"Gefühlt Mitte Zwanzig" im Kino:Goodbye, Hipster

Kinostart - 'Gefühlt Mitte Zwanzig'

Verstecken sich vor der bitteren Wahrheit, dass sie schon über vierzig sind: Ben Stiller und Naomi Watts in "Gefühlt Mitte Zwanzig".

(Foto: Square One/Universum/Jon Pack/dpa)

Zu alt fürs Hipsterleben - "Gefühlt Mitte Zwanzig" ist ein Film über die Sehnsucht der Mittvierziger nach einer Coolness, die selbst der Jugend zu anstrengend wird.

Von David Steinitz

Im prototypischen New Yorker Hipster-Haushalt, lernen wir in der wunderbaren Komödie "Gefühlt Mitte Zwanzig", sieht es folgendermaßen aus: An den Wänden hängen Poster von Filmen, die man nur dann als Meisterwerke einstufen kann, wenn man mindestens dreimal um die postironische Ecke denkt - zum Beispiel "Rocky III".

Darunter stapeln sich Schallplatten und VHS-Kassetten zu stattlichen Popkulturgebirgen zwischen Kanon und Camp. Und während das MacBook, leicht zerkratzt, zwar auch seine Daseinsberechtigung in diesem analogen Mikrokosmos hat, werden der Schreibmaschine und der Brettspielsammlung doch die exponierteren Plätze in der weitläufigen, sonnendurchfluteten Wohnung zugestanden.

Das junge Pärchen, das dieses lässige Domizil bewohnt und sich in sorgsam ausgewählten Secondhand-Klamotten vom Flohmarkt kleidet, kennt keine klassischen Büroarbeitszeiten. Es hat sich für Berufe zur persönlichen Entfaltung entschieden: Er ist Künstler und Sinnsucher, sie stellt Eiscreme her. Wie man im Jahr 2015 mit Avocado-Mandel-Sorbet ein Loft in Brooklyn finanziert, wird leider nicht erklärt, aber ein gewisser Mystizismus soll dieses Dolce Vita durchaus umwehen. Denn: Der Zauber dieses juvenilen Großstadtidylls am obersten Ende der Coolness-Skala wird nur deshalb so aufgebauscht, um ihn im Anschluss ordentlich zu zertrümmern. Aber der Reihe nach.

Er entzaubert das Existenzmodell "Hipster"

Der New Yorker Filmemacher Noah Baumbach ist in den Neunzigerjahren als junger Hipster-Regisseur mit jungen Hipsterfilmen wie der College-Comedy "Kicking & Screaming" ein Star des amerikanischen Independent-Kinos geworden. Das ging so lange sehr gut, wie er sich selbst auf der beliebteren Seite der vierzig aufhielt - nämlich darunter.

Mittlerweile ist er 45 und wurde in den letzten Jahren immer stärker mit der Frage konfrontiert, ob das Hipstertum wirklich Kern seines Schaffens bleiben sollte. Dazu gehörte zum Beispiel die eher traumatische Erfahrung, die unabhängige Szene zu verlassen und sich dem großen Hollywood-Apparat anzudienen. Für den Bezahlsender HBO, Heimat der Hit-Serien "Game of Thrones" und "True Detective", sollte er eine Mini-Serie nach Jonathan Franzens Bestseller "Die Korrekturen" realisieren. Das Projekt wurde aber wegen künstlerischer Differenzen nach der Pilotfolge eingestellt, die auch nie ausgestrahlt, sondern ins Archiv gesperrt wurde.

Manche Lebensphasen sind irgendwann vorbei

Baumbach probierte es dann lieber wieder auf seinem klassischen Terrain, mit der Slacker-Tragikomödie "Frances Ha". In der Hauptrolle: seine Freundin Greta Gerwig, Königin der Ostküsten-Hipster. Bereits hier fing er aber mit der Dekonstruktion und Entzauberung dieses Existenzmodells an, das in gentrifizierten Großstädten wie New York eigentlich nur noch von Menschen gelebt werden kann, die ideologisch und ökonomisch eher für das Gegenteil dessen stehen, was sie nach außen hin zu repräsentieren versuchen.

"Frances Ha" war aber vor allem ein Film über die Lebenswelt seiner fünfzehn Jahre jüngeren Freundin. Mit "Gefühlt Mitte Zwanzig", der im Original etwas hübscher "While We're Young" heißt, kehrt er nun wieder zu seiner eigenen Perspektive zurück. Sein Protagonist und Alter Ego ist der wie immer großartige Ben Stiller. Er spielt den Dokumentarfilmer Josh, der einst einen großen Hit hatte, nun aber seit einem Jahrzehnt an einem etwas wirren Dok-Projekt über "Macht in Amerika" scheitert und nicht mehr aus dem Schneideraum herauskommt.

Kinostart - 'Gefühlt Mitte Zwanzig'

Filmszene: Naomi Watts versucht sich mit einer Hip Hop Tanzstunde hipsterig jung zu halten.

(Foto: dpa)

Privat läuft es für Josh auch nicht optimal. Seine Frau Cornelia (Naomi Watts) und er haben keine Kinder, ihr ganzer restlicher Freundeskreis aber ist nur noch mit Fortpflanzung und deren ausführlicher Erörterung beschäftigt. Unter diesen Freunden, in einer wunderbaren Gastrolle: der ehemalige Beastie Boy und Super-Hipster Adam Horovitz als windelwickelnder Beweis, dass manche Lebensphasen irgendwann eben einfach vorbei sind.

Ben Stiller trägt einen hippen Hut, der sehr elegant seine Midlife-Crisis offenbart

Nur Josh will das noch nicht einsehen, weshalb er es als wunderbar revitalisierenden Energieschub empfindet, dass seine Frau und er genau jenes Jungpärchen kennenlernen, von dessen durchgestylter Wohnung zu Beginn die Rede war. Die beiden werden ganz famos ultrahipsterig von Amanda Seyfried und Adam Driver gespielt.

Die Mittzwanziger unternehmen mit den Mittvierzigern von nun an lauter coole Sachen, die nichts mit Babybauch oder Bäuerchen zu tun haben. Als Zeichen seiner zweiten Jugend setzt Ben Stiller sich dauerhaft einen Fedora-Hut auf den Kopf, der ihn in Wahrheit natürlich nicht jünger, sondern seine Midlife-Crisis nur offensichtlicher macht. Weil sich aber auch in diese glückliche Vierecksbeziehung irgendwann der Alltag einschleicht, versiegt dieser Jungbrunnen relativ bald.

Exkurs über ethischen Fragen zum Genre Dokumentarfilm

Der erfahrene Josh will seinem neuen jungen Kumpel bei einem Dokumentarfilmprojekt helfen, mit dem dieser sich in der Künstlerszene etablieren soll. Noah Baumbach verlässt an dieser Stelle kurz das Terrain der Feelgood-Komödie und schreckt nicht davor zurück, zu einem Exkurs über die ethischen Fragen des Dokumentarfilms anzusetzen. Das bremst die eigentliche Filmhandlung zwar ein bisschen aus, ist in seiner fröhlichen Gleichgültigkeit gegenüber jeglichen Mainstream- Filmerwartungen aber auch schon wieder sehr charmant. Ben Stiller also setzt zu längeren Monologen über Authentizität im digitalen Zeitalter an und klingt dadurch auf einmal nicht mehr wie ein Mittvierziger, sondern noch mal zwanzig Jahre älter.

Die Standpauke wächst sich zum Streit über das gemeinsame Filmprojekt aus und wird schließlich zur Katharsis für alle Beteiligten. Denn der Jugend- und Hipsterwahn stellt keinen der Protagonisten zufrieden und entpuppt sich für Jung wie Alt nur als Megastress, der nicht zum Glück, sondern zum Burn-out führt. Weshalb Baumbach auch seine Mittzwanziger aus dem Korsett der Coolness erlöst, für ein normal schönes Leben nach dem Avocado-Mandel-Sorbet. Das Hipster-Mädchen, das von Amanda Seyfried gespielt wird, sagt zum Schluss: "Wir haben uns immer gefragt, wie wir wohl alt werden. Die Antwort ist - so wie alle anderen auch."

While We're Young, USA 2015 - Regie, Buch: Noah Baumbach. Kamera: Sam Levy. Mit: Ben Stiller, Naomi Watts, Adam Driver, Amanda Seyfried. Square One/Universum, 97 Minuten.

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