Gemäldeausstellung "Artemisia" in London:Notorisch

Gemäldeausstellung "Artemisia" in London: Artemisia Gentileschi wurde als 19-jährige vergewaltigt und durch den folgenden Prozess sehr berühmt. Später malte sie blutige Gemälde wie "Judith und Holofernes" (1612).

Artemisia Gentileschi wurde als 19-jährige vergewaltigt und durch den folgenden Prozess sehr berühmt. Später malte sie blutige Gemälde wie "Judith und Holofernes" (1612).

(Foto: Luciano Romano / Museo e Real Bosco di Capodimonte)

Wie die Malerin Artemisia Gentileschi um 1600 zur Legende und dann vergessen wurde, enthüllt die National Gallery in London. Ihr Ruhm begann mit einem Prozess, bei dem sie das Opfer war, und steigerte sich später durch ihre spektakulären Gemälde.

Von Catrin Lorch

Natürlich ist das nur rote Farbe auf Leinwand - aber wann immer es in der Kunst blutig rinnt, geht es auch um Delikatesse, um pure Virtuosität. Dann spielt eine Künstlerin wie Artemisia Gentileschi ihr ganzes Können aus. Über das Gemälde "Judith und Holofernes" (1612) rinnen und laufen die tiefdunklen Rottöne, weswegen die Frau, die dem Mann gerade mit aller Kraft den Kopf abschneidet, vollkommen überzeugend wirkt.

Steckt auch etwas von Artemisia in ihr? Das fragten sich viele zu Lebzeiten der Künstlerin, die im Jahr 1593 in Rom als älteste Tochter des Malers Orazio Gentileschi geboren wurde. Artemisia galt an Europas Fürsten- und Königshöfen zwischen Florenz, Neapel, Venedig und London als Genie, verkehrte mit Größen wie dem gleichnamigen Neffen Michelangelo Buonarottis - dem sie "wie eine Tochter" sein wollte - und war eng mit Galileo Galilei befreundet. Dennoch war die Rezeption ihres Werks in den vergangenen Jahren vor allem von zwei Fragen beherrscht: Wie hatte es eine Frau geschafft, als Barockmalerin so aufzusteigen? Und: wie konnte die Kunstgeschichte diese Frau so vollkommen vergessen?

Die erste Frage lässt sich leichter beantworten. Vater Orazio, ein bekannter Maler und enger Freund Caravaggios, erkannte und förderte früh ihre Begabung und begründete schon zu der Zeit eine lokale Legende um Artemisia, als die Dreizehnjährige nach dem Tod der Mutter den Haushalt führen und sich um ihre jüngere Geschwister kümmern musste: Artemisias Schönheit und Begabung seien so außergewöhnlich, dass er gezwungen sei, sie hinter dicken Mauern zu verbergen.

Als Artemisia dann von einem Maler, den ihr Vater als Lehrer für Perspektive verpflichtet hatte, vergewaltigt wurde, trat sie erstmals in die Öffentlichkeit. Mit einem Prozess, in dem die Neunzehnjährige - der man Daumenschrauben anlegte - um ihren Ruf kämpfen musste, der auch durch einen Schuldspruch des Vergewaltigers nicht wirklich repariert war. Unmittelbar danach heiratete sie den Maler Pietro Stiattesi und zog mit ihm nach Florenz, wo sie, als erste Frau, von der Accademia dell' Arte del Disegno aufgenommen wurde.

Eine Malerin, die sehr berühmt war und den Mythos um ihre Person zu nutzen wusste

Die National Gallery in London würdigt jetzt das Werk von "Artemisia" in einer dreißig Gemälde umfassenden Ausstellung, die mehr ist als eine pflichtbewusste Aufarbeitung. Sie knüpft nämlich einerseits an den Ankauf ihres "Selbstbildnis als Heilige Katharina von Alexandria" (1615-17) an. Und präsentiert erst kürzlich aufgefundenen schriftlichen Zeugnisse, etwa die Akten des Prozesses und Briefe, die sie ihrem Liebhaber Francesco Maringhi schrieb. Diese belegen, dass die Malerin nicht nur im Atelier, sondern auch im öffentlichen Leben voller Selbstbewusstsein gleichzeitig ihren Gatten, ihre Geschwister und ihren Liebhaber für ihre Kunst zu instrumentalisieren wusste.

Vor allem nutzte sie aber den Mythos um ihre eigene Person. Der, wie im Katalog beschrieben wird, zu ihrem "Alleinstellungsmerkmal" wird. Die junge Frau, durch eine Gewalttat zu notorischer Berühmtheit verurteilt, setzt in aller dem Barock eigenen Dramatik vor allem bluttriefende Motive - wie "Judith und Holofernes" und "Kleopatra" - oder erotische Übergriffe wie "Susanna und die Alten" in Szene. Dazu kommen zahlreiche Anverwandlungen ihres eigenen Porträts, wobei der Katalog es offen lässt, ob es Pragmatismus war (in einem Brief an einen Gönner beklagt sich die Malerin über die horrenden Kosten für Modelle) oder nicht doch ein raffiniertes Spiel mit der eigenen Schönheit und weiblichen Rollen wie Heldinnen, Märtyrinnen und Allegorien. Dass über solche Überlegungen hinaus auch ausführlich die Forschungen zum Umfeld ausgebreitet werden, ist Kunstgeschichte im besten Sinn und zeigt die bedeutende Stellung der Frauen im damaligen Florenz.

Im Rundgang fallen dann vor allem Motive auf wie die frühe "Maria Magdalena in Ekstase" (1620-25) und das späte "Selbstporträt als die Allegorie der Malerei" (1638-39) auf. Weil die Kunst da ganz bei sich bleiben darf, fern von aller auftrumpfenden Virtuosität. Die fast lässig gemalten Frauen - die Sünderin, die sich mit geschlossenen Augen zum Himmel richtet und die kraftvoll das Bild beherrschende Künstlerin, die sich schwungvoll ihrer Leinwand zuwendet - verschließen sich dem Betrachter, dürfen ganz bei sich bleiben.

Warum nun konnte die Kunstgeschichte diese Malerin, die wohl im Jahr 1654 in Neapel starb, so vollkommen vergessen? Es hat womöglich damit zu tun, dass sich die überwiegend männlichen Künstler einfach nicht mit einer Frau identifizieren mochten - zu stark hatte sie vor allem als weibliche "Künstlerin" Aufsehen erregt. Dass sie psychologisch aufmerksam und unerhört kühl operiert, übersahen Generationen. Bis es die feministischen Künstlerinnen der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts waren, die einforderten, dass sich die Kunstgeschichte und die Museen auf die Suche machen nach Frauen wie Artemisia Gentileschi. Die jetzt, endlich, nicht nur erforscht und ausgestellt, sondern durch Ankäufe verbindlich in den Kanon aufgenommen werden. Wo sie - so viel zur Statistik - die National Gallery im Bestand als 21. Werk einer Frau verzeichnet, gegenüber mehr als 2300 Werken männlicher Kollegen.

Artemisia in der Londoner National Gallery bis zum 24. Januar. Der Katalog kostet 42,34 Euro.

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