Gedichtsammlung:Wolkenländer

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Das "große Büchergilde Gedichtbuch"

Von Nico Bleutge

Vielleicht verhält es sich mit Gedichten wie mit einem Blick in die Wolken. Wenn man nur ein klein wenig Geduld hat, sieht man Vögel und Farben und flockige Länder, die im Himmel schwimmen. Diese Wolkenländer sind immer in Bewegung, "ihre Grenzen verfließen, / lösen sich auf, / ballen sich neu / zu nie gesehenen / Inseln und Staaten". So jedenfalls hat es sich der Kinderbuchautor Hans Manz in einem seiner wundersamen Gedichte vorgestellt.

Ein rechtes "Feuerwerk der Fantasie" verspricht der Herausgeber Alexander Elspas. Und er stapelt in seinem kleinen Vorwort erst einmal tief: "Ich habe absichtlich auf eine Gliederung verzichtet und die folgenden Gedichte ganz willkürlich angeordnet." Das ist natürlich pure Untertreibung. Das "große Büchergilde Gedichtbuch" beginnt mit einem vermeintlich einfachen Bienengedicht: "Bienchen, Bienchen, / summ - summ summ, / um die Blumen summ herum!" Doch die Biene ist von jeher das Wappentier der Poesie, die Schreibenden sind in diesem Bild flinke Insekten, die ihre Gedichte wie einen Wabenbau anlegen und die gesammelten Nektartröpfchen in den "süßen Honig" der Poesie verwandeln.

Ein großer Teil der versammelten Gedichte stammt aus der Zeit Goethes und den nachfolgenden Jahrzehnten

Ebenso unscheinbar schließen sich an das Bienengedicht Verse über Tiere und Wettererscheinungen, über Jahreszeiten, Freundschaft, die Liebe, Kindheit oder das Glück des Augenblicks an. Es ist eine Kunst der losen Assoziation, nach der die einzelnen Gedichtstrecken dieses dicken Buches miteinander verknüpft sind. Da führt der Hunger zum Fliegenfressen, die Fliege zu Fröschen, das Fressen zu einem Gedicht über das Schlaraffenland, vor dem bekanntlich ein breiter Hügel aus Pflaumenmus liegt, woran sich selbstredend ein Rezept für einen leckeren Pflaumenkuchen anschließen muss. In diesem Spiel der Imagination kann die Biene der Poesie dann auch ein fröhlicher Vogel sein, wie ihn sich Goethe gedacht hat: "Ich singe, wie der Vogel singt, / der in den Zweigen wohnet. / Das Lied, das aus der Kehle dringt, / ist Lohn, der reichlich lohnet."

Das stimmt gewiss. Nur liegen hier leider auch zwei Probleme, mit der diese Anthologie zu kämpfen hat. Denn ein großer Teil der versammelten Gedichte stammt tatsächlich aus der Zeit Goethes und den nachfolgenden Jahrzehnten. Es ist eine Welt des neunzehnten Jahrhunderts, mitsamt den entsprechenden Wertvorstellungen und pädagogischen Ideen. Natur ist hier meist idyllischer Rückzugsraum, den das Gedicht als zeitlos "schöne Welt" feiert, und wer nicht brav war, darf vom Vater durchaus "geklopfet" oder von Knecht Ruprecht mit der Rute versohlt werden.

Die Fixierung auf diesen Zeitraum bringt es auch mit sich, dass Reim und festes Versmaß den Ton vorgeben. "Hier trifft Gereimtes auf Ungereimtes" - wie es im Klappentext heißt - ist eine sehr schmeichelhafte Formulierung. Kaum mehr als ein halbes Dutzend ungereimter Gedichte findet sich auf den Seiten. Und der einzige jüngere Gegenwartsdichter ist Arne Rautenberg. Das ist schade, hat doch die Gegenwartsdichtung so viel mehr zu bieten als Paar- und Kreuzreime - Stimmen, die tatsächlich die bekannten Grenzen verfließen lassen.

Alexander Elspas (Hg.): Das große Büchergilde Gedichtbuch. Illustriert von Ceylan Maurer. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt 2021. 232 Seiten, 28 Euro.

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