Geheimsprache "IAE" in der Kunstwelt:Deutsch ist doch provinziell

Konzept Concept Wörterbuch Dictionary

Concept, beziehungsweise zu deutsch: Konzept. Das "International Art English" (IAE) gibt Anlass zu einer Auseinandersetzung über das Konzept von Sprache im Kunstbetrieb.  

(Foto: iStockphoto)

Die zeitgenössische Kunstszene pflegt das "International Art English", das in Syntax wie Vokabular mit echtem Englisch nur wenig zu tun hat. Man kann das Reaktion auf den sprachlichen Imperialismus des Englischen auffassen - oder die meist unterbezahlten Assistenten bedauern, die solche Texte verfassen müssen.

Von Peter Richter, New York

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Merkur ist jetzt ein Text auf Deutsch zugänglich gemacht und damit in gewisser Hinsicht auch heimgeholt worden, der in englischsprachigen Internet-Magazinen seit einem Jahr für ziemliche Aufregung sorgt. Dieser Text stammt von Alix Rule, einer Soziologie-Doktorandin der Columbia University in New York und von David Levine, einem New Yorker Künstler.

Ihr Gegenstand ist "International Art English", kurz IAE. So nennen die beiden die eigenartige Sprache, in welcher der weltweite Kunstbetrieb heute seine Verlautbarungen ausstößt, in Büchern, Zeitschriften und Katalogen, aber vor allem in Ausstellungsankündigungen, wie sie jeden Tag von dem Newsletter-Dienst e-flux verschickt werden: ein Englisch, das in Syntax wie Vokabular mit richtigem Englisch nur noch wenig zu tun habe und jedenfalls für den Muttersprachler seinen Sinn oft mehr verberge als erhelle.

Sie fragen, warum die Texte, die über Kunst geschrieben werden, so oft "wie schlecht übersetztes Französisch klingen", und sie haben die These, dass der Hang zu Substantivierungen - aus visual wird visuality, aus global wird globality - oder die Beliebtheit von Emphatisierungen wie "the real" anstelle der simplen "reality" immer noch Spätfolgen von Lacan, Foucault und dem ganzen Rest der sogenannten Franzosentheorie sind, die gerade von amerikanischen Intellektuellen in den Siebzigern ja mit einer Begeisterung geschlürft wurde wie sonst nur Bordeaux und Café au lait.

Bemerkenswert an dem Aufsatz ist nun vor allem, dass das Interesse ganz auf den sozialen und ökonomischen Gründen für diesen Sprachgebrauch ruht. Dass diese Art Theorie nichts anderes sei als eine mit Trigger-Vokabeln vollgepumpte Werbesprache, ist auch von anderen schon konstatiert worden.

Abgesehen davon unterstellen Rule und Levine ganz klassisch einen Drang nach Distinktionsgewinn als Tatmotiv. Wenn aber mittlerweile jede unbezahlte Galerie-Praktikantin und jeder osteuropäische Fördermittelantragskünstler diesen Ton drauf hat, dann winke als nächstes die Besinnung aufs "konventionelle Upper-Middle-Class-Bildungsenglisch und die damit verbundenen, erprobten Distinktionen".

Wie schlecht übersetztes Französisch

Bis es soweit ist, empfehle es sich, "Spaß an der Verfallsperiode von IAE" zu haben, sich den jeweiligen Inhalt egal sein zu lassen und sich daran zu erfreuen, "wie man sich an Lyrik erfreut".

Ganz und gar zu Hause angekommen ist dieser Aufsatz durch die Übersetzung im Merkur schon deshalb, weil dessen neuer Chefredakteur die prätentiösen Blüten des Schreibens über die Kunst seinerseits schon zum Gegenstand einer sehr unterhaltsamen Habilitationsschrift gemacht hatte (Christian Demand: Die Beschämung der Philister, 2003).

Dort ging es allerdings mehr um den kunstreligiösen Weihrauch der Fünfziger- und Sechzigerjahre, um Texte, die "zwischen lyrischem Ansingen und bizarrer Parawissenschaft" oszillieren und offensichtlich den "Eindruck rückhaltloser Intellektualität vermitteln" sollen, wo oft schlicht Sachkenntnis und Bildung fehlen und ein Mangel an selbständigem Denken kaschiert werden muss.

Schaumbad im Jargon

Zeitschriften wie October in den USA oder später in Deutschland die Texte zur Kunst waren allerdings genau zu dem Zweck gegründet worden, diesem metaphysischen Kunstgeraune eine größere Präzision und den tiefsinnig tönenden Empfindsamkeits-Lyrizismen das kalte Besteck der Geistes- und Sozialwissenschaften entgegenzuhalten.

So wie es aussieht, wird das, was daraus wurde, inzwischen aber erst recht als Geraune wahrgenommen, als Schaumbad im Jargon. Denn natürlich gibt es IAE auch im Deutschen, es klingt dann wie schlecht übersetztes Französisch, das schlecht aus dem Englischen weiterübersetzt wurde.

Da liest man dann dauernd von Praktiken, die "das Reale adressieren" oder davon "informiert" sind. Gegen terminologisches American Apparel dieser Machart sind früher bei Kunsthistorikern so beliebte Begriffe wie die "Indienstnahme" eierschalenfarbene Rentnerblousons.

Totalbejahung aller Vorwürfe

Das von Rule und Levine empfohlene Verhältnis zu den akademischen Diskursmoden - nämlich ein amüsiertes - fällt aber naturgemäß gerade in Deutschland auf eine lange, lebendige Tradition: Von Gelehrten, die als unfreiwillige Hofnarren dienten wie der arme Historiker Gundling beim Soldatenkönig, bis eben zur Zeitschrift Merkur, die in ihren Ästhetik-Kolumnen schon öfter viel Freude am ehrgeizigen Sprachgebrauch des akademischen Mittelbaus hatte.

Geheimsprache "IAE" in der Kunstwelt: "Wir waren ob der formalistischen, fast nostalgischen Aspekte des Werks schon ein wenig verlegen, als sich herausstellte, dass es sich lediglich um einen punktuellen Eingriff in das Heizungssystem handelte", heißt es unter der Zeichnung von Jean-Philippe Delhomme. Kaum jemand bringt den Habitus der Kunstszene so gut zu Papier wie der französische Schriftsteller und Zeichner. Der Kunst-Sprech ist eine Facette dieses Gehabens.

"Wir waren ob der formalistischen, fast nostalgischen Aspekte des Werks schon ein wenig verlegen, als sich herausstellte, dass es sich lediglich um einen punktuellen Eingriff in das Heizungssystem handelte", heißt es unter der Zeichnung von Jean-Philippe Delhomme. Kaum jemand bringt den Habitus der Kunstszene so gut zu Papier wie der französische Schriftsteller und Zeichner. Der Kunst-Sprech ist eine Facette dieses Gehabens.

(Foto: Delhomme)

Bisher hatte so etwas allerdings immer eher eine Festigung der Wagenburgmentalität zur Folge: Spott über den Sound der Theorie ließ sich immer wenigstens als konservativ, als ideologische Panik vor dem kritischen Potenzial der "humanities" zurückweisen.

Genau das ist jetzt offensichtlich anders geworden.

Die Reaktionen auf Rule und Levine gehen vom gleichen Begriff und Befund aus wie diese. Mit IAE scheint das Phänomen tatsächlich einen bleibenden Namen verpasst bekommen zu haben. Der britische Kritiker Brian Ahsbee hatte vor Jahren für denselben Sachverhalt etwas rüde "Art Bollocks" vorgeschlagen. IAE klingt da natürlich neutraler, die Wertung ist aber nur subtiler. So wie in LTI (Lingua Tertii Imperii).

"Anarchisch und emotional"

Es wird auch gar nicht einmal darüber diskutiert, welcher inhaltliche Gewinn denn aus diesem Kunstwelt-Esperanto gezogen werden kann, ob es zum Beispiel Dinge gibt, die sich mit genau diesen sprachlichen Mitteln besser verhandeln lassen als mit anderen.

Es gibt schließlich viele Disziplinen, in denen Studenten zunächst einmal eine spezialisierte Fachsprache erlernen und dann ihr Verständnis der Dinge gewissermaßen an den Begriffen hochhangeln. Aber der Behauptung, dass das, was wie Fachsprache klingt, im IAE in Wahrheit wie Alltagssprache eingesetzt wird, nämlich "anarchisch und emotional", wird gar nicht mal mehr widersprochen.

Aus Deutschland kam jetzt auch eine der bisher vehementesten Antworten auf Rule und Levine: Die Berliner Filmemacherin und Professorin Hito Steyerl hat vor ein paar Tagen auf eben der inkriminierten New Yorker Webseite e-flux.com einen Essay mit dem Titel "International Disco Latin" veröffentlicht, kurz darauf folgte die amerikanische Martha Rosler mit "English and All That".

Sprachlicher Imperialismus

Beide knöpfen sie sich den hausmeisterhaften Abwehrreflex vor, mit dem Rule und Levine das IAE behandeln: unsauber, falsch, laut, voller fremdländischer Einflüsse und mit dem Geruch der Ärmlichkeit behaftet.

Das Tolle an der Debatte über IAE ist, dass es immer sofort um Fragen von Macht, Status, Geld geht - und um den sprachlichen Imperialismus von Leuten, die es selber mit dem Lernen von Fremdsprachen meistens nicht so haben. (Weshalb vor einiger Zeit ein amerikanischer Kurator zum Beispiel mal die Forderung aufstellte, der Berliner Kunstbetrieb möge bitte grundsätzlich englisch sprechen, alles andere sei provinziell.)

Hito Steyerl und Martha Rosler feiern demgegenüber nun das IAE als den Pidgin-Dialekt der mittellosen Migranten in der Kunstwelt; sie feiern seine Fehler, Prätentionen und syntaktischen Exaltationen quasi als Waffen einer antikolonialen Emanzipation, so wie Gabriel García Márquez vor Jahren mal die karibischen Blüten des Spanischen gegen die Sprachwächter der Real Academia in Madrid verteidigt hatte.

Das bedeutet aber zunächst einmal eine Totalbejahung aller Vorwürfe: Beide Künstlerinnen konstatieren, dass das "schwülstige Geschwafel" von Kunstpressetexten in der Regel mit dem "bescheidenen Status derer kontrastiert, die es verfassen" - "überarbeiteten und unterbezahlten Assistenten und Praktikanten".

Das, was einmal als elitär und abgehoben wahrgenommen wurde, ist mit diesen Befunden, noch dazu an diesem Ort, endgültig als gefallenes Kulturgut gebrandmarkt, als Prekariatsmerkmal und kunstbetrieblicher Unterklassen-Jargon. Es könnte also sein, dass gewisse Kunstmagazine, die diesen Ton einst gesetzt haben, endlich mal ein bisschen an ihrer Sprache arbeiten müssen, wenn sie weiterhin als "highbrow" gelten wollen - wie man nicht nur im IAE so schön sagt.

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