Gegenwart:Preissaison in Frankreich

Prix Goncourt, Prix Renaudot, Prix Femina: In Frankreich wurden die wichtigsten literarischen Auszeichnungen des Jahres 2018 vergeben.

Von Joseph Hanimann

Nach einem zögerlichen Anfang mit vielen halbbekannten Autoren hat die französische Literatursaison nun in einer Woche gestaffelter Auszeichnungen richtig begonnen. Sie begann am Montag mit dem Prix Femina für das Buch "Le Lambeau" (Der Fetzen) von Philippe Lançon. Der Autor saß am 7. Januar 2015 am Redaktionstisch von "Charlie Hebdo" und hat das Attentat überlebt. Sein Buch schildert das Leben danach, als Verstümmelter. Es ist keine Klage, sondern ein scharf beschreibender und reflektierender Tatsachenbericht.

Geehrt haben die Femina-Jurorinnen durch einen Spezialpreis fürs Gesamtwerk aber auch den Schriftsteller Pierre Guyotat. Der 1940 Geborene ist der große Querläufer der französischen Gegenwartsliteratur. Am Dienstag bekam er dann von den Kollegen der Médicis-Jury auch die diesjährige Auszeichnung für seinen Roman "Idiotie". Der auf Deutsch vom Diaphanes-Verlag seit einigen Jahren mit wunderbarer Konstanz verlegte Autor wurde 1967 mit seinem monumentalen Algerienkriegsroman "Grabmal für fünfhunderttausend Soldaten" berühmt. "Idiotie" ist ein auf die Jugendjahre als Freiwilliger im Algerienkrieg zurückgehendes, selbstkritisch vermintes Erinnerungsbuch.

Der Paukenschlag der Saison folgte nun am Mittwoch mit dem Goncourt- und dem Renaudot-Preis. Bei letzterem überraschte die Jury mit einem Titel, den keiner erwartete. "Le Sillon" (Die Furche), der zweite Roman der dreiunddreißigjährigen Valérie Manteau, im Pariser Kleinverlag Le Tripode erschienen, erzählt die Liebesgeschichte einer jungen Frau, die sich zwischen Paris und Istanbul abspielt.

Die Goncourt-Juroren wiederum wollten vom allseits erwarteten, hervorragenden Weltkriegsroman "Frère d'âme" (Seelebruder) von David Diop nichts wissen und entschieden sich für "Leurs enfants après eux" (Ihre Kinder nach ihnen) von Nicolas Mathieu. Seit 2012 ist es der vierte Goncourt-Triumph des Verlags Actes Sud. Der 1978 im ostfranzösischen Épinal geborene Nicolas Mathieu zeichnet, ähnlich wie Didier Éribon oder Édouard Louis vor ihm, ein Bild der in der Industriekrise gepeinigten Randgebiete Ostfrankreichs. Zwischen Soziallüge vom Aufstieg, Langeweile und ersten Liebeserfahrungen muss die Jugend der Neunzigerjahre sich ein anderes Leben erfinden. Mit ihrer Wahl bestätigt die Goncourt-Jury das Aufkommen eines neuen Sozialromans aus der französischen Provinz.

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