100. Geburtstag von Herbert von Karajan:Er wurde überall gebraucht

Zwischen Tradition und Moderne, zwischen Technikbegeisterung und musikalischer Entrücktheit: Der Dirigent Herbert von Karajan ist noch immer eine der faszinierendsten Figuren der Musikgeschichte.

Hans-Jürgen Jakobs

Er war beides in einem: Mann der Moderne und Mann der Tradition. Ein Künstler, der die Partituren im Kopf hatte und der Welt entrückt dirigierte - und zugleich ein Pionier der Technik, der stolz darauf war, 1982 zusammen mit dem Konzern Sony die erste industriell gefertigte Compact Disc präsentieren zu können. Zu hören war "Eine Alpensymphonie" mit den Berliner Philharmonikern.

100. Geburtstag von Herbert von Karajan: Herbert von Karajan: "Wohin Sie wollen, ich werde überall gebraucht."

Herbert von Karajan: "Wohin Sie wollen, ich werde überall gebraucht."

(Foto: Foto: dpa)

Dieses Orchester hat den Weltruhm von Herbert von Karajan begründet. Aber der Künstler, den sie "Magier" oder "Wunder" oder "Legende" nannten, war nicht nur Chefdirigent in Berlin. Er war auch Konzertdirektor der Wiener Symphoniker, Dirigent der Wiener Philharmoniker, beliebter Gastdirigent der Mailänder Scala, Chefdirigent des Orchestre de Paris und selbstverständlich hatte er bei den Festspielen in seiner Heimatstadt Salzburg legendäre Auftritte.

Dieser Herbert von Karajan machte Klassik zum globalen Ereignis, er war das Gesicht zu den Tönen der großen Komponisten, und er hat alles getan, dass dieses Gesicht immer wieder zu sehen war, dass von seinem Genie ja jeder etwas mitbekam. Das hat ihn auf seine Weise unsterblich gemacht, unsterblich wie zum Beispiel die Opernsängerin Maria Callas.

Genie des Wirtschaftswunders

Im Juni 1956 dirigierte Karajan an der Mailänder Scala die "Lucia di Lammermoor", und am Ende beugt die große Callas - sie sang die Titelrolle - die Knie und küsste Karajan die Hand. Mehr geht nicht. Er war, schrieb Adorno einmal, das "Genie des Wirtschaftswunders".

Dieser Über-Musiker hatte ein Gefühl für mediale Vernetzungen. Er war oft mit Privatfotos in der Öffentlichkeit, die ihn mit seiner Frau Eliette zeigten oder in schnellen Autos, auf schnellen Yachten oder vor schnellen Flugzeugen. Doch Karajan blieb gleichwohl fern, unerreichbar. So wurde er zur Ikone, ohne eine billige Werbefigur zu sein.

"Karajans Lebensziel war es, Musik um den Globus zu bringen", schreibt Anne-Sophie Mutter, die zahlreichen PR-Fotos hätten "dem oberflächlichen Betrachter eine private Nähe vorgegaukelt, die Karajan dem Publikum gegenüber nie zuließ". Anne-Sophie Mutter, die dem Maestro mit 13 Jahren vorgespielt hatte, blieb zu seinem Tod im Jahr 1989 sein einziger Violinsolist.

Das Leben des Herbert von Karajan wird in diesen Tagen öffentlich noch einmal in vielen Akten vorgeführt. An diesem Samstag wäre er 100 Jahre alt geworden, und so überbieten sich Buchverlage, Zeitungen und Fernsehsender mit Huldigungen. Er bleibt eine der faszinierendsten Figuren der Musikgeschichte.

In Salzburg gab er mit fünf Jahren sein erstes öffentliches Klavierkonzert, ein Rondo von Mozart, gespielt im Gasthaus. Da hieß er noch Heribert Ritter von Karajan, aber nach dem Abitur am Mozarteum war der Ritter Heribert dann weg. 1929 dirigierte er das Mozarteum Orchester. Die Ochsentour am Pult begann.

1935 avancierte er in Aachen zum jüngsten Generalmusikdirektor Deutschlands. Zeitlebens ist er danach gefragt werden, warum er zweimal in die NSDAP eingetreten war, einmal in Salzburg, einmal in Aachen. Er wollte Karriere machen, so viel ist sicher, aber ein Nazi war er "natürlich nicht - er war einer der vielen Mitläufer", urteilt Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Als Karajan im Juni 1939 an der Berliner Staatsoper einmal in Anwesenheit des Diktators Adolf Hitler den "Meistersinger" dirigierte, beklagte sich der Machthaber sogar über das von ihm als schlecht empfundene Dirigat und begründete dies damit, es sei "nicht deutsch genug". Da schätzte Hitler den älteren Wilhelm Furtwängler schon mehr, den großen Rivalen und Fixstern Karajans.

Eroberung der Musikwelt

Ers nach dessen Tod im Jahr 1954 gewann Karajans Karriere richtig schwungvoll an Fahrt, in Berlin, Salzburg, Wien und anderswo. Als ihn einmal ein Taxifahrer nach seinem Fahrtziel fragte, anwortete der Meisterdirigient: "Wohin Sie wollen, ich werde überall gebraucht."

Der "zierliche Cäsar" (Stern), der sich bei Bergwanderungen und sonstigen sportlichen Betätigungen ertüchtigte, eroberte die Musikwelt. In seinen letzten Schaffensjahren zerstritt er sich mit seinen Berliner Philharmonikern, die die von ihm auserwähle Sabine Meyer als Klarinettistin nicht akzeptieren wollten.

1985 durfte Karajan Mozarts "Krönungsmesse" bei einem von Papst Johannes Paul II. zelebrierten Hochamt im Petersdom dirigieren und schließlich aus den Händen des Heiligen Vaters die Kommunion empfangen - ein für den Katholiken ergreifenderr Moment. Sein letztes Konzert war im April 1989 in Salzburg, er dirigierte Bruckners "Siebte Symphonie". Als er drei Monate später mit zwei hohen Herren von Sony über sein musikalisches Erbe reden wollte, verlangte er mitten im Gespräch plötzlich nach Wasser - und sank nach dem ersten Schluck tot zur Seite.

"Und er ist immer noch da", sagt seine Witwe Eliette heute. Sieben Opern und 41 Konzerte hat Karajan zum Beispiel frühzeitig auf Film festhalten lassen, damals, als er mit dem Münchner Medienunternehmer Leo Kirch gemeinsame Sache machte. Der Schatz wird von Kirchs langjährigem Manager Jan Mojto bei minus sieben Grad in einem riesigen Keller in Unterföhring aufbewahrt; Mojto hat Kirchs Firma Unitel übernommen und spricht angesichts der kostbaren Musikfilme von "unserem Heiligtum".

Wenn es um Karajan geht, fallen nur ganz große Vokabeln. Karajans Ausstrahlung, fand zum Beispiel Walter Benjamin, sei die "einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag." Das gilt auch zum Hundertsten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: