Süddeutsche Zeitung

DVD-Box von George A. Romero:Stich ins Bürgertum

George A. Romero, der Meister der Horrorfilms, wollte nicht immer nur Zombies inszenieren. Sein Frühwerk erforscht die amerikanische Seele.

Von Fritz Göttler

Die alte Lady sitzt auf dem Stuhl in der Ecke, still mit dem Strickzeug hantierend, das Wollknäuel ist giftig grün. Sie hat auch überhaupt keine Angst vor den fremden Männern, die ins Haus eindringen, in weißen Schutzanzügen und mit Gasmasken vor dem Gesicht. Freundlich grüßt sie, dann bohrt sie einem von ihnen, der sich ihr nähert, die Stricknadel in den Bauch. Blut färbt den weißen Anzug rot.

Ein kleiner Moment zwischen Schrecken und Schönheit, in "The Crazies", 1973, dem vierten Film von George A. Romero. Ein Film mit einer spektakulären Geschichte, aber ganz abstrakt inszeniert. Der Nadelstoß geht direkt ins Innere der amerikanischen Normalität.

"The Crazies" ist ein Horrorfilm, also eine Groteske, ein wenig grotesker womöglich, als es das Genre verlangt. Das wirkt heute, nach Monaten der Pandemie, besonders bestürzend, Romero macht sich lustig über eine Seuche. Ein Flugzeug ist abgestürzt in der Nähe von Evans City in Pennsylvania, ein Virus, das es transportierte, wurde freigesetzt und geriet ins Grundwasser der Stadt. Man nennt es Trixie, es wurde zu bakteriologischen Kriegszwecken in amerikanischen Labors entwickelt. Man stirbt nach zwei Tagen daran oder man dreht durch, macht unberechenbare, wahnsinnige Sachen. Sein eigenes Haus anzünden, mit der Stricknadel zustechen.

Nach dem Erfolg mit seinem ersten Film "Night of the Living Dead", 1968, hatte Romero erst mal genug von den Zombies. Er drehte 1971 "There's Always Vanilla", danach 1972 "Jack's Wife", alternativ bekannt als "Season of the Witch", 1973 dann "The Crazies". Nun sind diese drei Filme auf Blu-ray herausgekommen, somit fehlt aus Romeros Frühwerk nur noch die Vampirfantasie "Martin" von 1978. Im selben Jahr hat er dann seinen zweiten Zombiefilm gedreht, "Dawn of the Dead", der bei uns als "Zombie" in den Kinos lief, auch der ist kürzlich wieder herausgekommen.

Die ganze lässige Westküsten-Hippiekultur ist hier zur Parodie verkommen

"Vanilla" und "Jack's Wife" sind zwei kleine Studien des bürgerlichen Mittelstands, Schlaglichter auf die amerikanische Suburb von Pittsburgh, wo Romero lebte und arbeitete. Mit Freunden besetzt und mit dem technischen Apparat und Know-how gedreht, das Romero besaß, er hatte eine kleine Firma für Werbefilme. Die gleiche Schockerfahrung treibt diese Filme an, der Frust, die Verzweiflung darüber, dass all die Visionen vom Aufbruch der Sechziger nichts bewegt haben in den USA. Die ganze lässige Westküsten-Hippiekultur ist zur Parodie verkommen in den scheußlich pastellenen Farben der Räume, den ondulierten Haaren und blauen Lidschatten der Frauen, dem Wuschelhaar der jungen Liebhaber. Hier fehlt so ziemlich alles, was die Verführungskraft, den diskreten Charme der Bourgeoisie ausmacht.

Ray Laine ist der junge Protagonist in beiden Filmen. Ein junger Rumtreiber in "Vanilla", aus dem Militär entlassen, er fängt was mit einem Mädchen an, es wird schwanger, dann soll er mit Reklamesprüchen die Jungen in den Militärdienst locken. "Jack's Wife" ist, im anderen Film, unbefriedigt, sie schließt sich einem Hexenzirkel in der Nachbarschaft an. Sie lauscht, wenn im Zimmer nebenan ihre Tochter mit einem Jungen rummacht. Der Produzent hätte gern einen Soft-Porno gehabt und verlangte zwei Sexszenen, brachte den Film dann unter dem Titel "Hungry Wives" in die Kinos. Romero machte Regie, Kamera, Schnitt selbst und fügte ein paar Anhaltspunkte ein für seine Frauen, Rosemary aus Polanskis "Rosemary's Baby" und Mrs. Robinson, aus "The Graduate".

Der Film beginnt in einem herbstlichen Wald, die Bilder sind von den Ästen sanft gemasert, der Mann Jack geht Zeitung lesend schnurstracks zwischen den Bäumen durch, Jacks Frau folgt ein paar Schritte hinter ihm und kriegt die Äste, die er beim Gehen wegschiebt, beim Zurückschnellen voll ins Gesicht geknallt. Rote Striemen, ein masochistischer Traum, ein heimliches Verlangen, man denkt an Buñuels "Belle de Jour". Der Träumer, erklärt kurz darauf ein Psychiater, ist der Einzige, der seinen Traum nicht verstehen kann. Ein Makler erklärt, weiter im Traum, die perfekte Einrichtung eines Hauses, mit allem Drum und Dran, und für dieses Etcetera ist wieder Ray Laine zur Stelle. Jeden Stich muss man im Muster machen, erklärt Donovan in seinem Song "Season of the Witch": You've to pick up every stitch when the rabbit's runnin' in the ditch.

Die Liebesgeschichte in "Vanilla" beginnt mit einem Blackout auf einer Bahnstation und endet mit zwei Luftballons, einer blau, einer rosa, die in den Himmel über Pittsburgh entschweben. Der Vater in diesem Film ist von erstaunlicher Konsequenz, er muss sich nicht groß verändern oder neu erfinden - der Sohn trifft ihn nach drei Jahren im selben Lokal wieder, am selben Tisch. Wenn man, so sein Rat, in der Eisdiele nicht weiß, für welche der besonderen Sorten man sich entscheiden soll, bleibt immer Vanille.

Das Bürgertum ist Romero, der von Anfang an ein politischer Filmemacher war, immer suspekt gewesen, in "Crazies" ist er wieder auf vertrautem Terrain. Die Kleinstadt ist vom Militär abgeriegelt, über ihr kreist ein Bomber mit einer Atombombe, bereit, die infizierte Stadt auszulöschen. "Vanilla" beginnt mit einer Umfrage zu einem verspielten, bunten Pop-Kunstwerk, in dem alles wirbelt und klimpert - sehr verstörend nach der schwarzweißen Endzeitmisere, mit der "Night of the living Dead" endete. Das ist Camp, sagt einer der Befragten, für einen anderen signalisiert es genau das, mit dem man all die Malaisen der amerikanischen Gegenwart vermeiden hätte können. Die Wirtschaft wäre nicht down, wir wären nicht in Vietnam, Spiro Agnew wäre nicht Vizepräsident.

"The Crazies", "There's Always Vanilla" und "Jack's Wife" sind bei Capelight auf Blu-ray erschienen. "Zombie" gibt es bei Koch Films.

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