Geoengineering:Wir basteln uns eine Erde

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Wettermacher Mensch: Technisch ist es längst möglich, Wolken mit Salzen oder Silberiodid zu "impfen", um künstlichen Regen zu erzeugen. (Foto: Chris Gardner/AP)

Schwefel in die Stratosphäre pumpen, Ozeanströmungen umleiten, Wüsten mit weißer Plastikfolie abdecken: Ist Geoengineering unsere letzte Hoffnung - oder der endgültige Schritt in den Abgrund?

Von Gerhard Matzig

Venedig würde es heute nur noch als eine Art Almdorf geben und Sardinien könnte sich zum Luftkurort entwickeln. Jedenfalls dann, wenn sich der Münchner Architekt Herman Sörgel seinerzeit durchgesetzt hätte mit seiner Idee vom Bau eines Kontinents namens "Atlantropa". Sörgel wollte in den Zwanzigerjahren Land von der Größe Spaniens formen. Mit Hilfe gigantischer Staudämme wollte er das Mittelmeer um bis zu 200 Meter absenken. Afrika ließe sich so mit Europa verbinden. Doch nicht mal die Nazis mochten sich begeistern für ein derart titanisches Herumkneten am Mittelmeerraum. Sörgel starb 1952 bei einem Verkehrsunfall. Die Idee von Atlantropa starb mit ihm.

Man fühlt sich an derartige, immer etwas größenwahnsinnige Projekte der Baugeschichte erinnert, wenn man vom Tun heutiger Geoingenieure hört, die zu den schillernden Protagonisten im Anthropozän gehören. Das ist die Epoche, in der wir als Spezies zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf der Erde geworden sind. Man muss sich den blauen Planeten nun als Kugel vorstellen, die von einem gigantischen Daumenabdruck gestempelt ist. Wir haben die Atmosphäre durch Treibhausgase verändert und das Angesicht der Erde grundlegend verändert. Das Geoengineering soll dabei helfen, die Folgen dieser Veränderungen in den Griff zu bekommen. Die Frage ist, ob wir dadurch die Erde rettend gestalten oder noch mehr verunstalten - und womöglich ruinieren.

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Geoengineering ist eine ingenieurstechnische und wissenschaftliche Disziplin, die hauptsächlich dem Klimawandel und der Erderwärmung abhelfen soll, weshalb sie auch als "Climate Engineering" bezeichnet wird. Gemeint ist damit der technische und großmaßstäbliche Eingriff in global wirksame Erdkreisläufe. Wobei der Eingriff hauptsächlich auf das Stoppen oder wenigstens Verlangsamen der anthropogenen Klimaerwärmung zielt. Außerdem auf den Abbau der Kohlenstoffdioxid-Konzentration (CO₂) in der Atmosphäre. Und auch gegen die Versauerung der Meere meinen die Ingenieure und Großklempner vorgehen zu können. Die Frage ist, ob der Geoingenieur tatsächlich zum Retter heranreift. Oder ober er derjenige sein wird, der auf den fatal falschen Knopf drückt.

Beim Climate Engineering geht es im Grunde um zwei grundsätzliche Ideen und Ansätze. Einmal wird versucht, die Sonneneinstrahlung auf die Erdoberfläche zu verringern beziehungsweise zu reflektieren. Zum anderen geht es darum, die für die Erwärmung der unteren Atmosphäre verantwortlichen Stoffe, also sowohl natürliche Treibhausgase wie auch anthropogene Emissionen (vor allem Kohlenstoffdioxid, Methan und Distickstoffmonoxid), aus der Atmosphäre zu nehmen und in den Ozeanen, in den terrestrischen Biosphären oder direkt geologisch zu speichern.

Mit anderen Worten: Es gibt das Vermeidungs-Prinzip "großer Schirm" oder das Verarbeitungs-Prinzip "Suppe auslöffeln". In beiden Fällen wollen Ingenieure die Erde retten, indem sie den Planeten im ganz großen Stil manipulieren. Den XXL-Schirm gibt es übrigens auch in einer sozusagen natürlichen Form. Nämlich als dramatischen Vulkanausbruch.

Nach einem Jahrhunderte währenden Schlaf erwachte am 15. Juni 1991 der Vulkan Pinatubo, gelegen auf der philippinischen Insel Luzon, zu einer gigantischen Eruption. Die Eruptionswolke aus Tephra (hauptsächlich Asche) breitete sich bis zu einer Höhe von 40 Kilometern aus. Die Aschewolke umfasste eine Fläche von 125 000 Quadratkilometern und führte zu totaler Dunkelheit. Und zwar zur Mittagszeit. Die Erdstöße waren so stark, dass die Seismometer ausfielen. Selbst im knapp hundert Kilometer entfernten Manila regnete es noch Asche vom Himmel. Mindestens 875 Menschen kamen während des Vulkanausbruchs um.

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Es klingt daher zynisch, wenn man feststellt: Mit Blick auf den Klimawandel hatte der Ausbruch auch etwas Gutes, denn tatsächlich sorgten die bald weltweit verbreiteten Schwefel-Aerosole der Aschewolke dafür, dass sich die globale Durchschnittstemperatur um etwa ein halbes Grad reduzierte. Es dauerte Jahre, bis sich die Schwefeldecke als Riesenschutzschirm ganz aufgelöst hatte. Wenn man bedenkt, dass die globale Erwärmung seit Beginn der Industrialisierung, also seit etwa zwei Jahrhunderten, rund 1,2 Grad Celsius beträgt und uns von der in der Fachwelt als katastrophal angesehenen Zwei-Grad-Grenze nur 0,8 Grad Celsius trennen: Ein halbes Grad könnte die Welt bedeuten.

Kein Wunder, dass die Ingenieure und Wissenschaftler schon längst auf die Idee gekommen sind, den Vulkan-Effekt künstlich nachzuahmen. Paul Josef Crutzen ist einer davon. Der niederländische Meteorologe, der 1995 für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Atmosphärenchemie den Nobelpreis erhielt und der den Anthropozän-Begriff miterfunden hat, wollte etwa mit Hilfe Tausender von Ballons von den Tropen aus Schwefel in die Stratosphäre bringen. In zehn bis 50 Kilometer Höhe sollte das Gas freigesetzt und zu Schwefeldioxid, SO₂, verbrannt werden, woraus schließlich Sulfatpartikel entstünden, wie sie auch bei Vulkanausbrüchen entstehen. Rund eine Million Tonnen Schwefel jährlich, so Crutzens Kalkül, würde reichen, um die Erwärmung durch Treibhausgase halbwegs zu kompensieren.

Ulrike Niemeier vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg glaubt ebenfalls, dass schon heute eine Art SO₂-Schutzschirm "technisch möglich" ist. Allerdings: "Das System Klima ist so komplex, dass wir auch mit Modellrechnungen nicht vorhersagen können, ob es nicht unerwartete Nebenwirkungen gibt." Das ist aber der Punkt: Technisch möglich auf dem Gebiet des Geoengineering ist vieles - doch die Konsequenzen sind unklar. Es fehlt daher weder an Innovationsglaube noch, im Gegenteil, an Skeptizismus, sondern vor allem an neutraler Forschung.

Einige größere Feldversuche gibt es dennoch. In der Schweiz wurde etwa mit riesigen, fabrikgroßen "Saugern" schädliches CO₂ aus der Luft gefiltert. An sich ist das keine technologische Herausforderung, eher eine logistische. Denn Unmengen von Kohlenstoffdioxid müssten dann in der Erde gelagert werden - mit bislang unabsehbaren Folgen für die seismische Statik und das existenziell notwendige Grundwasser.

Interessant ist auch die Überlegung, wonach man mit gewaltigen Pumpen kaltes Wasser aus der Tiefsee nach oben schaufeln könnte. Kälteres Wasser kann mehr CO₂ binden als warmes. An der Meeresoberfläche könnte das kalte Wasser Kohlenstoffdioxid aufnehmen, um damit, da kaltes Wasser auch schwerer ist als warmes, wieder abzusinken. So würde man aus den Ozeanen allmählich gewaltige Speicherstätten für Kohlenstoffdioxid machen. Andreas Oschlies vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel schätzt, dass sich auf diese Weise etwa zehn Prozent der heutigen Emissionen kompensieren ließen. Technisch ist das machbar, sagt er, "die Frage ist aber: Wollen wir das?" Denn auch hier sind die Folgen bislang unabsehbar. Oschlies: "Für nur zehn Prozent Kompensation würden wir massiv in den Wasserhaushalt der Erde eingreifen." Letztlich weiß man einfach zu wenig über die Folgen theoretisch denkbarer Eingriffe. Solange man aber nicht weiß, wo man hinfährt, sollte man vielleicht nicht allzu sehr aufs Gaspedal drücken, sondern erst mal für Orientierung und gute Sichtverhältnisse sorgen.

Nachgedacht wurde auch schon über Unmengen von kleinen Spiegeln, die, in der Umlaufbahn stationiert, das Sonnenlicht reflektieren sollen. Und die Ozeane wollte man im gigantischen Maßstab mit Eisen düngen, weil Eisensulfat als Mikronährstoff eine enorme Algenblüte auslösen könnte. Algen nehmen CO₂ auf. Britische Forscher wiederum beschäftigen sich mit der gentechnischen Herstellung von stark reflektierenden Getreidesorten (Bio-Geoengineering). Dann gibt es auch die Idee, ganze Wüsten mit Plastikfolien abzudecken. Oder den bisweilen (etwa in Los Angeles) verwirklichten Plan, Dächer und Straßen weiß anzustreichen. Auch das zielt auf das "Sonnenstrahlungsmanagement", auf das Reflektieren von Licht.

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So viel Fantasie und Kühnheit gibt es, um mit viel zu viel CO₂ in der Atmosphäre fertig zu werden. Wie wäre es denn, nur mal so ins Blaue hineingedacht, wenn man erst mal gar nicht so viel von dem Zeug produzieren würde? Na gut, das ist natürlich eine dermaßen absurde Idee, dass es die kollektive Fantasie dann doch überfordert.

Die Technikgeschichte weiß um das grundsätzliche Dilemma der Ingenieure und Wissenschaftler: Ihre Hervorbringungen können die Welt besser machen - aber auch das Gegenteil bewirken. Die Technik ist etwas zwischen Goethes Zauberlehrling, Düsentriebs Helferlein und dem Golem, weshalb auch die gesellschaftliche Rezeption technologischer Evolution stets gewisse Muster zeigt: Die Reaktionen reichen von Euphorie bis Untergangsskeptizismus, von bedingungsloser Zustimmung bis vorverurteilender Ablehnung.

Die Debatte über die Möglichkeiten und Risiken des Geoengineering macht da keine Ausnahme. Viele warnen davor, überhaupt einzugreifen in den Organismus der Erde. Das aber tut der Mensch, seit er auf der Welt ist: Er verändert die Grundlagen seiner Existenz. Es geht daher längst nicht mehr darum, ob man eingreifen soll. Sondern wie.

© SZ vom 17.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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