Süddeutsche Zeitung

Gedenken an Schlingensief:Bis der Tod uns abholt

Lesezeit: 3 min

Trauerrituale im Kulturmilieu können etwas sehr Unbehaustes haben - doch die Gedenkfeier für Christoph Schlingensief an der Berliner Volksbühne ist eine Liebeserklärung.

Peter Laudenbach

Die schönste Installation an diesem Abend steht im Vorraum der Herrentoilette: ein kleiner Monitor, auf dem in Endlosschleife zu sehen ist, wie Elfriede Jelinek den Text vorliest, den sie zum Tod von Christoph Schlingensief geschrieben hat. Sie ist dabei sehr sachlich und unprätentiös. Wie eine Nachrichtensprecherin sitzt sie hinter ihrem Tisch vor der Kamera und trägt ihr Trauer-Bulletin vor. Aber weil ihre Stimme dabei weich und konzentriert ist, weil sie klar und vorsichtig von der Liebe zu einem Menschen spricht, der nicht mehr da ist, weil ihre Sätze die Leerstelle, die dieser Mensch hinterlassen hat, ratlos und hilflos zu umkreisen scheinen, ist diese nüchterne Lesung auf eine distanzierte Weise dann doch sehr persönlich und anrührend: "Er konnte gar nicht so viel nehmen, wie er gegeben hat."

Einmal spricht Jelinek von einem "glitzernden Karussell von Leben" und das ist, zumindest an diesem Abend, keine drei Monate nach Christoph Schlingensiefs Tod, sicher die beste Formulierung für den schönen und verwirrenden und leuchtenden Wirbelwind, den dieser Künstler mit seinem Werk angerichtet hat.

Die Berliner Volksbühne gedenkt am Samstag Christoph Schlingensiefs. Überall im Haus sind auf Monitoren und Leinwänden Ausschnitte seiner Filme zu sehen. Weggefährten von Bernhard Schütz bis zu Dietrich Kuhlbrodt und dem tollen Mario Garzaner erinnern sich an die Begegnungen mit dem nun toten Freund. Sophie Rois und Martin Wuttke lesen aus einem Drehbuch-Entwurf des sehr jungen Schlingensief. Michaela Melián und Thomas Meinecke von der Band FSK singen Texte, die Schlingensief mit Anfang zwanzig in seiner Punkzeit für die Undergroundband Drei Kaiserlein geschrieben hat. Und das übliche Berliner Kulturvolk schlurft mit der Bierflasche in der Hand durchs Foyer.

Trauerrituale im säkularen, routinemäßig coolen Kulturmilieu können etwas sehr Unbehaustes haben. Aber weil viele ihre persönliche Geschichte mitbringen, weil Schlingensief vielen, die an diesem Abend gekommen sind, zumindest in Phasen ihres Lebens sehr nah war, entsteht dann doch so etwas wie eine Trauergemeinde. Zu dieser Mischung aus Trauer und Party passt das Foto, das meterhoch am Portal des Theaters hängt: ein Kreuz, an dessen Querstrebe Schlingensief eine Kinderschaukel gebunden hat. Auf der sitzt er, als würde er auf den Heiland warten. Unwillkürlich denkt man bei diesem vom gläubigen Katholiken Schlingensief verulkten Kreuz an einen berühmten Satz von Kurt Schwitters: "Wir spielen, bis der Tod uns abholt."

An der Volksbühne hat Schlingensief seine wichtigsten Inszenierungen herausgebracht, nur dieses Theater hat diesen durchaus anstrengenden Menschen über Jahre ausgehalten. Matthias Lilienthal, damals Chefdramaturg im Haus, hatte den Undergroundfilmer 1993 geholt, ein schwieriges Manöver, weil Schlingensief Theater als Kunstform erst mal sehr prinzipiell völligen Unsinn fand. Und weil Schlingensief es dem Theater nicht leichtmachen wollte, bestanden seine Arbeiten an der Volksbühne dann aus lauter Anschlägen auf diese altmodische Kunstform.

Er musste die Krisen aushalten

Lilienthal war über Jahre der Einzige, der genau diese Aggression interessant und großartig fand: So ungeschützt, hysterisch, persönlich und auf die charmanteste Weise bösartig, aber eben auch wahrhaftig kann Theater sein! Zur Strafe dafür, dass er zwischen Schlingensief und dem Theater einen so fruchtbaren Clash der Kulturen initiiert hatte, musste der Dramaturg dann die regelmäßigen Krisen zwischen Schlingensief und dem Theaterbetrieb aushalten.

An diesem Gedenkabend sitzt Lilienthal in seinem üblichen verknitterten, gammligen knallroten Hemd auf einem Sofa in einem der Foyer-Salons und freut sich wie ein Schneekönig, wenn auf der Leinwand frühe Filme und Fernsehauftritte Schlingensiefs zu sehen sind. Für einen kurzen Moment sind die Menschen, denen Schlingensief viel bedeutet hat, noch einmal miteinander verbunden. Zum Beispiel, wenn der Schlingensief-Schauspieler Klaus Beyer auf der kleinen Bühne im Roten Salon ein herzergreifend naives und genau darum eben auch herzergreifend wahres Lied für den Toten singt: "Auf der Bühne war was los, und im Film warst du ganz groß. Du hast viel für mich getan, rechtzeitig erfuhr ich's dann."

Genau diese Mischung aus Dilettantismus und dem Mut, sich trotzdem zu trauen, aus echtem Gefühl und schrägen Reimen, passt sehr genau zu Schlingensiefs immer gekonnt dilettantischer, verrutschter und eben auch sehr ungeschützter Kunst. Der ungefilterte Kurzschluss zwischen Leben und Kunst, zwischen persönlicher Beziehung und gemeinsamer Arbeit, ist an diesem Abend nicht nur angemessen, sondern unvermeidlich. Irgendwann kurz vor Mitternacht sagt der Schauspieler Bernhard Schütz, dass ihn keiner in seiner Theaterbiographie so herausgefordert hat wie Schlingensief. Das ist eine Liebeserklärung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1020839
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.11.2010
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.