Gehört, gelesen, zitiert:Mitteleuropa

Lesezeit: 1 min

Der amerikanische Kritiker Scott Esposito versucht sich an einer geopolitischen Analyse - basierend auf der jüngsten Konjunktur von Schriftstellern wie Joseph Roth, Stefan Zweig und Thomas Mann in den USA und Großbritannien.

Der Literaturkritiker Scott Esposito, der in San Francisco lebt, hat für das Times Literary Supplement neuere Bücher aus den Niederlanden und Deutschland gelesen, die Exil-Autoren wie Thomas Mann, Stefan Zweig und Joseph Roth zu neuem Leben erwecken wollen. Am Ende kommentiert er die überraschenden Erfolge solcher Themen in Großbritannien und Amerika - und versucht sich vom fernen Kalifornien aus an einer Art von literarisch-geopolitischer Analyse:

"Wir erleben, so scheint es, eine Wiederauferstehung des literarischen ,Mitteleuropa'. Stefan Zweig ist wieder in Mode, und er hat sich als Einstiegsdroge erwiesen für den weniger kommerziellen, literarisch interessanteren Joseph Roth, dessen Rehabilitation mit Hilfe seines Übersetzers Michael Hofmann inzwischen fast vollständig ist. Robert Walser kehrt seit einem Jahrzehnt in die Welt zurück, W. G. Sebald gehört schon zum Kanon, László Krasznahorkai ist im Kommen, und die Region kann zwei jüngere Nobelpreise vorweisen: Elfriede Jelinek (2004) und Herta Müller (2009).

In vielerlei Hinsicht werden die Krisen, die Mann, Zweig, Roth und anderen in den ersten Kriegen der Moderne zusetzten, in den heutigen Konflikten Europas wieder als aktuell empfunden. Die gegenwärtigen Kämpfe um Fremdenfeindlichkeit, Ungleichheit, Wohlfahrt im Kapitalismus und um stramm rechte autoritäre Politik wurden zu großen Teilen von den Umwälzungen vorgeprägt, die den Lauf des zwanzigsten Jahrhunderts bestimmt haben. Und auch heute wird diese Geschichte wieder in kraftvolle Literatur verwandelt, welche sich zum Teil als Hommage an jene früheren Autoren versteht, die uns so wertvolle Einsichten in die Konflikte und Widersprüche der modernen Welt gegeben haben. Mitteleuropa war und bleibt eine turbulente Weltgegend, heimgesucht von wechselnden Grenzen und Umschwüngen von der Revolution bis zur Dekadenz, die zu den radikalsten der Geschichte gehören - ein Tumult, der große Kunst hervorgebracht hat und so die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich gezogen hat.

© SZ vom 28.04.2016 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: