Gegenwartskunst:Der lange Lauf

Es dauerte, bis die Deutschen sahen, was sie an Isa Genzken haben. Jetzt sind ihre skulpturalen und architektonischen Werke in einer Bonner Ausstellung zu sehen.

Von Catrin Lorch

Als die Bildhauerin Isa Genzken in jenem Frühsommer eingeladen wurde, doch bitte an der Ecke dieses westfälischen Bibliotheksgebäudes irgendwas aufzustellen, da erfand sich die Skulptur gerade neu. Vor allem in Münster, wo Kasper König 1987 zum zweiten Mal zu den "Skulptur Projekten" eingeladen hatte: Richard Serra schmiedete dafür Tonnen von Beton zusammen, Sol LeWitt knallte einen schwarzen Betonblock vor das Backsteinschloss. Die Kunst war aus alten Verträgen ausgestiegen, für Denkmalskultur beispielsweise oder die Dekoration von Prunkbauten, und eroberte sich im Alleingang die Hoheit über die Stadt. Die schlanken Betonstelen und schlichten Stahl-Rahmen, die Isa Genzken, noch nicht vierzigjährig, zusammenmontierte, passten irritierend buchstäblich: "ABC Wolkenbügel", festbetoniert an einer Bücherei, angelehnt an auch an die Architektur-Avantgarde der Zwanzigerjahre, als eine Zeitschrift zum Bauen sich ABC nannte.

Viele haben damals den Bau übersehen, sowohl im Ausstellungsparcours, als auch im Stadtbild. Schon weil er sich - im sanften Betongrau - nicht groß vom bundesrepublikanischen Städtebau abhob. Isa Genzken erzählte rückblickend am liebsten davon, dass ihr Etat für den Entwurf um einiges niedriger lag als die Abrisskosten. Aber das war keine Frage damals für die Hausherren, dass das Ding unbedingt wieder aus dem Weg musste.

Inzwischen ist man stolz, dass eine der bedeutendsten und international gefragtesten Künstlerinnen der Welt so früh schon in Münster arbeitete. Der "Vollmond", den sie zehn Jahre später dort aufstellte, durfte bleiben. Kugelige Lampe oder Himmelsvision? Der Maßstab macht den Unterschied, die opake Kugel schwebt seither hoch über den Wipfeln eines Parks.

Doch ist eben vieles, das Isa Genzken im Lauf ihrer Karriere entworfen hat, zunächst als Zumutung abgetan worden. Wie die Riesentulpen, die sie entlang niederländischer Autobahntrassen pflanzen wollte. Wie der "Ring für Rotterdam", ein perfekter stählerner Kreis, der über einem Platz den Himmel einkreiste. Inzwischen ragen zehn Meter hohe Riesenrosen und Orchideen vor Museen und Messen auf und in Venedig durfte Genzken im Jahr 2007 den deutschen Pavillon in orangefarbene Plastikfolie wickeln, so dass es aussah, als werde er während der Biennale umgebaut.

Isa Genzken Public Art

Von ihr ist noch mehr zu erwarten: Iza Genzkens "Macy's Parade" (2015).

(Foto: Lothar Schnepf, Galerie Buchholz. VG Bild-Kunst, Bonn 2016)

Eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn widmet sich jetzt einzig diesen Werken Isa Genzkens für den öffentlichen Raum. Und zwar in Gestalt von Modellen, in denen unterschiedslos alle gebauten, aber auch alle utopische Entwürfe Gestalt annehmen. Das Projekt war im vergangenen Sommer einer der Geheimtipps der Biennale in Venedig. Inzwischen hat es sich, mit 35 Sockeln, zu einer Retrospektive ausgewachsen, die als nahezu vollständig gilt. Und weil die meisten Entwürfe so leichthändig auf Architekturen aufsetzen, wie die Antennenstäbe, die Isa Genzken dem ikonischen AT&T Gebäude aufstecken wollte oder die Spiegel, die sie über Brüsseler Dachkanten schweben ließ, ist aus dem Werk eine sehr eigengesetzliche kleine Welt geworden. Durch die langen Reihen weißer Modellhäuschen auf weißen Sockeln kann man flanieren wie durch die Straßen einer Stadt, die deshalb ideal ist, weil sie von Isa Genzken nicht entworfen, sondern bearbeitet wurde. Von einer Künstlerin, die im öffentlichen Raum nie nur Kulisse oder Hintergrund für ihre eigene Arbeit sah, sondern ihn als bereits vollgestellt empfand - von konkurrierenden Ideen.

Hätten die Münsterschen Lokalpolitiker die Sache mit dem verkannten Werk mal mit Kollegen diskutiert, denkt man inmitten dieses Werks. In Manhattan beispielsweise. Das sähe heute womöglich anders aus, hätte man Isa Genzken machen lassen: Es geht um die wohl prominenteste Stadtbaustelle der jüngsten Vergangenheit, um Ground Zero, das Gelände, auf dem vor 9/11 das World Trade Center stand. Während nämlich Stars wie Richard Meier, Daniel Libeskind und Norman Foster um "mächtige Symbole" rangen, wie die Politik sie einforderte, arbeitete auch die Deutsche, die zu der Zeit in New York wohnte, an der Neubebauung. Im eigenen Auftrag.

Für Ground Zero in New York entwarf sie im eigenen Auftrag eine Disco und ein Parkhaus

Was lange bestenfalls als künstlerischer Vorschlag außer Konkurrenz lief, entfaltet sich nun, Jahre nach der Fertigstellung der Star-Entwürfe, als schlicht aufregenderer Vorschlag: Nicht nur, weil die aus neonhellen Eisbechern, Lichtschlangen und Pappkartons zusammengesteckten Modelle in einer Fotomontage vor der Kulisse von Lower Manhattan brillant aussehen. Nach all den Diskussionen um nationale Museen und pathetisch hohle Mahnmalsarchitektur sehnt man sich auch nach einem Raumprogramm, das in anarchischer Zeitgenossenschaft Hospital, opak-geringeltes Parkhaus und Kirche neben eine Disco stellt, die so hoch aufragt wie ein Wolkenkratzer. Statt Trauer zu verkitschen, gönnt Genzken der versehrten Skyline eine radikale Verjüngung .

Spätestens vor dem Film, den Genzken zu dem Projekt gedreht hat, fällt auf, was das verbindende Element ihres Werks ist, das von einem klaren, aber nur fast minimalistischen Stil der frühen Jahre bis zu expressiver Materialwut reicht. Es ist ein gnadenloser Antagonismus, der erst mit der Betonkelle auf die Welt losging und sie jetzt mit Wegwerfgeschirr, Spielzeug-Puppen, Billigmode und Plastikblumen vollrümpelt. Dennoch, als Betrachter geht man in Bonn vor diesem Werk gerne in die Knie. Schon damit sich all diese modellkleinen Utopien voll entfalten. Gerade die, die noch nicht realisiert wurden.

Die Meisterin der Proportion lässt mit ihren Ideen eine Stadt klein aussehen

Irgendwann zählt man die Entwürfe, die es in die Wirklichkeit geschafft haben, mit, als sei der Endstand im Spiel Genzken versus Public Space die entscheidende Größe. Doch noch ist nichts entschieden - das letzte Modell der Reihe, beispielsweise, "Macy's Parade", über das wird derzeit gerade verhandelt. Wieder in Münster. Für die Skulptur Projekte 2017. Sicher nicht billig. Aber dafür hat man hinterher keinen Ärger mit dem Rückbau. "Sonic the Hedgehog", der blaue Igel aus dem Computerspiel, würde ja nur für eine Parade durch die Straßen ziehen.

Das Modell zeigt den Prinzipalmarkt im Verhältnis 1:75 und man kann sich vorstellen, wie die meterhohe Riesenfigur an den spießigen Bogengängen vorbei schrammt. Aber Genzken hat sich ja nur eine Ballonfigur ausgedacht, gefüllt mit heißer Luft, die, wie bei der New Yorker Thanksgiving Parade, an langen Leinen von einem Trupp Uniformierter durch die Straßen geführt wird. Der Schaden würde erst im Foto sichtbar. Isa Genzken, Meisterin der Maßstäbe, bläst hier nicht die eigene Kunst auf - sie macht die Stadt klein. Denn Riesenballons, die das Kunstpublikum an die New Yorker Parade erinnern, sie verlieren sich nur in den Straßenschluchten Manhattans - in Münster sprengt Sonic alle Dimensionen.

Isa Genzken. Modelle für Außenprojekte. Bis zum 17. April in der Bundeskunsthalle in Bonn. Während der Ausstellung erscheint ein Katalog.

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