Süddeutsche Zeitung

Oper in München:Die Banalität des Horrors

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Die Bayerische Staatsoper zeigt die eigenwilligen Opern "Bluthaus" und "Thomas" von Georg Friedrich Haas. Das Publikum ist restlos begeistert.

Von Reinhard J. Brembeck

Dass sich die Beschreibung zum Einmachen von Quitten vorzüglich als Arientext eignet, das haben 400 Jahre nach dem Opernpionier Claudio Monteverdi erst der eigenwillig großartige Komponist Georg Friedrich Haas und sein Librettist Händl Klaus belegt. Aber Alltag auf der Opernbühne ist nach wie vor ungewöhnlich. Nach wie vor hält sich das Genre lieber an psychologische Tiefenschürfungen im von Welt und Liebe versehrten Ich. So hat auch Haas, Jahrgang 1953, begonnen, hat Adolf Wölfli, Friedrich Höderlin, Franz Kafka und Jon Fosse veropert. Dann aber stieß Haas auf den Dramatiker Händl Klaus, und plötzlich kam dann auch noch der ganz normale Alltag in seine Opern. Die Trias "Bluthaus", "Thomas" und "Koma" erzählt vom Tod, vom Verlust naher Menschen. Diese Opern zoomen das größte Leid ganz nah heran, sie kombinieren Sprechgesang, Verständlichkeit und eine zwischen Wummern und Klangband-Esoterik changierende Orchestermusik. Zudem haben diese beiden Opernmacher einen Hang zu Drastik, Kolportage, Unsentimentalität, dem kann sich ein Publikum nicht entziehen.

Wie jetzt in München. Der neue Staatsopernintendant Serge Dorny programmierte kühn die drei Stücke an drei Abenden für sein neu erfundenes "Ja, Mai"-Festival als Koproduktion mit anderen Münchner Häusern. Corona aber machte das über weite Passagen im Dunkeln zu spielende "Koma" unmöglich, das MusicAeterna-Orchester von Teodor Currentzis konnte nicht aus Petersburg anreisen. Bleiben also das einen Kinderschänderinzest und eine Mordtat an den Eltern evozierende "Bluthaus" sowie "Thomas", der Abschied eines Mannes von seinem Lebensgefährten. Dazu wird todesnahe Vokalmusik von Monteverdi gereicht, Ausschnitte aus dem "Ballo" und der Klage der Nymphe. Das ist thematisch wie musikalisch stimmig, geht es doch Haas wie seinem Vorgänger komponierend um Deklamation und Verständlichkeit. Begeisterter Beifall.

Zuletzt singt Vera-Lotte Boecker Monteverdis "Klage der Nymphe" als finale Verzweiflung, der Suizid erscheint unausweichlich

Bo Skovhus singt faszinierend die eingangs erwähnte Arie von der Quitte, die einzige größere Nummer in "Bluthaus", das in der Inszenierung von Claus Guth ein wenig zu eindeutig und früh auf das Thema Inzest festgelegt wird und damit den Zuschauer um seine produktiven Zweifel an der Zielrichtung des Stücks bringt. Skovhus singt also nicht nur faszinierend den von seiner Frau (oder seiner Tochter?) ermordeten Wiedergänger, er macht sich zugleich über die Tochter her, der Inzest wird in dieser irrealen Gespensterszene mehr als offenkundig. Wirken deshalb die langen, auch komischen Szenen um den von der Tochter betriebenen Verkauf des abgelegenen Hauses, in dem Inzest wie Elternmord geschah, etwas schal? Obwohl ein Großaufgebot von Schauspielern des koproduzierenden Residenztheaters alles tut, um die Meute der möglichen Käufer zu camouflieren, zu karikieren und zu banalisieren.

Vera-Lotte Boecker als die geschändete Tochter liefert im Cuvilliés-Theater ein packend beängstigendes Psychogramm einer im Horror groß gewordenen, vielfach geschändeten und dennoch nicht pervertierten Frau. Boecker meidet große Gesten, sie ist dafür erfüllt von einer versehrenden Intensität, die selbst die vertracktesten Gesangslinien in den Ausdruck von Schrecken und Lebenswillen verwandelt. Nur langsam erlischt der Behauptungswille dieser Gestalt. Zuletzt singt Boecker Monteverdis "Klage der Nymphe" als finale Verzweiflung, der Suizid erscheint unausweichlich.

Holger Falk gibt in "Thomas" das männliche Gegenstück zu Boeckers Tochter. Diesem Thomas fällt es sehr viel schwerer zu leiden und Abschied zu nehmen als der Frau, sein mächtiges Ego steht ihm selbst dann noch im Weg, als er den Tod seines Liebsten erlebt. Falks Thomas steht voll im Saft, ist Workaholic und Egoshooter, er hat nie leiden müssen und keinerlei Bezug zu einer wie auch immer gearteten Transzendenz. Wie ein trotziges Kind rebelliert er gegen den Tod des Liebhabers, den er einst gegängelt hat. Falks Bariton kann peitschende Brutalität, und die Hätschelkindallüren sind diesem Mann so geläufig wie die Dauersiegerpose. Wie soll so einer trauern?

"Thomas" wirkt ausgereifter als "Bluthaus", die Übergänge sind eleganter, die Verschränkung der Ebenen ist raffinierter

Die Regisseurin Anna-Sophia Mahler hat sich im Utopia von Katrin Connan ein faszinierendes Riesenungetüm auf die Bühne stellen lassen, das das anfangs gerade noch zuckende Herz des sterbenden Liebhabers darstellt, dann das steinerne Herz des Protagonisten. Im Inneren hockt das eigenwillige, in Mikrotonales verliebte Ensemble aus Akkordeon, Schlagwerk, Zupfinstrumenten. Obwohl Ärzte, Pfleger, Leichenwäscherinnen und eine schrill erotisierte Bestattungsunternehmerin Thomas' Trauerarbeit durch banalen Alltag aufbrechen, kommen sie alle nicht an gegen die urgewaltigen Ichverkapselung des Holger Falk.

"Thomas" wirkt kompositorisch wie dramaturgisch ausgereifter als "Bluthaus", die Übergänge sind eleganter, die Verschränkung der Ebenen ist raffinierter, Drastik und Hang zum Grand Guignol vermittelter. Zudem konzentriert sich das Stück auf den Protagonisten, der eineinhalb Stunden im Dauereinsatz ist. Was den sensiblen Berserker Holger Falk erst so richtig in Fahrt zu bringen scheint. Sein Thomas kann sich so gar nicht mit dem Tod des Liebsten abfinden, er imaginiert dann im Schmerz dessen Wiederauferstehung. Auch deshalb ist die Sogwirkung von "Thomas" noch größer als von "Bluthaus", das sich als Ensemblezwitter zwischen Oper und Schauspiel versucht.

Die Musik von Georg Friedrich Haas kann süchtig machen, sie macht es in München. "Koma" ist auf 2024 verschoben. Wie um alles in der Welt sollen die Münchner diese vermutlich ziemlich Haas-lose Dürreperiode durchhalten?

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