Gegrinse als Menetekel:Der Identitäten-Jongleur

Was die Grimasse des "Jokers" im neuen Batman-Film verrät - Fragmente zu einer Geschichte des Lachens, von Victor Hugo bis Heath Ledger.

Lars Weisbrod

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Heath Ledger als Joker, Reuters

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Das Bild aus Christopher Nolans "The Dark Knight" könnte zu einer Ikone des modernen Kinos werden: Heath Ledger schaut in seiner Rolle als Joker den Betrachter direkt an, mit gesenktem Kopf und lauerndem Blick. Sein schlecht gefärbtes, langes Haar hängt ihm ins Gesicht und dort, wo seine Stirn in Falten liegt, ist das weiße Make-up abgeblättert. Am auffälligsten ist aber der große rote Farbstrich über seinen Lippen, der sich bis zur Mitte seiner Wangen zieht: ein schlecht, aber unverkennbar angedeutetes Lachen. Der Joker lacht. Er lacht immer, selbst wenn er lauert, mordet oder verprügelt wird.

Roter Farbstrich über die Lippen bis zur Mitte der Wangen: Heath Ledger als Joker in "The Dark Knight", Foto: Reuters

Dalai Lama, Reuters

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Das Anlachen und das Auslachen, das Lächeln des Dalai Lama und das diabolische Grinsen des Schurken, der freundliche Krankenhaus-Clown von der Kinderstation und "Es" - das sind zwei Seiten derselben Spielkarte. Der Joker nutzt den Schrecken der Ambivalenz als Waffe: Sein Lachen hat nichts von der freundlichen Dynamik des Lebendigen, es ist zu einer ins Fleisch geschnittenen Grimasse erstarrt.

Steht im Gegensatz zum diabolischen Grinsen des Schurken: das Lächeln des Dalai Lama, Foto: dpa

Der Joker im ersten Batman-Heft, 1940

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Als die Batman-Zeichner 1940 den Joker erfanden, die Nemesis des dunklen Ritters, diente ihnen Conrad Veidt in "Der Mann, der lachte" als Vorbild...,

Der "Joker" im ersten Batman-Comicheft von 1940, Screenshot: achievenerdvana.com

Conrad Veidt als Joker in Victor Hugos

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... einem Stummfilm, der auf Victor Hugos gleichnamigem Roman basiert. Veidt spielt Gwynplaine, einen jungen Mann, der als Kind in der Wildnis ausgesetzt wurde, nachdem eine Verbrecherbande ihn verstümmelt hatte: Sie schnitten ihm die Mundwinkel auf, bis sein verunstaltetes Gesicht dem eines lachenden Mannes glich.

Eine Passage in Hugos Roman fängt den Moment ein, in dem das Lachen als erstarrte Fratze erkannt wird, in dem seine ganze Zwiespältigkeit hervortritt: Der junge Gwynplaine wird aufgefordert, mit dem Lachen aufzuhören - "Ich lache nicht", ist seine lapidare Antwort. Sein Gegenüber muss die wahre Natur der Gesichtszüge erkennen, mit einem "Schauder vom Kopf bis zu den Füßen".

Die Figur des lachenden Mannes ist seitdem immer wieder aufgegriffen worden, sie diente als Projektionsfläche für die ganze Bandbreite des vieldeutigen Lachens.

Die Comiczeichner verwandelten den traurigen Außenseiter Gwynplaine in einen psychopathischen Kriminellen. J.D. Salinger machte ihn hingegen zum Helden einer Erzählung innerhalb einer Erzählung, zu einer Allegorie der Unbeschwertheit.

In der wunderbaren Kurzgeschichte "The Laughing Man" berichtet ein junger Student einer Bande von Kindern, dem " Comanchenclub", in losen Fortsetzungen pädagogisch wenig wertvolle Abenteuer einer anscheinend unbesiegbaren Robin-Hood-Figur.

Während der lachende Mann bei Hugo noch ein bloßes Opfer war, übertrumpft er nun die Verbrecher, die ihn einst zurichteten (indem sie sein Gesicht in einen Schraubstock einklemmten). Er wird selbst ein Ungesetzlicher, ein genialer Dieb, der sein entstelltes Gesicht hinter einer Maske verbirgt. In einer anarchischen Phantasiewelt triumphiert er immer wieder über seine Verfolger und wird zum größten Vorbild für die jungen Zuhörer, die nun davon träumen, "Schrecken und Bewunderung im nächstbesten Bürgerherz zu erwecken".

Am Ende lässt der Erzähler ihn dennoch sterben, in einem furiosen Finale. Ein düsteres Menetekel, dass jede Kindheit ihr Ende findet.

Conrad Veidt in seiner tragischen Glanzrolle als "The Man, Who Laughs", 1928, Paul Lenis Verfilmung von Victor Hugos gleichnamigem Roman, Foto: Universal.

Der

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James Ellroy entfaltet in den achtziger Jahren in seinem Roman "The Black Dahlia" die Grausamkeit, die mit der Figur des Lachenden einhergeht.

Ein Bild Gwynplaines liefert da den entscheidenden Hinweis auf den Mörder einer jungen Frau, deren Gesicht auf die gleiche Art zugerichtet wurde. Ellroys Buch basiert auf einem tatsächlichen Kriminalfall aus den vierziger Jahren.

Vom Leichnam des Opfers existiert ein Foto, das jenes pervertierte, mit dem Messer ins Gesicht geschnittene Grinsen zeigt.

Die Zeichner der japanischen Anime-Serie "Ghost in the Shell: Stand Alone Complex" (basierend auf Masamune Shirows berühmten Manga) haben im lachenden Mann wieder das revolutionäre Potential gesehen, für das Salinger ihn hochleben ließ. Sein Lachen verhöhnt die Autoritäten, nicht das Leben.

In der Serie taucht immer wieder "der Fall des lachenden Mannes" auf. Das anarchistische Element des Kriminellen wird hier als Cyberpunk-Idee verwirklicht: In einer Welt, in der sich Virtualität und Realität vermischen, entzieht sich ein Täter der allgemeinen Überwachung mit Hilfe einer graphischen Maske - eines stilisierten, lachenden Gesichts, geschmückt mit einem Zitat aus "Der Fänger im Roggen". Die Grausamkeit des verletzten Körpers tritt im digitalen Zeitalter in den Hintergrund.

Der "Lachende Mann" als Cyberpunk-Idee: Der Täter entzieht sich in der Anime-Serie "Ghost in the Shell: Stand Alone Complex" der allgemeinen Überwachung mit Hilfe einer graphischen Maske - eines stilisierten, lachenden Gesichts, geschmückt mit einem Zitat aus "Der Fänger im Roggen", Screenshot: cydeweys.com

Jack Nicholson als Joker, Warner Brothers

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Im Gesicht des Jokers ist diese Grausamkeit jedoch präsent. Er ist ein Gezeichneter, ein Freak, und deshalb, genau wie sein Urahn Gwynplaine, aus der Gesellschaft ausgeschlossen.

Er betrachtet sie also von außen und - wie immer, wenn man die Dinge aus der Distanz besieht - sie kommt ihm auf einmal schrecklich komisch vor. Es ist einfach lachhaft, all diese albernen Versuche der menschlichen Ordnung, dieses Getue um das bisschen Zivilisation, das uns angeblich von den Wilden unterscheiden soll.

Diesen Witz der Weltgeschichte will der Joker offenbar machen, dass jeder sein grausames Lachen teile.

Eine Mission, die allerdings sicher nicht ideologisch angegangen wird, gar mit protestantischer Ernsthaftigkeit. Der Joker ist keineswegs der lachende Mann, er zitiert ihn bloß - so wie Ellroys Mörder, die Manga-Cyberkriminellen und Salingers Student es tun.

Mit seiner eigenen Identität jongliert der Joker wie der Hofnarr der Postmoderne: Ungefragt erzählt er mal die eine, mal eine ganz andere Geschichte, wie er zu seinen Narben kam.

Sein irreversibles Grinsen scheint hin und wieder ihm selbst zu gelten - man könnte fast sagen, er besitze die allseits eingeforderte Fähigkeit, auch mal über sich selbst lachen zu können. Das macht ihn nicht nur zu einer ikonischen Figur, sondern vor allem zu einem gefährlichen Gegenspieler.

Jack Nicholson als "Joker" in Tim Burtons "Batman" aus dem Jahr 1989, Foto: Warner Bros. Pictures

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