Süddeutsche Zeitung

Gefälschte Hitler-Tagebücher:Hunger auf Nazi-Zeug

There is no business like Nazi business: Vor 25 Jahren trieb die Gier den Stern in den größten Skandal seiner Geschichte. Anmerkungen über journalistischen Übermut.

Willi Winkler

Er war zum Greifen nah, warum also nicht zugreifen? Schließlich war eine "Begegnung von großem zeitgeschichtlichen und auch menschlichen Wert" zu erwarten, dafür zeigte sich der Stern gern bereit, die Ausführungen "der genannten Persönlichkeit" unverändert wiederzugeben, wenn sie, diese Persönlichkeit, nur ja bitte exklusiv im Stern auftrat.

Über einen Mittelsmann wurde ein Vertrag geschlossen, und der Bonner Bürochef des Stern reiste 1964 in den paraguayischen Urwald, um das ersehnte Gespräch mit dem ehemaligen NSDAP-Reichsleiter und Hitler-Stellvertreter Martin Bormann zu führen, in dem er garantiert unzensiert seine Meinung über Gott und die Welt und unbedingt auch Adolf Hitler ausbreiten sollte. Leider wurde dann nichts aus dem exklusiven Auftritt Bormanns, was man auch menschlich bedauern muss, denn Martin Bormann war bereits seit 19 Jahren tot.

Das hinderte den Stern jedoch nicht, an sein wie immer geartetes Nachleben zu glauben. Zwischendurch wurde er immer wieder für tot erklärt, unter anderem vom Stern, aber so schnell wollte man die Hoffnung nicht aufgeben. Bormann durfte nicht sterben, und sein Chef erst recht nicht.

SS-Generäle als Trauerzeugen

In seinem Testament hatte Hitler das deutsche Volk verflucht, weil es den "asiatischen Horden" nicht mehr Widerstand leistete. Sowas kränkte. Hitler konnte nicht einfach so abtreten. Man wollte doch mehr wissen von ihm: Wie war das mit Eva Braun? Warum war er Vegetarier? Und Blondi, was wurde eigentlich aus Blondi? Der Stern lieferte bereitwillig derlei menschelnde Sättigungsbeilagen. Deshalb wurde nicht der Gründer Henri Nannen, nicht der wortgewaltige Sebastian Haffner, nicht einmal der wendige Hans-Ulrich Jörges der berühmteste Stern-Autor, sondern Adolf Hitler, der sein Lebtag lang wenig, sehr wenig schrieb, dafür aber nach seinem plötzlichen Ableben umso mehr.

Auch wenn heute alle Schuld auf den Nazi-Tölpel Heidemann geschoben wird: Der Stern bekam von ihm, was er wollte. Hitler ging immer, das hat nicht zuletzt Bernd Eichinger wieder bewiesen.

Niemand wird bestreiten, dass Gerd Heidemann ein Fanatiker war. Mit der Journalisten eigentümlichen Schlachtenlust hatte er in den 60ern aus den Bürgerkriegsgebieten Afrikas berichtet, um sich dann dem keineswegs so geheimnisvollen Geheimnis um die Identität des Schriftstellers B. Traven zu widmen. Heidemann war ein Star, mit dem der Stern in Anzeigen Werbung machte. In einem Brief an den damaligen Außenminister Walter Scheel schlug Ministerialdirigent Kurt Müller 1972 nach einer Flugzeugentführung vor, den erfolgreichen Reporter Heidemann von Regierungsseite mit weiteren Recherchen zu beauftragen.

Doch Heidemann hatte Größeres im Sinn. Der Reporter freundete sich zielgerichtet mit dem beinah achtzigjährigen SS-General Karl Wolff an, der "körperlich und geistig wohlerhalten" war. Er lud ihn wie auch andere Nazi-Veteranen wiederholt auf seine Yacht "Carin II" ein, die früher einmal Hermann Göring gehört hatte. Selbst der aufrechte Erich Kuby fand an Bord mit Karl Wolff zusammen und ließ "das herrliche Dritte Reich mit General Wolff auferstehen". Nachdem er sich von seiner langjährigen Freundin, die nicht ganz zufällig eine Tochter Hermann Görings war, getrennt hatte, heiratete Heidemann 1979 ein viertes Mal. Zu Trauzeugen bat er Wolff und gleich noch einen weiteren ehemaligen SS-General.

Wenn es der Wahrheitsfindung dient

Wo andere in die Flitterwochen nach Italien oder in die Südsee fuhren, reiste Heidemann mit seiner neuen Frau nach Südamerika und nahm Karl Wolff mit; der Stern zahlte dem infernalischen Trio bereitwillig die Reisekosten, schließlich galt der Honigmond einem guten Zweck: Im Auftrag des Magazins suchte Heidemann wieder mal nach Martin Bormann. Wenn er vielleicht doch noch lebte, dann sollte er bittschön exklusiv im Stern auferstehen. In La Paz schauten sie bei Klaus Barbie vorbei, dem in Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilten "Schlächter von Lyon". Barbie war eine Enttäuschung, mit Bormann wurde es wieder nichts, der Hunger auf Nazi-Zeug blieb ungestillt beim Stern.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie sich der "Stern" um sein Renommee brachte.

Die Tagebücher kamen da gerade recht. Der Nazi-Tandler Konrad Kujau schrieb sich die Finger wund, Heidemann riss ihm die Tagebücher aus der Hand, der Stern oder vielmehr der Mehrheitseigner Bertelsmann zahlte. "Es ist ein geradezu sinnliches Erlebnis, so ein Ding in der Hand zu haben. Diese Gewissheit - das Tagebuch hat DER geschrieben - und jetzt halte ich es in der Hand!", bestöhnte der Bertels-Mann Manfred Fischer noch nachträglich sein intimes Rendezvous mit dem größten Stern-Autor aller Zeiten.

Die Gewissheit gab es nie, Zweifel angeblich vom ersten Tag an, aber wenn es doch der Wahrheitsfindung diente? Klar, dass man für derlei exquisite Begegnungen besondere Preise und sogar einen Verzehraufschlag bezahlt. 9,34 Millionen Mark gab das christliche Verlagshaus Bertelsmann für die enorme Fleißarbeit von Konrad Kujau aus und anschließend noch mal eine ähnliche Summe, um die verspätet eingeweihte Chefredaktion arbeitsgerichtsbeständig zu feuern.

Am Ende kam es, wie es bei dem größenwahnsinnigen Interessenverbund nicht anders sein konnte: Die Geschichte des "Dritten Reiches", verkündete Chefredakteur Peter Koch auf der Pressekonferenz am 25. April 1983, müsse nun wegen dieser Tagebücher "in großen Teilen neu geschrieben werden".

Hitler geht immer

Der Stern gab sich dabei alle Mühe und schrieb bei Hitler wieder einmal das Menschliche groß. Ach, Mundgeruch quälte ihn, wie er seinem Tagebuch anvertraut hatte, und Eva Braun, die lästige Zicke, wollte doch unbedingt Freikarten für die Olympischen Spiele 1936. Auch das ganz große Register war den Geschichtsfälschern Kujau und Walde nicht fremd: Rudolf Hess hatte - die Tagebücher bewiesen's doch - 1941 einen Friedensflug nach England unternommen, er wollte, mit dem Segen des lieben Führers, einen Friedensschluss mit England und einen gemeinsamen Krieg gegen die Russen. Dass dieser revisionistische Quatsch beharrlich auch aus einem hartnäckigen braunen Altsumpf in der Bundesrepublik drang, störte die Verantwortlichen beim fälschlich als links verdächtigten Stern schon gleich gar nicht.

Es war die Verbindung von Inkompetenz (Zeitgeschichtsredakteur Thomas Walde), Größenwahn (Reporter Heidemann), Geldgier (Walde und Heidemann) und schlichtem betriebswirtschaftlichen Denken (Gerd Schulte-Hillen). Hitler, das wusste auch ein unpolitischer Geschäftsmann wie Schulte-Hillen, Hitler geht immer.

Aber man muss gerecht sein: Hitler macht sinnlich, Geld erst recht. Natürlich saßen beim Stern keine Nazis, sondern nur ahnungslose Tröpfe, die dafür umso mehr von Investitionen verstanden. Schulte-Hillen begann seine große Vorstandskarriere damit, dass er Heidemann eine Million nach der anderen in der Hoffnung ausfolgte, dass der return noch viel gewaltiger sein würde. Verlagschef Manfred Fischer schloss mit Heidemann und seinem Redaktionsleiter Walde Sonderverträge über die Weiterverwertung der Tagebücher ab, die sie nach menschlichem und betriebswirtschaftlichem Ermessen hätten reich machen müssen. Der Times-Verleger Rupert Murdoch war bereit, Millionen für die Nachdruckrechte in Großbritannien und den USA zu bezahlen. There is no business like Nazi business.

Im Keller des Stern

Zweifel gab es von Anfang an, aber auch vermeintliche Experten, die sie wegwischten. Sogar die eminenten Historiker Eberhard Jäckel (Stuttgart) und Hugh Trevor-Roper (Oxford) ließen sich anfangs vom Charme eines endlich menschenähnlichen Führers anrühren; Trevor-Roper fiel die Expertise leichter, weil er ohnehin einen schönen Nebenverdienst bei Murdoch bezog.

Der beste Experte war aber auch hier wieder Martin Bormann. Kujau hatte die Tagebuch-Kladden vorsorglich mit einem Echtheitszertifikat des Reichsleiters veredelt. Wieder über Mittelsmänner telefonierte Heidemann mit dem Phantom, das tat, wie geheißen: Natürlich waren die Tagebücher echt, was sonst? Auch Trauzeuge Wolff bestätigte die Echtheit und freute sich, "dass er an einer Korrektur der Geschichte des Dritten Reiches mitarbeiten konnte". Alte Geschichten, aber sie haben den Stern um sein Renommee gebracht.

Bormann, oder was sich von ihm noch anfand in der Asservatenkammer der Frankfurter Staatsanwaltschaft, in der er den Skandal um die Hitler-Tagebücher verbracht hatte, wurde 1998 verbrannt, seine Asche in der Ostsee verstreut. Still ruht nun auch dieses Meer. Das "herrliche Dritte Reich" aber geht noch immer regelmäßig unter. Hitlers Tagebücher, die sein Kanzleichef so bereitwillig, wenn auch erst postum beglaubigt hatte, ruhen ungelesen im Keller des Stern.

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SZ vom 1./2.3.2008/kur
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