Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Georg Heinrichs:Häuser wie Gebirge

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Er liebte Horizontalen, Vertikalen lehnte er als aggressiv ab. Zum Tod des Architekten Georg Heinrichs, der Berlin geprägt hat wie wenige andere.

Von Peter Richter

Es gibt diesen Autobahn-Abschnitt, da tut der Berliner Südwesten so, als würde er an die Alpen reichen: Wenn man die Augen ein bisschen zusammenkneift, führt die Fahrbahn direkt auf ein Gebirgsmassiv zu. Dann tut sich darunter ein Tunnel auf. Der St. Gotthard von Wilmersdorf. Der Hang zum innerstädtischen Autobahnenbau galt im eingemauerten West-Berlin von den Sechzigern an auch als Mittel, sich ein bisschen mehr wie ein vollgültiges Bundesland zu fühlen. Die Überbauung mit einem Gebirge aus Wohnungen wiederum folgt den damals viel diskutierten Verdichtungsbestrebungen, die durchaus als Verlandschaftung verstanden wurden. Außerdem herrschte Mangel an Wohnungen (und an Bergen sowieso). Auch für die Überbauung des Kurfürstendamms wurden damals Pläne gezeichnet.

Dass der Architekt Georg Heinrichs hier also ein 600 Meter langes Hochhaus sozusagen horizontal über die Autobahn an der Schlangenbader Straße gelegt hat, folgte mustergültig einer zeitlichen und lokalen Logik. Trotzdem wirkt es heute immer noch so erstaunlich, wie es zur Bauzeit in den Siebzigern umstritten war.

Aber Heinrichs war immer umstritten. Und streitbar. Und auf entschiedene Weise horizontal war das, was er gebaut hat, eigentlich auch immer. Wenn man von diesem Architekten etwas wusste, dann dass er Horizontalen liebte, sie als zurückhaltend empfand, Vertikalen hingegen als aggressiv ablehnte. Es war sozusagen eine moralische Frage. Quadrate, wie sie der Kollege Oswald Mathias Ungers später zu fetischisieren begann, waren ihm folgerichtig zu unentschieden und "proportionslos". Es muss, mit anderen Worten, immer recht aufregend, aber nicht immer und für jeden ganz schmerzlos gewesen sein, mit diesem Mann zu debattieren. Vielleicht war das auch ein Grund, warum er als einer der prägendsten Architekten von West-Berlin nie in die Akademie der Künste der Stadt berufen wurde.

Heinrichs hatte seine ganz eigenen Gründe, dem Alten gerade in Berlin zu misstrauen

Aber anders als zum Beispiel Ungers, der letztlich auch vor der heftigen Kritik an der Großwohnanlage Märkisches Viertel aus Berlin nach Amerika floh, hielt Heinrichs, der immerhin an der Gesamtplanung der umstrittenen Neubausiedlung im Berliner Norden beteiligt war, vor Ort allen Stürmen stand, die einem Modernisten wie ihm hier nun immer heftiger ins Gesicht bliesen. Von den Siebzigern an kamen die nämlich nicht mehr nur von nostalgischen Konservativen, sondern viel mehr von der Linken, die sich gegen Flächenabriss zugunsten von Neubausiedlungen oder gar Autobahnen engagierte, die das Historische wieder wertschätzte, als postmodernes Zitat oder lieber noch als gerettetes Original, und das Revival des Berliner Altbaus propagierte: Auf einmal standen die alten Vertikalen für das Sanfte und Heinrichs Horizontalismus für die Aggression einer Tabula-rasa-Moderne.

Aber das andere, was man von diesem Architekten wusste, war eben, dass er seine ganz eigenen Gründe hatte, dem Alten gerade hier in Berlin zu misstrauen und lieber konsequent nach vorn und ins Neue zu schauen: 1926 in Berlin geboren und aufgewachsen, wurde er von den Nazis, der jüdischen Mutter wegen, in ein Arbeitslager deportiert. Die Großeltern wurden in Estland ermordet. Heinrichs lernte nach dem Krieg als Architekt von Leuten wie Wils Ebert und Alvar Aalto, und hielt an einer skulpturalen Moderne so lange fest, bis Altbauten als unbezahlbar und Großwohnsiedlungen deswegen in sozialer und auch ästhetischer Hinsicht wieder als bedenkenswert galten. Wie die Berliner Zeitung jetzt meldete, ist Heinrichs bereits am 20. Dezember in seiner Heimatstadt gestorben.

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