Geistesgeschichte:Hilli und Halla

Illustrationen für die Literaturbeilage vom ET 9.10.2018

Brille mit Kamera, Mikrofon und integriertem Bildschirm, 1997.

Mohammed-Karikaturen allüberall: Joseph Croitoru lässt in seinem Buch "Die Deutschen und der Orient" lieb gewordene Illusionen über die Aufklärung des 18. Jahrhunderts platzen.

Von Lothar Müller

Im August 1775 schrieb Friedrich der Große an Voltaire, er verhandele derzeit "mit tausend mohammedanischen Familien, denen ich in Westpreußen Heimstätten und Moscheen geben will. So wird es hier die vorgeschriebenen Ritualwaschungen geben, und man wird, ohne Anstoß daran zu nehmen, hilli und halla singen hören. Dies war die einzige Sekte, die in diesem Land noch fehlte." Eher nonchalant zitierte er mit "hilli und halla" das islamische Glaubensbekenntnis: "La ilaha illa Allah wa-Muhammad rasul Allah" (Es gibt keinen Gott außer Allah und Muhammad ist sein Gesandter). Friedrichs Sympathien für Mohammed waren gering, er hielt generell wenig von Propheten. Seine im Juli gegebene Order, "die in Polen sich aufhaltenden Tataren zu persuadiren, dass selbige sich in Meinen Landen niederlassen", war Teil seines Konzepts, die Entwicklung Westpreußens durch die Ansiedlung von Einwanderern zu fördern.

Voltaire überging die Ankündigung mit Schweigen. Vielleicht, weil ihr ein wenig Spott beigemischt war. Friedrich hatte angemerkt, er handele "als treuer Jünger des Patriarchen von Ferney", und das war Voltaire selbst, der für sein anti-mohammedanisches Drama "Mahomet" (1741) in ganz Europa berühmt war und sich seit Jahren vergeblich bemühte, den preußischen König dazu zu bewegen, gemeinsam mit Katharina II. die Türken das Osmanische Reich zu zerschlagen.

Die Verachtung des Islam war mitten in der Aufklärung stark verwurzelt

Der Historiker Joseph Croitoru, der 1960 in Haifa geboren wurde und für deutsche Zeitungen über den Nahen Osten und Osteuropa schreibt, erzählt diese Episode im Eingangskapitel seines Buches "Die Deutschen und der Orient". Sie zeigt, wie sich das anfängliche Einverständnis zwischen Friedrich und Voltaire, die beide in Mohammed eine exemplarische Figur der machtpolitischen Instrumentalisierung von Religion sahen, zum Dissens über den Umgang mit dem aktuellen islamischen Großreich wandelt. Der Dissens ging aus Friedrichs eigener Machtpolitik hervor, aus der Notwendigkeit, die preußische Expansion seit den Schlesischen Kriegen durch Bündnispolitik abzusichern. Als er 1749 befürchten musste, Russland und Österreich könnten sich zu einem Angriff auf Preußen verbünden, nutzte er den Besuch des Janitscharenrittmeisters Said Effendi in Potsdam zur öffentliche Demonstration seiner Bemühungen um eine preußisch-türkische Militärallianz.

Der Leser lernt in diesem Auftaktkapitel die beiden Grundregeln kennen, denen Croitorus Buch folgt. Die erste besagt: Achte auf die politische Großwetterlage und die aktuellen Ereignisse, die den Autoren vor Augen stehen, wenn sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts über den Islam schreiben. Die zweite lautet: Beschränk dich nicht auf das, was damals in Büchern zu lesen war, nimm hinzu, was in den Zeitungen und Zeitschriften stand, sie sind die Medien, in denen die schöngeistigen Debatten über die morgenländische Poesie auf die Nachrichten über Kriegsereignisse, Gesandtschaften und diplomatische Initiativen treffen.

Beide Grundregeln sind ergiebig. Die erste führt zur ständigen Hintergrundanwesenheit des russisch-türkischen Krieg von 1768 bis 1774 und des russisch-österreichischen Kriegs gegen das Osmanische Reich von 1787 bis 1792. Sie stellt die imaginären Türkenfiguren der Opernbühnen, Kunstmärchen, Erzählungen und Gedichte in einen aktuellen Echoraum. Die zweite Regel macht die Bedeutung der Pressepolitik Friedrichs des Großen für die islam- und türkenfreundlichen Tendenzen in der preußischen Öffentlichkeit kenntlich.

Als Gotthold Ephraim Lessing 1751 Redakteur der Berlinischen privilegierten Zeitung wurde, war seine Kritik an den negativen Stereotypen über den Orient am preußischen Hof willkommen. Die Nachzeichnung der islamfreundlichen Position Lessings ist nur ein Seitenstrang in Croitorus Buch. Seine Hauptthese besagt, dass Lessings Haltung zum Islam gerade nicht repräsentativ für die Aufklärung in Deutschland gewesen ist.

In der aktuellen Islamdebatte sehen sich diejenigen, die den Satz verteidigen, der Islam gehöre zu Deutschland, als Erben der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, berufen sich auf ihre Toleranzgebote und ihre Vorurteilskritik, auf ihren Kosmopolitismus, ihre Lust am Übersetzen. Dagegen setzt Croitoru sein Buch als eine Warntafel: Ihr, die Ihr heute Thilo Sarrazin kritisiert, glaubt nicht, dass Ihr Euch auf eine starke Tradition berufen könnt! Die Verachtung des Islam und die Dämonisierung seines Begründers waren auch dort weit verbreitet, wo Ihr sie nicht vermutet, mitten in der Aufklärung selbst, sie sind tiefer verwurzelt, als Euch lieb sein kann.

Unter Radikalaufklärern kursierte die Abhandlung "Über die drei Betrüger"

Voltaire ist auch deshalb eine Portalfigur dieses Buches, weil er Repräsentant der historischen Aufklärung ist und zugleich gegen Mohammed als einen "Betrüger" polemisiert. Eher en passant lässt Croitoru erkennen, dass es für dieses "Betrüger"-Etikett zwei Quellen gibt, die im 17. Jahrhundert wurzelnde europäische Radikalaufklärung und die christliche Abwehr eines konkurrierenden Monotheismus. Bei den Radikalaufklärern kursierte die anonyme Abhandlung "Über die drei Betrüger", die Moses, Jesus und Mohammed gleichermaßen den Prozess machte. Sie hinterließ ihre Spuren in den Schriften des Marquis d'Argens, der erotische Romane schrieb, mit Friedrich und Voltaire in Potsdam über Kleriker herzog und seinen Spott über die islamische Religion mit seinen Reiseerfahrungen als Gesandtschaftssekretär in arabischen Ländern und Anekdoten aus seinem Aufenthalt in Konstantinopel würzte. Der Marquis hat seinen Auftritt im Auftaktkapitel, wichtiger ist Croitoru die zweite, im Deutschland des 18. Jahrhunderts reichlich sprudelnde Quelle der Abwertung des Islams im Interesse der christlichen Religion.

Wenn hier Mohammed als Betrüger abgekanzelt wird, dann mit dem Ziel, dem Islam den Rang einer Offenbarungsreligion abzusprechen. Die erste deutsche Koranübersetzung aus dem Arabischen, die 1771 auf den Markt kam, hat ein Mohammed-Verächter angefertigt, der evangelische Pastor und Orientalist David Friedrich Megerlin, der in seiner Vorrede den Religionsstifter als Antichrist und falschen Propheten schmähte. Goethe hat sie sogleich für sein Gedicht "Mahomets Gesang" verwendete, und er selbst dürfte der Verfasser des Verrisses sein, mit dem sie in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen bedacht wurde.

Eine Schlüsselrolle für die Anfänge der Orientalistik in Deutschland spielte das Bündnis der protestantischen Theologie mit der Philologie. Zu Recht widmet Croitoru dieser Frühgeschichte der Orientalistik breiten Raum, im Blick vor allem auf den Göttinger Professor Johann David Michaelis und seinen Leipziger Rivalen Johann Jacob Reiske. Michaelis glaubte, weil er die arabische Kultur für geschichts- und entwicklungslos hielt, ihre vorislamischen Zeugnisse ließen sich wie ein Archiv benutzen, in dem die Lebenswelt der Juden zur Zeit der Entstehung der Bibel festgehalten ist. Seine Entdeckung des Eigenwerts der arabischen Poesie ließ sich leicht mit einem herablassenden Blick auf die islamische Religion (und auch einer gehörigen Portion Antijudaismus) verbinden. Johann Jacob Reiske steht demgegenüber für das Studium des Arabischen als lebendiger, über die Zeiten hinweg kulturell produktiver Sprache, und es liegt eine gewisse Ironie darin, dass ausgerechnet die von Michaelis initiierte und mit einem Fragenkatalog versehene Arabien-Expedition Carsten Niebuhrs die Position Reiskes bekräftigte. Niebuhrs Reisebericht erbrachte wenig für die These, über die arabische Sprache und Kultur ließe sich die biblische Lebenswelt rekonstruieren, und entlastete die Araber von dem Vorwurf, sie seien eine Nation von Betrügern und Räubern.

Wer von diesem Buch eine Geschichte des Orientalismus erwartet, in der Feenmärchen, fantasierte Serails und Kostümmuftis, von alla- turca-Melodien umspielt, eine Hauptrolle spielen, der wird enttäuscht sein. Croitoru geht mit den deutschen Literaten hart ins Gericht. Der Domkanonikus Johann Wilhelm Ludwig Gleim, einer der Erfinder des empfindsamen Freundschaftskultes, entpuppt sich als antitürkischer Kriegshetzer, nicht anders Christian Friedrich Daniel Schubart in Württemberg, und in Christoph Martin Wielands Roman "Der goldene Spiegel" wie in seiner Versdichtung "Oberon" entdeckt Croitoru schwarze, den Rassismus streifende Flecken. Manchmal, etwa im Umgang mit Schiller oder Herder, deren skeptischen Äußerungen über Mohammed sich freundlichere Zitate gegenüberstellen ließen, ist seine Warntafel allzu streng. Ihre Kernthese aber, dass die Islamfeindschaft zur deutschen Aufklärung gehört, vertritt sie überzeugend.

Joseph Croitoru: Die Deutschen und der Orient. Faszination, Verachtung und die Widersprüche der Aufklärung. Carl Hanser Verlag, München 2018. 416 Seiten, 28 Euro.

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