Geisteswissenschaften:Moderne Zeiten

Axel Schildt

Axel Schildt (1951-2019) war lange Direktor der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte.

(Foto: Maike Raap/FZH)

Der Historiker Axel Schildt schrieb wichtige Studien zur deutschen Nachkriegszeit, er war ein begeisterter Forscher und als Organisator und Ideengeber beliebt wie kein zweiter. Sein Tod im Alter von 67 Jahren ist ein großer Verlust.

Von Norbert Frei

Im vergangenen September, auf dem Historikertag in Münster, schien alles noch gut. "Gespaltene Gesellschaften" lautete das Motto des Kongresses, und Axel Schildt, der nie um ein gewitztes Wort verlegene Kollege und Freund, freute sich fast diebisch: Im Unterschied zur zeitgleich tagenden Deutschen Gesellschaft für Soziologie war "sein" Verband mit dem Rahmenthema und einer dann mit breiter Mehrheit verabschiedeten Resolution gegen rechts auf der Höhe der gesellschaftspolitischen Debatte.

Zu sagen, dass die deutsche Geschichtswissenschaft mit Axel Schildt eine ihrer wichtigsten Stimmen verliert, ist richtig und doch viel zu wenig. Der langjährige Direktor der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte war ein begeisterter Forscher und herausragender Quellenkenner, aber auch ein Wissenschaftsorganisator von Rang. Was ihn auszeichnete, war ein wacher Sinn für die Belange seines Faches. Aber wichtiger noch: Das daraus resultierende Engagement verband sich mit der Bereitschaft und Fähigkeit, über die Interessen der eigenen, 1949 in der kriegszerstörten Hansestadt gegründeten Einrichtung hinauszusehen - die womöglich gerade deshalb unter seiner Leitung eine stupende Produktivität entfaltete. Denn als nimmermüder Rat- und großzügiger Ideengeber war Schildt im weiten Feld der wissenschaftlichen Gremienarbeit, als Diskutant auf Konferenzen und als Kooperationspartner gefragt und beliebt wie kein zweiter. Das wirkte auf sein Institut zurück.

Axel Schildt, in Hamburg geboren und 1968 noch Schüler, hatte im folgenden "roten Jahrzehnt" in seiner Heimatstadt und in Marburg studiert, den ganzen Kanon der damals politisch für relevant erachteten Fächer, wie das in vorcurricularen Zeiten noch möglich war. Zwischen dem Ersten Staatsexamen in Deutsch, Sozialkunde, Philosophie und Erziehungswissenschaften und dem Zweiten für das Lehramt an höheren Schulen legte er 1980 in Marburg seine Dissertation vor: über die "Querfront"-Ideen Kurt von Schleichers und der Reichswehr in den späten Tagen der Weimarer Republik. Dass sich inzwischen die Neue Rechte für die alte Studie interessiert, bemerkte ihr Autor in unserem letzten Gespräch teils amüsiert, teils sorgenvoll.

Die Beschäftigung mit der (Ideen-)Geschichte des deutschen Konservatismus bildete eine Konstante in Schildts vielfältigem Werk - und eine Brücke zu seinen späteren Arbeitsschwerpunkten in der Erforschung der Nachkriegszeit. Einer bis heute lesenswerten Sozialgeschichte der bereits seit 1946 in Hamburg erbauten Grindelhochhäuser (1988) folgte nur wenige Jahre später die Habilitationsschrift über die "Modernen Zeiten" der jungen Bundesrepublik. Mit dieser medien- und konsumgeschichtlichen Pionierstudie, die die rasante Modernisierung in der Adenauerzeit herausarbeitete, ohne deren restaurative Momente und gesellschaftspolitische Hemmnisse zu leugnen, eröffnete Axel Schildt ein von ihm fortan maßgeblich geprägtes Forschungsfeld, das er mit gehaltvollen Sammelbänden über die Fünfziger- und die Sechzigerjahre erschloss und erweiterte. Sein viel beachteter Essay über die "Ankunft im Westen" (1999) lieferte dann eine zeitgeschichtliche Begründung nach für die unterdessen unübersehbare Anverwandlung der einstigen linken Jugend an die rot-grün gewordene Republik.

"Fünf Möglichkeiten, die Geschichte der Bundesrepublik zu erzählen", lautete noch im selben Jahr der geradezu aufreizende Titel eines Aufsatzes von Axel Schildt, der 15 Jahre später Ausgangspunkt für eine schöne Festschrift zu seinen Ehren werden sollte. In der Rückschau erweist sich der knappe Text freilich als eine Art historiografische Bilanz auf halber Strecke - und als verkappter Startpunkt zu etwas Neuem: Schildt war nämlich mit ansteckender Neugier und Schnelligkeit in Richtung Intellectual History unterwegs. Eine erste große Frucht dieser Forschungen bildete die eindrucksvolle Überblicksdarstellung zur Kulturgeschichte der Bundesrepublik, die er 2009 zusammen mit Detlef Siegfried bei Hanser vorlegte.

Und so verstärkte sich Schildts Faszination für die Geistesgeschichte der alten Bundesrepublik, die er schließlich als eine Geschichte der "Medien-Intellektuellen" konzipierte und die ihn zuletzt immer wieder neu in die Archive führte: zu den Nachlässen von Schriftstellern und Wissenschaftlern, von Verlegern und Publizisten, die wir als die intellektuellen household names der Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahre kennen und deren Wirkungsgeschichte zum Teil bis heute fortdauert.

Axel Schildt saß an diesem Buch, als er kurz nach dem Historikertag mit einer Diagnose konfrontiert wurde, über deren Konsequenz er sich keine Illusionen machte. Er schrieb weiter, mit dem ihm eigenen Enthusiasmus und liebevoll unterstützt von seiner Familie, mit der er die verbleibende Zeit gestaltete. Sein Opus magnum muss nun posthum erscheinen.

Am vergangenen Freitag ist Axel Schildt im Alter von nur 67 Jahren in Hamburg gestorben.

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