Süddeutsche Zeitung

Gendergerechte Sprache:Ein amtliches Pflaster kann den Makel des Deutschen nicht zukleben

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat getagt und beschlossen, dass es in Sachen gendergerechter Sprache nichts zu beschließen gibt - das ist eine feine Nachricht.

Kommentar von Marie Schmidt

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat getagt und beschlossen, dass es nichts zu beschließen gibt. Es wird weiterhin keine einheitliche geschlechtergerechte Schreibweise geben. Das ist eine feine Nachricht, weil es doch etwas zu einfach gewirkt hätte, mit einem amtlichen Pflaster einen viel diskutierten Makel des Deutschen zuzukleben: Es ist (und bleibt) eine Männersprache.

Die kürzere und deshalb als Normalzustand geltende Form vor allem von Substantiven ist die maskuline. Sie gilt als "generisch", zum Beispiel im Satz: "Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!" Man wisse selbstverständlich, dass auch Ärztinnen und Apothekerinnen mitgemeint seien, sagen Liebhaber der herkömmlichen Sprache. Andere finden das ungerecht und haben viele Vorschläge für eine Sprache entwickelt, in der Frauen und Menschen, die sich keinem der klassischen Geschlechter zugehörig fühlen, auch explizit angesprochen würden.

Gerade deshalb sieht sich der Rat für deutsche Rechtschreibung aber nicht in der Lage, feste Regeln für eine geschlechtergerechte Sprache aufzustellen: Es kursieren zu viele Formen. Der Rat ist zwar "die maßgebende Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung" und bemüht sich um Regelwerke für Behörden, Gesetzgeber und Schulen. Anders als etwa die Académie française hat er aber keine normativen Aufgaben zur Vereinheitlichung der Sprache. Vielmehr beobachtet dieses Gremium aus Didaktikern und Vertretern von Sprachwissenschaft, Buchhandel, Schriftsteller- und Journalistenverbänden die Entwicklungen des Sprachgebrauchs.

Und dabei hat man, gemäß der jüngsten Erklärung des Rats zur geschlechtergerechten Schreibung, "einen Pluralismus grundsätzlicher kultureller, wissenschaftlicher, weltanschaulicher, sprachlicher und politischer Wahrnehmungen geschriebener Sprache als Darstellung von Lebenswirklichkeit" festgestellt. Eine schön komplizierte Formulierung, hinter der sich zweierlei verbirgt: einerseits die vielen Formen von der Mehrfachnennung der Geschlechter über die Binnenmajuskel und den Gender Gap bis zum Gender-Sternchen; andererseits die Uneinigkeit darüber, was Sprache soll. Soll sie die Wirklichkeit abbilden und dabei unauffällig bleiben? Oder sie in einer weltanschaulich konkreten, womöglich sogar politischen Weise prägen? Die Überzeugung, dass jede Sprache, auch die "normale", Wirklichkeit prägt, hat zur Popularität der Forderung nach einer geschlechtergerechten Sprache beigetragen. Der Rat für Rechtschreibung wolle sich allerdings nicht für politische Ziele instrumentalisieren lassen, sagte sein Vorsitzender Josef Lange. Und so hält man sich vorerst vornehm zurück.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2018/luch
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