"My Sweet Lord":George Harrisons Weihnachtsgeschichte

"My Sweet Lord": Was suchen wir noch mal? Fred Armisen als Agent in dem neuen Video zu "My Sweet Lord".

Was suchen wir noch mal? Fred Armisen als Agent in dem neuen Video zu "My Sweet Lord".

(Foto: George Harrison/Youtube)

Vergesst Edeka und Aldi: Ein neues Video zu dem Hit des vor 20 Jahren verstorbenen George Harrison zeigt, wie das mit der Weihnachtswerbung richtig geht.

Von Joachim Hentschel

Mitte Dezember, das war früher die Zeit der Jesus-Titelstorys in den Wochenmagazinen, bis vor wenigen Jahren eine neue Attraktion dazukam: das durchgeknallte Space Race der Supermarktketten um den meistgeklickten Weihnachtswerbespot. Der berühmte Edeka-Opa, der seinen Tod fälschte, um die missratene Brut zum Fest nach Hause zu holen, bekommt 2021 Konkurrenz vom schwermütigen Penny-Markt-Jugendlichen, vom todtraurigen Aldi-Süd-Busfahrer und von der Rewe-Familie, die nur deshalb so fröhlich gedrängt am Tisch sitzt, weil sie beim Dreh noch nichts von Omikron wissen konnte.

Ob in den Konzeptmeetings irgendwer mal gefragt hat, was diese Filme eigentlich mit den Marken zu tun haben, für die sie rührend werben, kann uns zwar völlig egal sein, aber es wäre leider trotzdem interessant. Vor allem, weil nun das Exemplar eines neuen Phänomens aufgetaucht ist, dem genau diese Distinktion herausragend gelingt: das Weihnachtsmusikvideo für einen Song, der mit Weihnachten nichts zu tun hat. Und plötzlich halt irgendwie doch.

Auf der offiziellen Website des vor 20 Jahren verstorbenen George Harrison wurde am Mittwoch ein Clip veröffentlicht, der als Musikvideo für Harrisons größten Solohit "My Sweet Lord" von 1970 deklariert wird, aber eine echte kleine Spielfilmnovelle mit Musik und Dialogen ist. Regie führte Lance Bangs, den man höchstens für einige Popclips und die Mitwirkung an der Serie "Jackass" kennt.

Und weil der Schluss so brillant ist, verraten wir ihn nicht

Die Handlung im siebenminütigen "My Sweet Lord": Ein eleganter, nicht näher definierter Geheimdienst schickt eine Agentin und einen Agenten auf eine Mission. Sie sollen ein noch mysteriöseres Etwas finden, das da draußen sein Unwesen treibt, mithilfe von Lichtscannern, die wie Lockenstäbe aussehen. Die zwei durchsuchen ein in Sofia-Coppola-Spätnachmittagsfarben getauchtes Los Angeles, eine Buchhandlung und ein voll besetztes Kino, bis die Zentrale ihnen sogar noch Verstärkung zuteilt. Was auf dem Papier bekloppt klingt, entwickelt beim Zuschauen einen seltsamen, wunderbaren Sog. Und weil der Schluss so brillant ist, verraten wir ihn nicht.

Es sei das erste Mal, dass es zu dem 51 Jahre alten Song ein Video gebe, schreiben die Harrison-Erbverwalter. Die Motivation für den "My Sweet Lord"-Film scheint allerdings eine ganz andere zu sein: Auch er ist im Kern ein Werbespot. Im Sommer erschien eine neue Spezialausgabe von Harrisons berühmtem Album "All Things Must Pass" (siehe SZ vom 7. August), die dezent, aber bestens sichtbar an einigen Stellen des neuen Videos platziert wurde. Plattenfirma und Erben wollen die CD-Box hier offenbar noch einmal fürs Weihnachtsgeschäft empfehlen, und so gesehen ist auch dieses Video Teil einer festlichen Kampagne. Mit zwei entscheidenden Unterschieden zum Edeka-Modus: Es atmet wirklich die Seele seines Produkts. Und es macht seinen Punkt auf eine Art, die einem tatsächlich das Herz adventlich zum Glühen bringt, wenn man sich nicht allzu stark wehrt.

Es ist nicht nur ein popkulturelles Universum, das hier errichtet wird

An allen Ecken lässt Regisseur Bangs bekannte Gaststars auftreten. Mark Hamill, Luke Skywalker in "Star Wars", spielt den Dienstoffizier, später meldet sich "Mad Men"-Hauptdarsteller Jon Hamm per Tablet aus der Zentrale. Jeff Lynne von ELO winkt vom Straßenrand, im Kino sitzen Ringo Starr und Eagles-Gitarrist Joe Walsh und mampfen Popcorn, das der Komiker Weird Al Yankovic an der Theke verkauft, und dann sind in kurzen Szenen noch Harrisons Witwe Olivia und Sohn Dhani zu sehen. Die meisten hier haben einen biografischen Link zum verstorbenen Helden, der selbst nur auf der Leinwand im Kino erscheint: als gutmütiger Geist, der zwischen den Tulpen in seinem Garten hervorguckt. Es ist nicht nur ein popkulturelles Universum, das hier errichtet wird, sondern auch ein familiäres.

Aber was nun das Ding ist, nach dem der Geheimdienst fahndet? Wahrscheinlich steckt es irgendwo im Song, der die Bilder untermalt. "My Sweet Lord" schrieb Harrison 1969 als eine Art pantheistische Lobpreishymne, und selbst wenn man auf Religionen allergisch reagiert: Dieses Video, in dem die Agenten das Glück weder in den Büchern noch in der Natur finden, dafür aber im Kreis der lustigen Menge, die im Kino sitzt und sich eine Harrison-Doku mit "Hallelujah" und "Hare Krishna" reinpfeift - es lässt einen dann doch kurz an den humanistischen Wert der Weihnachtsbotschaft glauben. Wenn wir dafür eine CD-Box kaufen sollen, okay, süßer Lord, dann kaufen wir sie halt.

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