80. Geburtstag: Ennio Morricone:Spiel mir das Lied zum Film

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Meister der musikalischen Untermalung: Über 500 Filme hat Ennio Morricone mit seinen Kompositionen veredelt. Er machte aus Klaus Kinski ein Monster, hält sein Soundtrack-Schaffen aber für unseriöse Kunst.

H. Mauró

Am liebsten präsentiert er sich im Frack, mit Dirigierstab und über eine Partitur gebeugt, die er doch in- und auswendig kennen muss. Ennio Morricone, der sich trotz seiner mehr als 500 Soundtracks erst in zweiter Linie als Filmkomponist begreifen will, liebt den großen Auftritt, den leibhaftigen, den er im Film nie hatte.

Ennio Morricone komponierte das unsterbliche Mundharmonika-Motiv aus "Spiel mir das Lied vom Tod". (Foto: Foto: dpa)

Er liebt es, ein richtiges Symphonieorchester zu dirigieren, mit richtigen Symphonien oder wenigstens seinen zu Symphonien arrangierten Filmmusiken. Vielleicht ist es der charmant altbackene Lebensplan, der ihm, der heute achtzig wird, einst die Laufbahn eines seriös verarmten Komponisten vorschrieb - immerhin studierte er beim Serialisten Goffredo Petrassi -, vielleicht ist es auch der Drang, die im Filmgeschäft verdienten Millionen mit hochintellektueller Kultur zu veredeln.

Man konnte ihn offenbar nicht davon überzeugen, dass sein filmisches Komponieren nicht nur finanziell, sondern auch intellektuell sehr wohl hohe Kunst ist. Zu spät erreichte ihn die Oscar-Auszeichnung, ein Ehren-Oscar im vorigen Jahr, "nur" fürs Lebenswerk. Fünfmal war er in den Jahrzehnten davor nominiert, längst hätte er ihn bekommen müssen - sagt er. Für mindestens eine der 581 größtenteils Original-Filmmusiken, mit Ohrwürmern wie dem heute noch bedrohlich jaulenden Mundharmonika-Motiv aus "Spiel mir das Lied vom Tod".

In Interviews redet Morricone lieber von Darmstadt, dem Mekka der Neuen Musik, von seinem Lehrer Petrassi, von der Absoluten Musik als philosophischer Kategorie und von seinem Sohn Andrea, der nun doch ein richtiger Komponist geworden sei. Aber auch er, Ennio Morricone, habe ja andere, seriöse Musik geschrieben...

Den Olymp erweitert

Leider kennt man diese andere Musik von Morricone kaum, eigentlich überhaupt nicht. Im 20. Jahrhundert hat sich trotz oder wegen aller möglichen Förderung der Bibelspruch bewahrheitet: Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein durch seine Musik reich gewordener Komponist ins Himmelreich der Hochkultur. Und doch hat es Morricone durch einen kleinen Trick geschafft, auch wenn ihm dies offenbar gar nicht so sehr bewusst geworden ist.

Er hat den Olymp einfach ein bisschen erweitert, hat die Eingangspforte verbreitert und dafür gesorgt, dass die akademische Alleinherrschaft hier zumindest in Frage gestellt wurde und auch ein paar Filmkomponisten dort Platz gefunden haben. Morricone gehört als einer der ersten dazu, denn von ihm werden mehr Töne und Tonverbindungen im Gedächtnis bleiben, als dies wohl den meisten zeitgenössischen Komponisten vergönnt sein wird. Und es werden nicht nur melodische Motive sein, die haften bleiben, sondern eine Meisterschaft, Bild und Klang so miteinander zu verschmelzen, dass man am Ende nicht weiß, was zuerst da war.

Offenbar geht dies selbst vielen Filmbegeisterten so, und man erzählt gern die Geschichte vom Westernregisseur Sergio Leone, der aus Verehrung für den Komponistenfreund einst eine Reiterszene so nachbearbeitet habe, dass sie rhythmisch zu Morricones Soundtrack passte. Allerdings: Hätte Morricone den Bildrhythmus in der Musik haben wollen, hätte er die Szene mit Sicherheit schon vorher entsprechend komponiert. Morricones Kunst ist subtiler und auch wieder plakativer als Synchronreiten.

Zum Beispiel in "Für ein paar Dollar mehr", in der aus dem Cowboy Klaus Kinski innerhalb einer Sekunde ein völlig unbegreifliches Monster wird. Nicht durch Worte, nicht durch dessen geisteskranken Gesichtsausdruck, sondern erst durch Morricones tonmalerisches Make-up mit Tuba und einem schrillem Geigencluster, der wie ein Feueralarm in einer amerikanischen Schule klingelt und ein unkontrollierbares Gefühl schierer Panik auslöst.

Der Held wartet auf die Musik

Es ist ein idealer Moment für den Filmkomponisten Morricone, der wie die Bilder in den Italowestern gleichfalls zwischen großer Oper und Operette tingelt, auch mal eine Kirchenorgel im Tuttiregister gegen das zarte Spielwerk einer Taschenuhr setzt. Dabei verzichtet er meist auf das gängigste Mittel der Filmmusik überhaupt: die akustische Vorwegnahme eines Auftritts.

Oft ist es umgekehrt, der Held erscheint, und Morricone wartet noch eine Sekunde, lässt im Betrachter den Wunsch reifen, nach dem Aufziehen des Vorhangs möge nun das Orchester mit prallem Klang füllen, was an dramatischen Gräben aufgerissen wurde. Erst jetzt wird aus dem brüchigen Mundharmonika-Tonklecks in "Spiel mir das Lied vom Tod" ein schlagkräftiges Motiv. Bis dahin war es nur der schmächtige Halbtonschritt e-f, wie er sich beim Ein- und Ausatmen durch die Mundharmonika von selbst ergibt; unbeholfen, ungestalt, hilflos wie der gefesselte Junge, der die beiden Töne herauspresst.

Morricone belässt auch hier die einfachen Motive gern in originaler Gestalt, entwickelt kaum, liefert nur neue Instrumentationen, leicht erkennbare Verfärbungen des Originals. Trotzdem passieren da Wunder wie in "Cinema Paradiso" von Giuseppe Tornatore. Je mehr man sich in diesen Film hineinfühlt, desto weniger merkt man, wie man nicht nur durch die Kameraführung, sondern auch durch die Zauberklänge des Filmkomponisten am Zügel geführt wird, wie man plötzlich auf relativ einfach gestrickte Abendszenen hereinfällt: Auf die Melodie, die Sehnsucht des Jungen, der in der Silvesternacht vor dem Haus seiner Angebeteten wartet und hofft und tausend Tode des Wartens und Hoffens stirbt.

Ein tiefer gestimmtes H-Dur begleitet die Szene, haucht ihr Seele ein, und das hat so gar nichts zu tun mit dem Sound der früheren Westernkomödien, auch nicht mit Morricones fließbandartig verfertigten Partituren für beinahe jedes Genre, vom KZ-Film bis zur Papstbiografie. Aber auch dort wird man wenigstens eine Szene finden, die nicht im Bildgedächtnis abgespeichert ist, sondern im musikalisch-emotionalen Teil des Hirns. Dort, wo der Mensch ein Mensch geworden ist.

© SZ vom 10.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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