Süddeutsche Zeitung

Geisteswissenschaft:Strenges Denken

Vor 50 Jahren hielt Michel Foucault seinen berühmten Vortrag "Was ist ein Autor?" Darin entwickelte er die Idee des Autors, der vom Literaturbetrieb produziert wird.

Gastbeitrag von Ulrich Johannes Schneider

Michel Foucault hat sich den Ruf eingehandelt, die Literatur- und Geistesgeschichte zu zersetzen. Er hielt am 22. Februar 1969 einen Vortrag mit dem Titel "Was ist ein Autor?" vor der Französischen Gesellschaft für Philosophie. Darin erklärt er den Autor als von denen produziert, die über Literatur sprechen.

Drei Wochen später erschien Foucaults Buch "Archäologie des Wissens", worin die Rede von künstlerischen "Werken" nicht weniger drastisch auf bestimmte Diskurse reduziert wird. Hat Foucault die individuelle Kreativität geleugnet? Hat er die Literatur als Fabrikation entlarvt?

Foucault war kritisch, aber nicht destruktiv. Seine Problematisierung des Autors fällt in die Zeit, als er vor den Toren von Paris die experimentelle Universität in Vincennes mitbegründete und dort auch lehrte, sich einmal sogar mit rebellischen Studierenden verhaften ließ. Diese Hochschule war kollektiv organisiert, es gab keine anerkannten Abschlüsse. Das Zertifizieren und Anerkennen war allgemein in der Krise, gesellschaftliche Autoritäten wurden lustvoll und erfinderisch ausgehebelt.

Foucault sagte auffällig oft "Ich", kaum jemand gab so viele Interviews wie er

Dabei besaß Foucault nie den Zorn eines Roland Barthes, der 1968 ohne Umschweife den "Tod des Autors" verkündet hatte. Foucault litt nicht darunter, dass Autorschaft ein Konstrukt war. Sein Ansatz war nicht derart radikal wie der von Barthes, aber durchaus wirkungsvoller: Foucault hat die "Archäologie" als Diskursanalyse in Stellung gebracht und damit jenseits der kanonisierten Geistesgrößen andere Wahrheiten zu entdecken erlaubt.

Der Philosoph Foucault sagte auffällig oft "Ich". Kaum einer bestritt so viele Interviews wie er. Und kaum ein Philosoph des 20. Jahrhunderts hat diesem produktiven Ego einen so kalten Spiegel vorgehalten: "Der Begriff Autor bildet den Angelpunkt der Individualisation in der Ideengeschichte, der Geistes- und Literaturgeschichte, ebenso in der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte."

"Was ist ein Autor?" trägt im Titel nicht zufällig eine Frage. Und natürlich gab Foucault zur Antwort, dass dem Autor durchaus Realität zukomme, dass auf ihn mehr verweise als kommentierende Zuschreibungen. Er sprach sogar von "Diskursivitätsbegründern" und meinte damit etwa Marx oder Freud, die als Autoren im weiten Sinne galten, nicht nur von Büchern, sondern von Theorien und Diskurswelten, in denen man sich theoretisch einrichten konnte. Ganz am Ende aber stehen bei Foucault wieder Fragen: "Wie, aufgrund welcher Bedingungen und in welchen Formen, kann so etwas wie ein Subjekt in der Ordnung des Diskurses erscheinen?"

Das Autorproblem als Variante des Subjektproblems: So hat Foucault sein Denken organisiert. Von der Geistes- und Literaturgeschichte zur Philosophie führt für ihn ein kurzer Weg über die Fragen nach Geltung und Genese unserer Urteile. Dabei operierte er durchaus in zwei Registern.

Den Mut des antiken Wahrheitssprechers besitze er nicht,er sei nur ein Lehrer der Philosophie

Als Philosoph der durchgesetzten Regelmäßigkeiten, ja des regelhaften Tuns und Sprechens überhaupt bewunderte Foucault zugleich Revolutionäre aller Art, künstlerische Avantgarden und innovative Literaten. Als Analytiker disziplinierender Denkweisen, die er gelegentlich "Wahrheitsregime" nannte, untersuchte er auch Praktiken, bei denen die individuelle Abweichung von der sozialen Norm zum Ausdruck kam, bis hin zur Beichte. "Der Mensch ist ein Geständnistier", sagte er einmal und meinte damit vielleicht vor allem sich selbst.

Foucault führte ein strenges Denken vor und formulierte sehr genau, scheute dabei auch die Selbstkritik nicht. In den letzten beiden Vorlesungsjahren hat er über das "Wahrsprechen" nachgedacht, dem im Christentum verinnerlichten Zwang, die Wahrheit über sich selbst zu bezeugen. Dazu erfordere es Mut, sagt Foucault seinem Pariser Publikum im Collège de France, das immer mehrere Säle füllte. Den Mut des antiken Wahrheitssprechers besitze er jedoch selber nicht, räumt er ein. Er sei nur ein Lehrer der Philosophie. Hat das jemand geglaubt?

Wer heute Foucaults Werke liest, wer seine Vorlesungen nachliest (sie liegen seit 2018 alle auf Deutsch vor), der wird einen Autor entdecken, der ungewohnte Wahrheitsspiele beschreibt und immer wieder Fragen stellt, sich dabei nie mit einmal gefundenen Antworten zufriedengibt. Wer ist Foucault?

Berühmterweise hat er gesagt, er schreibe, um sich zu verändern. Rasche Themenwechsel und oft gewandelte Beschreibungsstrategien bezeugen dies. Die Frage also "Was ist ein Autor?" lässt sich im Falle Foucaults so beantworten: Ein Autor kann sehr vieles sein, kann mehrere Funktionen haben und viele Rollen einnehmen. Wichtig ist, worüber er spricht und dass er darum gelesen wird - was für den Autor Foucault in hohem Maße noch heute gilt.

Ulrich Johannes Schneider ist Kulturphilosoph an der Universität Leipzig und Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig.

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Quelle:
SZ vom 22.02.2019
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