Süddeutsche Zeitung

Gehört, gelesen, zitiert:Das Wort der Elite

Von Albert Camus, dem vor fünfzig Jahren bei einem Autounfall gestorbenen Philosophen und Schriftsteller, ist ein bisher unbekannter Text aus dem Jahr 1943 aufgetaucht - es ist ein Aufruf zum Widerstand, den Camus an General de Gaulle schickte.

Von dem vor fünfzig Jahren bei einem Autounfall umgekommenen Philosophen und Schriftsteller Albert Camus ist ein bisher unbekannter Text mit der Überschrift "D'un intellectuel résistant" ("Von einem Intellektuellen im Widerstand") aufgetaucht. Publiziert wird er im Anhang des in diesen Tagen erscheinenden Buchs "Camus, des pays de liberté" von dem Historiker Vincent Duclert (Verlag Stock). Aufgetaucht ist das dreiseitige Dokument aus dem Jahr 1943 im Archiv des Generals de Gaulle. Camus wandte sich in diesem Text an den General, der in Algier damals zusammen mit den Alliierten die Befreiung Frankreichs vorbereitete. Der in jener Zeit schon renommierte, sich zum Widerstand bekennende Schriftsteller denkt bereits an die Zeit nach dem Krieg und ruft die Elite seines Landes zur Verweigerung jeder Kollaboration mit den Besatzern und zum aktiven Einsatz auf:

"Ein Intellektueller darf nicht übersehen, dass eine Nation sterben kann, wenn ihre Elite sich auflöst (wobei klar ist, dass es zweierlei Eliten gibt, die aus dem Volk und die der Intelligenz). (...) Eine Elite kann man definieren als Vereinigung von Menschen, deren Wort auf einer wahren Erfahrung beruht und das Gewicht des Fleisches in sich trägt. Die Eliten unseres Landes haben das begriffen und haben den Befreiungskrieg aufgenommen, um weiterhin sprechen zu können. Doch um sprechen zu können, muss man mit der Möglichkeit des eigenen Verschwindens rechnen. Aus diesem Verschwinden kann sich ergeben, wie 1919, wie vielleicht morgen wieder, dass die Elite die Sprache verliert. Wie 1919, wie morgen vielleicht, werden dann die Anderen das Sprechen übernehmen, jene, die sich im kritischen Moment als Zeugen ausgaben und im Grunde nur zur Schar der Vorsichtigen gehörten.

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SZ vom 09.01.2020 / SZ
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