Ausstellung über Gender im Design:Wo die Höllen rosa sind

10_The Pink Project - Emily and Her Pink Things, NY, USA 2005 © JeongMee Yoon

Ein Bild aus der Serie "The Pink Project" (2005) von JeongMee Yoon: "Emily and Her Pink Things".

(Foto: © JeongMee Yoon)
  • Die Ausstellung "Nicht mein Ding - Gender im Design" im Archiv der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm ist eine der ersten in Deutschland, die sich mit Gender Design beschäftigt.
  • "Nicht mein Ding" will nichts proklamieren, sondern eher zum Gespräch auffordern.
  • Kompakt und angenehm nüchtern macht die Schau die Trennung zwischen Geschlechtern sichtbar.

Von Laura Weißmüller

Wer schon einmal mit einem hungrigen Baby einen Platz zum Stillen in der Öffentlichkeit gesucht hat, weiß, was Nöte sind. Das Kleine schreit sich die Seele aus dem Leib, und man selbst scannt sogar die widrigsten Orte als Möglichkeit ab, dort blank zu ziehen: Toilette, Umkleidekabine, Hauseingang. Es sind quälende Momente für alle Beteiligten. Nach einem solchen Erlebnis sorgt die Angst davor dann dafür, dass die Mütter im Notfall schnell zu Hause sein wollen. Abhängig von der Stillfrequenz eines Kindes kann der Radius auf einen halben Kilometer zusammenschrumpfen.

Der Notfall ist eigentlich eine Alltagssituation - Babys haben nun mal Hunger -, doch im öffentlichen Raum kommt diese nicht vor, besser gesagt: im Entwurf des öffentlichen Raumes. Denn wie Plätze, Straßen, Parks gestaltet sind, folgt ja einem Plan. Doch offenbar keinem, in dem stillende Mütter einen Platz haben. "Menschen formen Dinge, Dinge formen Menschen", sagt Katharina Kurz, die zusammen mit Pia Jerger eine der ersten Ausstellungen in Deutschland kuratiert hat, die sich mit Gender Design beschäftigt. "Nicht mein Ding - Gender im Design" lautet der Titel der kompakten und angenehm nüchternen Schau im Archiv der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm. Mit dem Titel begegnen die Kuratorinnen schon vorab den gewaltigen Ressentiments, die dem Begriff "Gender" entgegengebracht werden. Denn es ist ja nicht nur die AfD, die gegen einen vermeintlichen "Gender-Wahn" polemisiert. Als im vergangenen Jahr das dritte Geschlecht in Deutschland als Option zugelassen wurde, schlugen die Wellen hoch - so, als würden die anderen beiden Geschlechter dadurch etwas verlieren.

Männlich, weiblich, divers: Jede Geschlechtsidentität wird im Design sichtbar

Umso wichtiger ist eine Schau wie die in Ulm. Gender bedeutet im Englischen sehr viel mehr als bloß die Unterscheidung zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht, es ist die soziokulturell geprägte Geschlechtsidentität. Und die wird praktisch sichtbar im Design - und zwar für jeden, ganz egal welches Geschlecht er, sie oder es hat. Denn Design ist nie neutral. Wie auch? Der Mensch ist es ja auch nicht. Alles, was entworfen wird, richtet sich an eine Zielgruppe. Nach welchen Kriterien die wiederum geformt wird, spiegelt genau den Zustand der Gesellschaft, ihr Wertesystem und ihre Wünsche wider.

Beklemmend gut sichtbar wird das bei Spielsachen. Die südkoreanische Fotografin JeongMee Yoon zeigt das in ihrer bekannten Arbeit "The Pink Project" aus dem Jahr 2005: Sie hat Mädchen mit ihren Spielsachen in deren Zimmern aufgenommen. Es sind Höllen aus pink und rosa, ein Horror Vacui des Konsumrausches und der globalen Vermarktungsindustrie. Die Mädchen selbst sind auf den ersten Blick kaum sichtbar, mit ihren rosafarbenen Kleidern verschwinden sie nahezu vollständig zwischen ihren Puppen, Plüschtieren, Stiften, Rucksäcken. Den pinkfarbenen Höllen folgten blaue, als die Fotografin ein Jahr später Jungs in ihren Zimmern aufnahm, auch ihnen blieb das Ausstaffiertwerden nicht erspart.

"Design sollte mehr können, als irgendetwas pink einzufärben und das Ziel zu haben, Sachen zweimal zu verkaufen", sagt Kurz. Probleme lösen etwa, Dinge einfacher machen, Neues erfinden. Doch die Industrie hat erkannt, dass sich Spielwaren besser verkaufen lassen, wenn sie einem Geschlecht klar zugeordnet sind. So deutlich wie auf JeongMee Yoons Fotografien ist das heute fast in jeder Spielwarenabteilung. Es gibt den Bereich für Jungen und den für Mädchen. Vorbei die Zeiten, in denen Lego einen Jungen und ein Mädchen mit bunten Legosteinen für ihr Produkt werben ließ. Heute wartet "Lego Technic" in der Jungsecke und animiert zum ingenieurshaften Zusammenbauen, während die Mädchen mit "Lego Friends" so gut wie gar nichts mehr konstruieren können, dafür ihre Legofiguren aber ein großes Interesse daran vermitteln, Kaffee trinken zu gehen, den Schönheitssalon zu besuchen oder den Ponyhof - überwiegend in den Farben lila und pink versteht sich.

Was für ein Kontrast zu den Entwürfen der Ulmer HfG! Etwa dem herrlichen Tierbaukasten von Hans von Klier, bei dem die Holzfiguren so reduziert sind, dass Raum für Fantasie bleibt, oder den modularen Kindermöbeln von Hans Gugelot, die ihre kleinen Besitzer selbst zusammenbauen konnten, zu Autos, Wippen, Klettergerüste. Beide Entwürfe stammen aus den Fünfzigerjahren, einer Zeit, in der die Rollenverteilung vermeintlich fix war. War sie auch, nur hatte die Industrie noch nicht erkannt, wie sie das für sich ausnutzen konnte.

Auch in vermeintlich neutralem Gebiet wird gegendert

"Es kann nie gut sein, aufgrund seines Geschlechts in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden", sagt Kuratorin Kurz. Was bei Kindern die Unterteilung in rosa und blau ist, zeigt sich für die Erwachsenen in der Trennung im Drogeriemarkt. Aus dem Shampoo für die ganze Familie ist längst das Produkt "extra für den Mann" oder "extra für die Frau" geworden. Verpackung und Formgebung reflektieren das ausschließlich binäre System. Selbst Nivea zog nach. Die Cremedose, die sich an eine männliche Zielgruppe richtet, wurde in einem metallischen Blau eingefärbt. Das Gendern lassen sich die Firmen teuer bezahlen, "Pink Tax" wird der Preisaufschlag genannt, den Frauen für ihre Körperpflegeprodukte mehr zahlen müssen als Männer.

Auch in vermeintlich neutralem Gebiet wird gegendert. Die Piktogramme, die Otl Aicher für die Olympischen Spiele 1972 entwarf, gelten gemeinhin als Goldstandard für eine zeitlose und vor allem klar verständliche Orientierung. Bei den meisten Symbolen stimmt das bis heute. Doch was bitte bedeutet der entblößte Frauentorso mit den kugelrunden Brüsten? Das war das offizielle Zeichen für den Sexshop.

Eine Bank zum Stillen für Mutter und Kind? Bislang noch ein Prototyp

Auch die kanadische Architektin und Designerin Olivia Daigneault Deschênes untersuchte für ihre Arbeit "Show me how you eat, I will tell you who you are", die im Rahmen eines dreimonatigen Designer-in-Residence-Programms an der HfG entstand, vermeintlich neutrales Gebiet: Essen. Wer isst wie? Wer kocht wann? Wer nimmt sich welchen Platz am Tisch? Die Designerin macht in ihren Entwürfen schnell klar, wie stark auch dieses Verhalten von sozialen Erwartungen aufgeladen ist. Das von ihr entworfene Besteck für die Frau wirkt wie Puppenutensilien, es zwingt die Benutzerinnen dazu, möglichst damenhaft, sprich in Miniaturbewegungen, zu essen. Das männliche Besteck fordert dagegen dazu auf, es mit raumgreifenden Gesten zu benutzen. Daigneault Deschênes hatte auch keine Scheu, sich für ihre Arbeit den Ulmer Hocker, eine Design-Ikone von Max Bill, vorzunehmen. Ist die minimalistische Holzkonstruktion nicht Inbegriff neutralen Designs? "Die Benutzer sind aber nicht neutral. Sitzen ist Akt der Identität. Jeder hat eine Agenda." Daigneault Deschênes hat "personalisierte" Versionen des Hockers geschaffen, der eine kippt, was beim Sitzen ein gewisses Balancegefühl erfordert, der andere zwingt dazu, die Beine möglichst eng beieinander zu halten, was eine Antwort auf "Manspreading" sein dürfte.

Die Stärke dieser Ausstellung ist ihre Offenheit. "Nicht mein Ding" will nichts proklamieren, sondern eher zum Gespräch auffordern. Indem die Ausstellung über den Alltag einen Art Filter laufen lässt, macht sie die Trennung zwischen den Geschlechtern sichtbar. Und allein dadurch wird klar, wie viel gewonnen würde, wenn das Thema Gender im Design endlich mehr Aufmerksamkeit bekommt: Wer sich in einem Entwurf mit seinen Bedürfnissen wiederfindet, wird sich wohl akzeptiert, wertgeschätzt fühlen. Wie die Mutter, die das Glück hat, auf eine "Heer Bench" zu stoßen. Es ist eine Bank zum Stillen, die den Frauen und ihren Kindern einen angenehmen Rückzugsort bietet und gleichzeitig die Möglichkeit, am Leben im öffentlichen Raum teilzunehmen. Bislang ist die Bank nur ein Prototyp. Zeit, dass sich das ändert.

Nicht mein Ding - Gender im Design, HfG-Archiv, Museum Ulm. Bis 19. Mai. Infos unter www.hfg-archiv.museumulm.de

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