Gegenwartsliteratur:Strahlender Geist

Kawumm! Hier schlägt die Aufklärung in Mythos um. Christine Wunnicke erzählt in ihrem neuen Roman "Katie" eine Spiritismus-Groteske.

Von Jutta Person

Wer oder was ist Katie? Der Geist einer androgyn-prolligen Piratentochter, der sich durch ein Medium namens Florence Cook materialisiert, befriedigt anscheinend viele Wünsche auf einmal. Katie, die Titelfigur in Christine Wunnickes Spiritismus-Groteske, beglückt mit ihrer mal knaben-, mal mädchenhaften Ader sowohl einen Forscher-Gehilfen als auch eine Forscher-Gattin, und auch der Forscher selbst ist so verblüfft wie erregt: seine Apparate verzeichnen Ausschläge, nehmen Schwingungen auf. Und er selbst kann es sehen, das vermutlich elektrifizierte Lichtwesen. Wir befinden uns im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, der wissenschaftliche Materialismus ist etwas ranzig geworden, und wenn es nicht zu hochtrabend klänge für diesen komischen, klugen, espritgeladenen Roman, könnte man sagen: hier schlägt die Aufklärung in Mythos um. Kawumm.

Der große Knall kommt allerdings erst spät und beschädigt weder das Medium noch den Forscher nachhaltig. Die ehrgeizige Florence Cook schafft den Aufstieg in die nächsthöhere Klasse und der durch sie hindurch erscheinende Teufelsbraten Katie ermöglicht ihr eine Show, die wegführt von den ungeliebten viktorianischen Weiblichkeitsvorgaben. Am Ende sehen wir Florence mit eigenem Büro und Sekretärin, die Geschäfte gehen gut.

Ohne inspirierte Geist-Wesen sitzt die Forschung auf dem Trockenen

Der naturwissenschaftlich orientierte Forscher, der diesen Aufstieg erst ermöglicht hat, heißt William Crookes und hat - wie auch Florence Cook - eine Vorlage in der wahren Wirklichkeit. Der Physiker, Chemiker, Parapsychologe William Crookes (1832-1919) war Herausgeber der Chemical News, entdeckte das Thallium und konnte radioaktive Strahlung nachweisen.

Wie schon in früheren Romanen hat Christine Wunnicke einen Fall der Wissenschaftshistorie in eine funkelnde Geschichte verwandelt. In "Katie" lernt man zuerst die findige Florence kennen, die als junges Mädchen ihre Entfesselungskünste trainiert, um dann mit Séancen erfolgreich zu werden. Sie steigt in einen Schrank, lässt sich die Zöpfe festnageln - und während das Publikum religiöse Lieder singt, erscheinen im Halbdunkel Gesichter von Verstorbenen. Als immer öfter die walisische Piratentochter Katie aus dem 17. Jahrhundert auftaucht, wird William Crookes als Gutachter hinzugezogen. Eigentlich ist er gerade auf der Suche nach dem vierten Aggregatzustand einer noch unklar "strahlenden Materie" - und wie von Geisterhand scheint sich seriöse Wissenschaft mit halbseidenen Inspirationen zu vermengen. Darin ähnelt Crookes einer Reihe spiritistisch angesteckter Persönlichkeiten seiner Zeit, vom Kriminalanthropologen Cesare Lombroso, der trotz oder wegen Faktenhuberei zum Spiritisten wurde, bis zum Sherlock-Holmes-Erfinder Arthur Conan Doyle, der an Elfen glaubte.

Dass auch die Wissenschaft nur ein Spuk sein könnte, wäre nur die halbe Wahrheit, viel eher müsste man sagen: ohne inspirierte Geist-Wesen sitzt auch die Forschung auf dem Trockenen. Die Sache mit den Atomen, Molekülen und der radioaktiven Strahlung wird jedenfalls am Ende aufs eleganteste von der übersinnlichen Seite vorangetrieben. Der einstige Gehilfe sucht das Séancen-Büro von Florence auf, weil er den Geist des Physikers Maxwell sprechen will. "Dämon", steht plötzlich auf der spiritistischen Schreibtafel, gefolgt von weiteren sachdienlichen Hinweisen.

"Ich brauche, verzeihen Sie, gar keinen Gott. Ich brauche nur gute Stricke", hatte Florence zu Beginn ihrer Laufbahn im Crookes'schen Labor beteuert. Mit solchen Verstrickungen ist Christine Wunnicke ein Roman gelungen, der Wissen und Wünschen in ein hinreißend schummriges Verhältnis zueinander setzt.

Christine Wunnicke: Katie. Roman. Berenberg Verlag, Berlin 2017. 176 Seiten, 22 Euro.

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