhose.

Anfangs hatte er massive Angst vor diesem Koloss, an dem eigentlich nichts normal ist

Der Sender Arte wollte, dass die beiden zusammen nach Aserbaidschan fliegen, auf den Spuren von Alexandre Dumas, der hat nämlich 1859 den Kaukasus bereist, ebenfalls in Begleitung eines Malers, und Dumas und Depardieu haben ja viele Gemeinsamkeiten, beide Schlossbesitzer (Dumas eines, Depardieu zwei), beide Superschwergewichte (Depardieu ist mit 140 Kilo noch mal zehn Kilo mächtiger als Dumas), außerdem hat Depardieu im Lauf seiner Karriere schon Dumas selbst gespielt sowie den Grafen von Monte ... aber Moment, das mit Dumas sollte eigentlich gar nicht Thema sein hier. Andererseits - warum sollte es einem als Rezensenten dieses Buchs anders gehen als dessen Autor? Im Grunde nämlich steht Mathieu Sapin die ganzen 150 Seiten über ähnlich baff und konsterniert vor diesem Menschen und seiner überbordenden Daseinswucht wie auf dem Tableau hier oben und weiß oft nicht recht, was er alles davon festhalten muss und wo er jetzt wieder reingeraten ist.

Das wird schon durch die Größenverhältnisse klar. Sapin zeichnet sich selbst als Minimännchen, das Depardieu bis zur Hüfte reicht. Anfangs hat er massive Angst vor diesem Koloss, ist ja auch eher verstörend, wenn man am ersten Tag der Reise in Baku gemeinsam schwimmen gehen und dann nackt nebeneinander duschen muss. "Alles ganz normal", sagt sich Sapin zur Beruhigung, eben weil eigentlich nichts mit diesem Mann normal ist. Im Restaurant sagt Depardieu am selben Abend zum Kellner, der möge ihm doch bitte "alles mit Fleisch" bringen. Der Tisch biegt sich im nächsten Bild vor Speisen, und Depardieu isst dann, während er über die Fresssucht von Alexandre Dumas und Joseph Kessel doziert, tatsächlich alles auf. Im Monolog über Dumas liefert er en passant eine gute Charakterisierung seiner selbst: "Ein richtiger Oger war das, ein Pantagruel, und gleichzeitig extrem sensibel."

Die beiden ungleichen Gestalten verstanden sich am Ende auf der Reise so gut, dass daraus ein Langzeitprojekt wurde: Sapin hat Depardieu von Oktober 2012 bis April 2016 begleitet, nach Tschetschenien und Portugal, wo er mit Fanny Ardant einen Film über Stalin dreht, nach Moskau und Bayern, wo er Weißwürste isst.

Depardieu als wandelnder Widerspruch

Depardieu hatte nur eine Bedingung: "Wenn du's machst, dann richtig, klar? Depardieu, wie er sich mit dem Roller auf die Fresse legt. Oder wie er in ein Flugzeug pisst." Das hat sich Sapin nicht zweimal sagen lassen. Sein Depardieu frisst und furzt, läuft meist halb nackt herum, schwadroniert wie auf Autopilot, trifft sinistre Clanchefs und kitzelt bei Tempo 150 den aserbaidschanischen Chauffeur durch, der darauf verschreckte Schlangenlinien fährt. "Schneller", ruft Depardieu und kitzelt weiter.

Sapin ist berühmt für seine Langzeitbeobachtungen: Er hat schon die Dreharbeiten zu einem Gainsbourg-Film nachgezeichnet und durfte François Hollande erst im Wahlkampf und dann in dessen erstem Jahr im Élysée begleiten. Dieses Depardieu-Buch aber ist mit Abstand das berührendste dieser Projekte, was, ganz klar, mit seiner seltsam widersprüchlichen Hauptfigur zusammenhängt, der er mit dokumentarischem Eifer (siehe die Pfeile und Erklärungen auf unserem Museumsbild) und viel Sinn für absurde Situationen hinterherskizziert.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Depardieu wird als wandelnder Widerspruch gezeichnet, derb und zart, laut und beobachtend, ein manischer Kunst- und Bildersammler, der sagt, Bilder kotzten ihn an. Der überall empfangen wird wie ein Präsident und immer wieder behauptet, das Einzige, wonach er sich sehne, sei ein normales Leben. Der über seine analphabetischen Eltern, die Schlägereien, den Schulabbruch und die Prostituierten im selben zupackenden Tonfall erzählt wie über die Bücher, die er fortwährend verschlingt, oder seine vielen berühmten Freunde ("Bob kommt vorbei." - "Welcher Bob?" - "Na, De Niro.")

Sapin psychologisiert nie, er zeichnet einfach den ganzen Irrsinn mit: Depardieu, der bereitwillig jedes Selfie herzlich mitmacht, aber manche Leute dann behandelt wie Putzlumpen. Depardieu, der erzählt, wie er als Kind seiner Mutter bei drei Geburten half, beim dritten Mal, "ich hol das Baby raus und flutsch, Gebärmuttersenkung". Als die Hebamme endlich kam, erklärte sie dem kleinen Gerard, das mache doch nichts, "das stopfst du alles wieder rein, und gut is'". Die drastischen Handbewegungen, mit denen Sapins Depardieu diese klinische Erklärung illustriert, vergisst man nicht so schnell wieder.

Vor allem aber zeigt er Depardieu als Getriebenen, in dessen Mitte ein Loch zu klaffen scheint, das durch nichts zu stopfen ist. Er mag sich selbst nicht, und das ist keine Koketterie, sondern ein Quell tiefer Schmerzen. Permanent muss er unterwegs sein, braucht den totalen Rummel, hängt jedes zweite Bild am Telefon, beschließt irgendwelche neuen, behämmerten Geschäftsprojekte (eine Hähnchenbratereikette in Russland!) oder dreht noch einen weiteren Film oder auch eine Dokumentation, mal als Stalin in Portugal, mal als Feinkoster, der sich quer durch Europa schlemmt. Es wäre falsch zu sagen, dass er einem danach sympathisch ist, das ist wahrscheinlich ohnehin keine Kategorie für dieses urwüchsige Wesen. Aber wenn ein Comic es schafft, aus einer lächerlichen Karikatur einen faszinierenden Menschen zu machen, einfach indem er ihn ganz ausstellt, ist das schon beeindruckend.

Mathieu Sapin: Gérard - Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu. Deutsch von Silv Bannenberg. Reprodukt-Verlag, Berlin 2018. 160 Seiten, 24 Euro.

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