Süddeutsche Zeitung

Autobiografie eines Hochstaplers:Der Mythos des Fürsten Lahovary

Als Hochstapler bahnte sich Georges Manolescu den Weg in die europäische Oberschicht um 1900. Seine Autobiografie wurde zum Vorbild für Thomas Manns "Felix Krull". Jetzt wurde sie wieder aufgelegt - erstmals seit über 100 Jahren.

Von Alexander Menden

Am 1. Oktober 1901 wurde ein Patient in die Station 29 der Berliner Charité eingeliefert. Im Kragen seines Paletots war als eine Art Notgroschen ein 500-Franc-Schein eingenäht. Diesen war er aber rasch los, da er seine Zivil- gegen Anstaltskleidung tauschen musste. Nachdem der Patient sich bei der ersten Untersuchung bemüht hatte, "den Anschein eines überängstlichen, eingeschüchterten Menschen" zu erwecken, untersuchte der leitende Arzt der Station ihn ein weiteres Mal und erklärte ihn für "komplett verrückt".

Bei dem damals 34-jährigen Patienten handelte es sich um einen Simulanten, der durch die Diagnose einem Urteil wegen zweifachen Diebstahls zu entgehen hoffte. Sein Name lautete Georges Manolescu. Er war ein gebürtiger Rumäne, der weithin unter dem Pseudonym Fürst Lahovary berühmt und berüchtigt war. Die Episode liefert eine von unzähligen bizarren, filmreifen Anekdoten im Leben dieser exemplarischen Inkarnation aller befrackten, weltmännischen Fin-de-Siècle-Hochstapler. In der Berliner Anstalt Herzberge, in die man ihn als unzurechnungsfähig einlieferte, hielt es ihn knapp zwei Jahre. Dann entkam er 1903, wie schon viele Male zuvor, und floh nach Österreich.

Sein Ziel war es, eine "reiche Braut" zu ergattern

Zu diesem Zeitpunkt neigt sich die Hochstapler-Karriere des gebürtigen Rumänen bereits ihrem Ende zu. Im Jahre 1871 in Ploiești am südlichen Fuß der Karpaten als Sohn eines Kavallerie-Hauptmanns geboren, ist er als Teenager seiner Ausbildung an der Marineschule entkommen und als blinder Passagier zu Schiff nach Istanbul geflohen. Schon früh ist es sein erklärtes Ziel, "ein sehr reiches Mädchen zu heiraten, um mir dadurch eine jährliche Rente von mindestens 500 000 Franc zu sichern". Das gibt er in seinen 1905 erstmals erschienenen Memoiren "Ein Fürst der Diebe" mit einigem Stolz zu Protokoll.

Sie sind nun, gemeinsam mit der Fortsetzung "Gescheitert", bei Manesse erstmals seit mehr als 100 Jahren wieder aufgelegt worden, und zwar in Paul Langenscheidts Erstübersetzung aus dem französischen Original. Der Berliner Verleger Langenscheidt trug 1905 maßgeblich zur Verbreitung des Mythos von "Fürst Lahovary" bei, als er die Memoiren veröffentlichte.

Um die "reiche Braut" zu ergattern, so erklärt er, habe er "luxuriös leben" müssen und die "dazugehörigen Mittel durch die verschiedensten Veruntreuungen und Diebstähle" erwerben müssen. Es folgt eine Unzahl abenteuerlicher Episoden, die auf dem ganzen Globus spielen - eine blutige Schlägerei in San Francisco, eine kurze Affäre in Honolulu, riesige Spielverluste und Zwangsarbeit in England. Später verdient er in Paris vor allem als Kaufhausdieb seinen Lebensunterhalt. Insgesamt verbringt Manolescu rund acht Jahre in Gefängnissen und "Irrenhäusern". Nachdem er tatsächlich eine Adlige geheiratet hat, stellt sich heraus, dass diese völlig verarmt ist. Als sie erfährt, dass ein Pelzumhang, den er ihr schickt, mit unlauteren Mitteln erworben wurde, erfolgt die sofortige Scheidung.

Der parfümierte Hauch authentischer Eskapaden

Die berühmteste literarische Frucht dieser sich pikaresk gebenden Biografie sind zweifellos Thomas Manns "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull". Mann hatte Manolescus Memoiren gelesen und dabei das entdeckt, was er das "erotische Betrugsverhältnis auf Gegenseitigkeit" zwischen Schwindler und Opfer nannte. Bestimmte Aspekte des Verstellungstalents, mit dem Georges Manolescu sich durchs Leben schwindelte, tauchen bei Mann wieder auf. So hat Krull Simulationsfähigkeiten, mit denen er seinen Hausarzt ebenso hinters Licht zu führen vermag, wie das dem falschen Fürsten mit der Belegschaft der Charité gelang. Manolescus Memoiren sind weniger kunstfertig verfasst, dafür umweht sie der parfümierte Hauch authentischer Halbwelteskapaden.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Manolescu seinen skrupellosen Lebenswandel ausbreitet, mit der er die endlose kriminelle Energie, die den Kern seiner Existenz auszumachen scheint, zu etwas geradezu Feiernswertem aufwertet, macht zweifellos den halbseidenen Reiz der Memoiren aus. Er vermag seine Leser ebenso zu entwaffnen wie seine zahlreichen Opfer. Auch bei der Lektüre beruht das Verhältnis ja auf einer Art Übereinkunft - in diesem Falle jener, dass man erstmal alles schluckt, was Manolescu an Schoten auftischt, weil sie so hervorragend munden.

Er ist zudem sehr geschickt darin, die Verwerflichkeit seines Handelns dadurch zu relativieren, dass er seine Opfer selbst als Gauner darstellt, die es absolut verdient haben, geschröpft zu werden. Nachdem er zum Beispiel am 5. Mai 1889 - Manolescu ist ungeheuer exakt in der Datierung seiner Abenteuer - einen Pariser Juwelier namens Fontana um zwei Edelsteine "erleichtert" hat, "für die er 10 000 Franc verlangte", konstatiert er: "Dieser Spitzbube wusste wirklich gepfefferte Preise zu machen! Für die Steine, um die ich ihn soeben erleichtert hatte, erhielt ich später nur 3200 Franc, da der reguläre Händlerwert derselben nicht mehr als 5000 Franc betrug."

Der Hochstapler ist eine Sonderform des Gesetzesbrechers

Diese Dreistigkeit wirkt auf Dauer schwindel- und auch leicht übelkeitserregend. Man muss nicht komplett moralindurchsäuert sein, um angesichts des unterhaltsamen Tartuffe-Parlandos seine Zweifel daran zu bekommen, ob die eigennützige und verharmlosende Ausbreitung eines Kriminellenlebens so viel Raum verdient hat; hier immerhin 380 Seiten plus Anhang. Doch die Figur des Hochstaplers ist eben eine Sonderform des Gesetzesbrechers. Allein der Begriff des "Gentleman-Gauners", mit dem sich Attribute wie "geschliffen", "charmant" und "weltläufig" verbinden, verleiht ihm eine Aura, die alltäglicheren Verbrechensformen fehlt. Der Mythos des Hochstaplers hält sich bis heute in fiktiven Figuren wie Patricia Highsmiths Mr. Ripley, aber auch in realen Gestalten wie dem Amerikaner Frank Abagnale, auf dessen Leben Stephen Spielbergs Film "Catch me if you can" basiert.

Verleger Paul Langenscheidt wusste die Faszination, die solche Charaktere auf die Öffentlichkeit ausüben, sehr geschickt zu nutzen. Nachdem die erste Ausgabe von "Ein Fürst der Diebe" bereits nach ein paar Monaten in die fünfte Auflage gegangen war, fragte er bei Karl May an, ob dieser nicht die Fortsetzung schreiben wolle (May hatte als junger Mann eine Zeitlang selbst mit Hochstapelei seinen Lebensunterhalt bestritten). May lehnte das als "sonderbare Zumutung" ab.

Manolescu selbst, zwischenzeitlich nach Rumänien zurückgekehrt, genoss den Ruhm, den die Memoiren und ihre vom geschäftstüchtigen Langenscheidt rasch auf den Markt geworfene Fortsetzung ihm bescherten. Die Bemühungen des Autors um eine italienische Übersetzung scheiterten allerdings ebenso wie sein Versuch, Langenscheidt sein Gehirn zu posthumen Untersuchungszwecken zu verkaufen. Manolescu starb am 2. Januar 1908 im Alter von 37 Jahren. Sein Nachlass bestand dem Vernehmen nach aus "zwölf Anzügen, 40 Seidenhemden, zehn Paar Lackschuhen und einem gefälschten Adelsbrief".

Die Erinnerungen Georges Manolescus lesen sich vor allem wie das Lebensprotokoll eines völlig gewissenlosen Mannes, der sich zum Künstler des Betrugs stilisiert. Dass ihm das über weite Strecken so formvollendet gelingt, zeugt von einem Talent als Autor sowie von Langenscheidts Fähigkeit, das Ganze in seiner Übersetzung reißerisch zuzuspitzen. Und sie beweist die Faszinationskraft eines Menschen, der sich die performativen Verhaltensnormen der Gesellschaft schlau zunutze macht, während er zugleich jede ethische Verantwortung lächelnd ignoriert.

Fürst Lahovary/Georges Manolescu: Mein abenteuerliches Leben als Hochstapler. Aus dem Französischen von Paul Langenscheidt. Mit einem Nachwort von Thomas Sprecher. 448 Seiten, 24 Euro.

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