Georg Kreisler ist tot:Böse Lieder immer, böse sein nie

Ein Multitalent, das oft aneckte, ein großartiger Künstler, der Außenseiter blieb: Georg Kreislers Vita strotzt vor Kuriositäten, galligen Geniestreichen und denkwürdigen Begegnungen. Erinnerungen an einen Besuch.

Johannes Honsell und Oliver Das Gupta

"Einen Moment, bitte", sagt Georg Kreisler zum Mann mit der Kamera und schaut in den Himmel. Sekunden vergehen. Kreisler kneift die Augen unter seiner monströsen Brille zusammen, der Mund öffnet sich, Zähne blinken: "Haha.... hahaha", tönt es heiser aber immer lauter, "Hahaha hahaha...".

Georg Kreisler Foto: Oliver Das Gupta

Georg Kreisler vor seinem Haus in Salzburg-Aigen im Spätsommer 2009

(Foto: Oliver Das Gupta)

Wer lachend fotografiert werden wolle, dem sollte auch zum Lachen zumute sein, erklärt Kreisler anschließend, deshalb musste er vor den Aufnahmen an etwas Lustiges denken.

In den Stunden zuvor an diesem heißen Tag im Spätsommer 2009 sitzt er mit den beiden Besuchern in seinem Haus im Südosten Salzburgs zusammen, Interview-Termin.

Er erzählt sein Leben, nüchtern, kontrolliert, bloß keine Selbstbeweihräucherung. Seine Geschichte strotzt vor Kuriositäten, Geniestreichen sowie vielen denkwürdigen Begegnungen. Und es ist die Geschichte eines Außenseiters.

Sie begann in Wien, wo Kreisler am 18. Juli 1922 in eine jüdische Familie hineingeboren wurde. Der Vater war angesehener Rechtsanwalt, der Sohn lernte Klavier und Geige. Den "Anschluss" Österreichs 1938 an Nazi-Deutschland musste er als 15-Jähriger über sich ergehen lassen. Die Kreislers fliehen nach Amerika. Früh kam er mit Berühmtheiten in Kontakt, viele Exilanten sind dabei wie Marlene Dietrich, die er als "total deutsch und totale Hausfrau" erlebte.

Als US-Soldat kehrte Kreisler nach Europa zurück; er trat bei Revuen für die Armee auf und bewachte auch monströse Verbrecher wie Hermann Göring, der noch als Gefangener den Großkotz gab.

Später assistierte er Charlie Chaplin bei seinem Film Monsieur Verdoux: Der Meister pfiff Melodien, Kreisler spielte sie auf dem Klavier und schrieb die Noten auf. Erste urkomische Stücke entstanden wie Please shoot your husband. Kreisler sang ein paar Lieder ein, doch die Plattenfirma ängstigte sich vor der öffentlichen Reaktion auf so viel rabenschwarzen Ulk. Die Aufnahmen dieser frühen Werke fanden sich erst vor wenigen Jahren in einem Archiv, Kreisler selbst glaubte sie bis dahin verloren.

Es folgten Jahre als Nachtklubsänger in New York, eine Zeit, in der Kreisler den damals auch in den USA grassierenden Antisemitismus und Rassismus spürte. 1955 kehrte er nach Wien zurück und machte Kabarett mit einer Truppe, zu der auch Helmut Qualtinger gehörte. Kreisler eckte an: Bei seinen Kollegen, weil er gesellschaftskritisch sein will, statt nur zu parodieren. Und bei vielen Wienern erst recht, weil er ihnen den Spiegel vorhielt. Jenen Landsleuten, die die braune Begeisterung von ehedem mit Gemütlichkeit vergessen machen wollten, schuf Kreisler ein musikalisches Mahnmal - und sich ein Denkmal: Taubenvergiften im Park.

Der Walzer machte Kreisler als Moritatensänger bekannt, aber brachte ihm (nie bewiesene Plagiatsvorwürfe und vor allem) viele Feinde ein. Kaum ein deutschsprachiger Kabarettist wurde in seinem Leben so oft zensiert und ausgebootet. In dem Interview vom Sommer 2009 schilderte Kreisler all die Zurückweisungen. Neben seinem Ruf, vermutete er, habe es wohl auch damit zu tun gehabt, dass er Jude sei.

"Manche Leute wünschen mich nach Israel"

Auch in seiner Zunft blieb er eher Einzelgänger: Bei der Münchner Lach- und Schießgesellschaft etwa seien sie alle SPD-nah gewesen, erzählte er. Allein dieser Umstand bedeutete Zoff: Er sei zwar Sozialist, aber wolle keiner Partei helfen. Kreisler war eben ein Solitär: Offen für neue Stoffe, genial in Text und Spiel, doch offenbar nur bedingt teamfähig. Er verhielt sich, wie man hört, bisweilen nachtragend wie starrköpfig. Und er war ein Multitalent.

Georg Kreisler vor seinem Haus in Salzburg-Aigen im Spätsommer 2009
(Foto: Oliver Das Gupta)

Kreislers Kreativität sprudelte regelrecht: Sein Œuvre umfasst neben den Chanson- und Kabarett-Programmen unzählige Platten, Bücher, Fernsehsendungen und zwei Opern. Gesellschaftskritisch und beißend blieben Kreislers Werke, er spießte die aufkeimende Sicherheitsmanie des Staates auf, später malte er aus, wie spaßig ein atomarer Super-GAU wäre. Genial gallig war das, was er zustande brachte. Selten verrannte er sich, wie damals, als er den Krieg gegen Saddam Hussein 2003 notwendig nannte - er glaubte der Mär von den Massenvernichtungswaffen, wie er später einräumte.

So umtriebig er künstlerisch war, so ruhelos war er im sonstigen Leben: Jedes Jahrzehnt lebte er in einer anderen Stadt, zuletzt trat er nur noch bei Lesungen auf - weil er sich "nicht mehr auf Finger und Kopf verlassen" könne. Sein Liebesglück hatte er da schon längst gefunden mit seiner dritten Ehefrau Barbara Peters, mit der er schließlich nach Salzburg zog. Die Wahl auf die schöne Stadt am Alpenrand fiel wegen seiner Frau, die den Süden liebe, sagt Kreisler an jenem Sommertag 2009, nicht etwa, weil er Sehnsucht nach Österreich gehabt hätte.

Manche hier würden ihn nach wie vor "nach Israel wünschen", der Antisemitismus sei unterschwellig noch da. Die Leute von der rechtspopulistischen FPÖ nennt Kreisler "Neonazis". Warum die Partei im Gegenstatz zu deutschen Rechtsaußen-Bewegungen in der breiten Bevölkerung Rückhalt hat, erklärt er sich mit einem besonderen austriakischem Opportunismus: Die Österreicher würden nicht so viel nachdenken, meint Kreisler, sie sagten sich einfach: "Na, dann marschier' ma halt." Kreisler wienert diesen Satz, zwar mit Schmäh, aber ohne gemeinem Unterton. Er sei ja ohnehin nicht böse, er habe nur böse Lieder geschrieben, sagt er.

Und dann ist er es doch ein bisschen, als die Rede kommt auf das heutige Kabarett. Das, was er von Harald Schmidt im Fernsehen gesehen habe, fände er nicht sehr humorvoll. Und Hape Kerkeling? Der habe ihm früher gut gefallen, aber heute, nun ja: "Die Menschen lachen über Horst Schlämmer - weil sie nichts Besseres haben." Einer fällt ihm dann doch noch ein, der Lob verdient: "Der Josef Hader ist sehr gut, find' ich."

Am Ende des Gesprächs kommt die Rede auf die Endlichkeit und die Frage, wie er es mit der Religion hält. Die sei eine "menschliche Erfindung", sagt Kreisler. Gottgläubig, das sei er aber sehr wohl. Nur könnten die Menschen Gott nicht wirklich begreifen, meint Kreisler, und schiebt nach: "Er kann auch eine Sie sein."

Georg Kreisler dürfte sich inzwischen vergewissert haben: Er starb an diesem Dienstag im Alter von 89 Jahren in Salzburg.

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