Geister-Ausstellung in Nürnberg:Kunst sucht den Super-Schamanen

Wie weit geht die Realität und wo beginnt das Paranormale? Die Nürnberger Ausstellung "Gespenster, Magie und Zauber" zeigt Kunst, die das Zwielichtige und Rätselhafte zum Leben erweckt - und den Künstler als Medium einer okkulten Gegenwelt in den Mittelpunkt rückt.

Kristina Maidt-Zinke

In Zürich endete unlängst eine Ausstellung über Geisterglauben und Spiritismus. In Straßburg wird noch bis Februar die Geschichte des europäischen Okkultismus und seiner künstlerischen Emanationen zwischen 1750 und 1950 vorgeführt (siehe SZ vom 10./11. Dezember). Und das Neue Museum in Nürnberg zeigt nun die höchst anregende Schau "Gespenster, Magie und Zauber. Konstruktionen des Irrationalen in der Kunst von Füssli bis heute".

Schon der Titel wirft Fragen auf. Was ist "das Irrationale"? Gelangt es in der neueren Kunst etwa nur dort zur Erscheinung, wo paranormale Phänomene thematisiert werden, während den Rest der künstlerischen Produktion die Ratio regiert? Und kann etwas, das sich "konstruieren", also planmäßig herstellen lässt (was ja ein vernunft- und zweckgeleitetes Vorgehen impliziert), überhaupt irrational sein?

Im Schauraum erfüllt höchstens ein Teil der Exponate den Tatbestand der "Konstruktion des Irrationalen", während die übrigen in andere Kategorien fallen: Darstellungen des Phantastischen, Inszenierungen des Übernatürlichen und sogar Manifestationen des Okkulten.

Im Himmelspersonal überlagern sich Realität und Imagination

Auch chronologisch geht es weiter zurück als angekündigt, in eine Epoche, deren Weltbild und Bildwelten noch ohne den Begriff des Irrationalen auskamen. Frühe Illustrationen des "Faust"-Stoffes oder der "Aufbruch zum Hexensabbat" von David Teniers d. J., in der Radierung von Jacques Aliamet, gehen mit Geistern und Dämonen noch so selbstverständlich um wie die zeitgleiche Sakralkunst mit Engeln und Heiligen: Das Himmels- und Höllenpersonal ist Teil eines Realitätsbegriffs, in dem Wahrnehmung und Imagination einander überlagern.

Bei dem nach England emigrierten Schweizer Johann Heinrich Füssli, der sich im späten 18. Jahrhundert von Shakespeare und Milton sowie von volkstümlichen Mythen und Legenden inspirieren ließ, liegen die Dinge fundamental anders: Seine Bildschöpfungen sind Ausgeburten der Aufklärung; sie machen kein Hehl daraus, dass sie literarische Erfindungen veranschaulichen und effektbewusst mit individuellen oder kollektiven Phantasien spielen. Deshalb gilt der Begriff "Konstruktionen" für sie eher als für die gut hundert Jahre jüngeren Spukgestalten Alfred Kubins, die unverkennbar den persönlichen Schreckensvisionen des Künstlers, den Albträumen und Neurosen seiner Epoche entstiegen sind.

Parapsychologische Fotografie

Goethes "Faust" regte im frühen 19. Jahrhundert zahlreiche Illustrationen an, in denen Unheimliches und Dämonisches zitathaft und wenig überzeugend suggeriert wird - die expressiven Lithographien von Delacroix sind hier leider nicht zu sehen.

Viel interessanter ist da die halb ernsthafte, halb ironisch-kritische, vorwiegend durch Fotos dokumentierte Geisterforschung des Münchner Malers Gabriel von Max. Er arbeitete mit dem Parapsychologen Albert von Schrenck-Notzing zusammen, empfing ein Medium in seinem Haus und nahm an spiritistischen Sitzungen teil, veranstaltete aber auch "Spaß-Séancen" mit seiner Familie. Seine Schülerin Cäcilie Graf und ihr Gatte Oscar spezialisierten sich auf die japanische "Gespensterwissenschaft" und deren Niederschlag in der populären Genremalerei und -graphik des 17. bis 19. Jahrhunderts.

In Nürnberg sind japanische Geister zu Gast: Farbholzschnitte von Schauspielern, die in Bühneninszenierungen von Gespenstergeschichten als Geister auftraten - eine fürwahr "konstruierte", amüsante Spukgesellschaft, die in der japanischen Kultur allerdings noch magische Funktion gehabt haben dürfte.

Psychotisches Erleben als künstlerische Inspiration

Spannend wird es, wenn rationale Erklärungen in die Schranken gewiesen werden. Das gilt vor allem für die Heidelberger Sammlung Prinzhorn, jene künstlerischen Arbeiten aus psychiatrischen Anstalten, die der Kunsthistoriker und Mediziner Hans Prinzhorn um 1920 zusammentrug. Ihre Urheber sahen sie nicht als Kunstwerke, sondern als Eingebungen aus übersinnlicher Sphäre.

Die "Rockverwandlungen" des Elektrotechnikers August Natterer, die Nadelperforationen und Mikrogramme der fränkischen Bäuerin Barbara Suckfüll, die "Willenskurven" des Wiener Juristen Hyacinth Freiherr von Wieser oder die von der Sängerin Malvine Schnorr von Carolsfeld aufgezeichneten Botschaften aus dem Jenseits vermitteln Einblicke in jenen Grenzbereich, in dem psychotisches Erleben, spirituelle Erfahrung und künstlerische Inspiration sich nur noch schwer voneinander trennen lassen.

Klug damit konfrontiert sind Werke von Paul Klee, Joseph Beuys und Antoni Tàpies, die explizit eine Affinität zur Mystik und zu magischen Zusammenhängen hatten. Hier kann man wunderbar grübeln: Wie wahnsinnig war Klee bei seinem "Geister-Luftzug"? Wie viel Ironie legte Tàpies 1947 in das Selbstporträt, auf dem es von "esoterischen" Zeichen und Symbolen wimmelt? Inwieweit sah sich Beuys als Schamane, dessen Verwandlungsprozesse er in den fünfziger bis siebziger Jahren auf diversen Blättern festhielt? Ambivalentes, Enigmatisches, Fragwürdiges, das Changieren zwischen "Spirit" und "Esprit" erweckt dieses Ausstellungsprojekt zum Leben.

Künstler als Medium okkulter Realität

Die "Konstrukteure" des Irrationalen wirken dagegen eher harmlos. Der 2010 verstorbene Sigmar Polke wollte in den sechziger Jahren die Kunstauffassung vom Künstler als Medium jenseitiger Inspiration und okkulter Realitäten diskreditieren. Die Installation "Das Bild, das auf Befehl höherer Wesen gemalt wurde", und die Mappe " . . . Höhere Wesen befehlen", in der unter anderem die acht Fotos der "Palmenserie" gewisse Strategien der Kunst des 20. Jahrhunderts parodieren, sind komische Enttarnungsversuche, in der konzeptuellen Eindeutigkeit aber etwas antiquiert.

Die großen Gemälde "Tischrücken" und "Die Schere" aus den frühen Achtzigern, die ebenfalls "mediumistische" Phänomene aufs Korn nehmen, überzeugen jenseits des Verweischarakters durch formale und farbliche Reize, und bei den geheimnisvoll schimmernden "Magischen Quadraten" von 1992 scheinen die Geister, die Polke verhöhnte, sich seiner durch die Hintertür bemächtigt zu haben.

Ambitioniert sind auch die Performance-Fotoserien konzipiert, in denen Anna und Bernhard Blume gesellschaftliche Zustände mit Hilfe parapsychologischer Motive abbilden wollten. Das Resultat erschöpft sich rasch, genau wie die Zauber-Videos von Christian Jankowski.

Länger verweilen kann man vor den Installationen Ulla von Brandenburgs und den sammelwütigen "Feldforschungen" Lili Fischers, die das Verhältnis von Realität und Magie subtiler erkunden. Last, not least vor den "Zombies" und "Kleinen Geistern" von Bildhauer Thomas Schütte: Erstere sind als Reststücke seiner "Großen Geister" auferstanden, letztere wurden eigens für Nürnberg aus rotem Muranoglas gefertigt und in einem Oktogon aus Spiegeln arrangiert, und alle sind in ihrer skulpturalen Anmutung so "geistreich", dass sie noch im konstruiertesten Kontext ihren Zauber entfalten.

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