Geburtstag:Ein Mann, ein Wort, ein Brummen

Von Zugschaffnern wird er ignoriert, von Lesern verehrt und von irischen Destillen ausgezeichnet - der Übersetzer, Erzähler und Vortragskünstler Harry Rowohlt wird 60.

Von Hilmar Klute

Vor ein paar Wochen ist Harry Rowohlt zum ersten Mal in seinem Leben mit der Wuppertaler Schwebebahn gefahren. Er hatte einen Sitzplatz in Hörweite zu einem übergewichtigen Jugendlichen. Der wiederum unterhielt ein gespanntes Verhältnis zu seiner Freundin und empfahl dieser, sie solle sich doch lieber "mit dem Yeti da unterhalten".

Harry Rowohlt wird 60

Der Einzelgänger Harry Rowohlt wird 60.

(Foto: Foto: dpa)

Nun trägt Harry Rowohlt bekanntermaßen einen der ungezähmtesten Bärte durch die Republik, die man sich überhaupt vorstellen kann. Dem jungen Fettsack dagegen hingen nur ein paar Flusen im Gesicht.

Und deshalb kroch aus dem schneeweißen Haarwald des Yeti diese tiefe, ruhige, aber in Wutlaune auch ganz schön scharfe Stimme und forderte den Dicken auf, sich erst einmal einen anständigen Bart wachsen zu lassen und fünf Kilo abzunehmen, bevor er sich über das Aussehen anderer Leute ausließe.

Verflucht peinlich

Von Zugschaffnern ignoriert, von Lesern verehrt, von irischen Destillen ausgezeichnet - die Zickzack-Wege eines Einzelgängers Das ist ein klarer, auch von der sozialen Einstellung her korrekter Satz und so verflucht peinlich, wenn die eigene Freundin dabei steht. Der Flusenbart verließ die Schwebebahn an der nächsten Haltestelle.

Solche Pöbeleien gegen Menschen, die wie Penner aussehen, erlebt man täglich in öffentlichen Verkehrsmitteln. Dem Übersetzer, Erzähler, Schauspieler und Vortragskünstler Harry Rowohlt geschieht es zudem regelmäßig, dass er von Taxifahrern als Fahrgast verschmäht, von Zugschaffnern ignoriert und zu seinen eigenen Veranstaltungen nicht zugelassen wird. Das ist die eine Seite.

Die andere: Harry Rowohlt, der am kommenden Sonntag 60 Jahre alt wird, bringt mit seinen öffentlichen Lesungen manchmal 300 Leute dazu, seinen von eindrucksvollen Trinkleistungen begleiteten Brummereien bis tief in die Nacht zuzuhören. Und damit ist er zu einer Art Wappentier der lesekundigen Erlebnisgesellschaft geworden.

Morgens um fünf mit Tipp-Ex

Harry Rowohlt wohnt im Parterre eines weißen Jugendstilhauses im Hamburger Stadtteil Eppendorf. Über dem Eingang steht Salve, auf dem Klingelschild steht Rowohlt, und wenn man läutet, macht niemand auf.

Das hat wohl auch damit zu tun, dass "der Harry ganz zauberhaft sein kann, aber auch nicht immer ganz einfach". Sein Verleger Peter Haag sagt das so.

Ein Mann, ein Wort, ein Brummen

Und wenn einer den Ruf zu verteidigen hat, nicht immer ganz einfach zu sein, öffnet er halt erst nach dem dritten Klingeln die Tür. Aber jetzt möchte man endlich auch das Zauberhafte im Wesen von Harry Rowohlt kennenlernen.

Penner Harry in der Lindenstraße

Als Obdachloser Harry ist Harry Rowohlt jeden Sonntag in der "Lindenstraße" zu sehen.

(Foto: Foto: dpa)

Kurze Vorbereitungszeit

Dazu bleiben fünf Minuten Vorbereitungszeit, die man in der offenen Wohnungstür stehend verbringt, und dann kommt der Haarmensch und grüßt: "Ich hatte eine Scheißangst, dass Sie auch noch einen Fotografen mitbringen."

Der Mann wirkt aufgescheucht, ein Schreibtischhocker, der ab fünf Uhr morgens an der Schreibmaschine sitzt und Tipp-Ex auf seine Übersetzertyposkripte pinselt, lange bevor andere ihre Frühstücksbrötchen mit Marmelade bestreichen. "Ein Koloss betritt die Bühne", hat einmal eine Provinzzeitung geschrieben.

Dabei ist Harry Rowohlt unter dem gewaltigen Löwenkopf eher schmächtig, fast von zarter Gestalt, so wie er jetzt auf dem schwarzen Ledersofa sitzt, unter bunten Gemälden, auf denen Stangenweißbrote an weißen Kacheln lehnen. Rowohlt lebt hier mit seiner Frau Ulla, die Buchhändlerin in Hamburg ist.

Zickzack-Lauf durchs Viertel

Einer wie er müsse nicht mehr abgelichtet werden, sagt er. Auch, weil er gerade die tausendste Folge der Lindenstraße überstanden habe, in der er seit Jahren den Penner Harry spielt. Seitdem weiß auch der nicht so lesekundige Teil der Gesellschaft, wer Harry Rowohlt ist. Das heißt, er weiß, wie er aussieht.

"Hier im Viertel lauf' ich immer zickzack. Nicht weil ich besoffen bin, sondern weil ich den Leuten ständig ausweiche. Außerhalb der Bühne bin ich aus Plexiglas. Als Kind dachte ich ganz lange, ich wär überhaupt sowieso unsichtbar."

Immerhin: Als Harry Rowohlt am 27. März 1945 geboren wurde, war dies "zusammen mit dem Anrücken der Engländer für Ernst Rowohlt das wichtigste Ereignis des letzten Kriegsjahres", wie es Walther Kiaulehn in seiner Biografie des Großverlegers notierte.

Milde Form von Legasthenie

Das muss doch was heißen bei einem Mann wie Ernst Rowohlt, der Kurt Tucholsky seine herrlichen Sommerromane aus dem Ärmel gezogen und Robert Musil den "Mann ohne Eigenschaften" vom Schreibtisch gerissen hatte.

Die ersten zehn Jahre seines Lebens hieß Harry Rowohlt Harry Rupp, weil seine Mutter Maria Pierenkämper zunächst mit dem Maler Max Rupp und erst ab Mitte der fünfziger Jahre mit Ernst Rowohlt verheiratet war, der gleichwohl Harrys leiblicher Vater ist.

"Meine Mutter war Schauspielerin, da bin ich ihr immer von Engagement zu Engagement nachgefolgt und war manchmal auch bei Freunden ausgelagert." Mit vier Jahren konnte Harry lesen, aber sonst nicht viel. Einmal, als er in Dylan Thomas' Hörspiel "Under the milkwood" vertieft war, hat sein Vater zu ihm gesagt: "Typisch, 'ne Fünf in Mathe, aber Mischwald lesen." Und das in einer Verlegerfamilie? "Mein Vater litt an einer milden Form der Legasthenie."

Ständig krank

Das ist eine dieser fast zärtlich hingebrummten Ungeheuerlichkeiten, die Harry Rowohlt, ohne die Tonlage zu wechseln, zu neuen Höhepunkten der Patriarchenbeschimpfung steigern kann:"Meinen Vater habe ich als jemanden erlebt, der zu den seltenen Menschen gehört, die überhaupt nichts können. Das ist ja eine echte Begabung.

Der war unmusikalisch, lispelte, war ständig krank und mäkelig. Der ist ja auch nur Verleger geworden, weil er kein Abitur geschafft hatte, nicht einmal Mittlere Reife. Sonst wäre er Offizier oder Lehrer geworden."

Harry Rowohlt fing Mitte der sechziger Jahre als Lehrling beim Suhrkamp- Verlag an, machte ein Sortimentspraktikum bei der Bücherstube Schöller am Kurfürstendamm in Berlin und wäre dann gerne als Austauschschüler nach Amerika gegangen.

Älter als der Reißverschluss

Man fragte ihn, wie er sich seine Gastmutter vorstelle. "Da habe ich gedacht, sie wollten hören: wie meine eigene Mutter." Und sagte es. Obwohl es "natürlich genau diametral gelogen war". Es wurde nichts aus der Reise, weil die Organisatoren annahmen, er bekomme zu schnell Heimweh.

Man kann jetzt anfangen, küchenpsychologisch zu ergründen, warum ein begabter Junge wie Harry Rowohlt so wenig Zuneigung zu seinem erfolgreichen Vater und seiner talentierten Mutter verspürt.

"Der Grund, dass ich mich mit meiner Mutter nicht verstehe, ist, dass sie älter ist als der Reißverschluss." Einer dieser hübsch klingenden Harry-Rowohlt-Sätze, die vollkommen sinnlos sind. Aber sie müssen hier stehen, weil Harry Rowohlt so triumphal durch seine ovale Brille lächelt, wenn er sie ausspricht.

Volontär bei Suhrkamp

Er lässt die blaue Gauloisespackung in der rechten Hand zerknistern, zieht sich eine neue Filterlose aus der frischen Packung und lässt sie in die halb volle Teetasse fallen.

Nach zweieinhalb Jahren Suhrkamp zog Harry Rowohlt als Volontär in den Verlag seines Vaters ein. "Ich kannte den ja vorher nicht", sagt er. "Da hab ich ihn dann kennen gelernt und gedacht: Womit habe ich dieses Straflager verdient? Ich hab doch niemanden umgebracht."

Wilhelminische Strukturen seien das gewesen, Frauen durften keine Hosen tragen, es wurde nach unten geduzt und nach oben gesiezt. Das Rowohlt-Verlagsgebäude in Reinbek sei auch im Grundriss hakenkreuzförmig, sagt er. "Ja, das ist Zufall. Das ist Blödheit."

Angst vor Entführung

Harry Rowohlt hätte der Erbe dieses Verlags sein können. Aber dazu hätte er ihn leiten müssen. "Mein Vater ist ja fünfmal Pleite gegangen mit seinem Scheißladen. Wenn ich den Rowohlt-Verlag übernommen hätte, wäre das die erste Tradition gewesen, die ich wieder hätte aufleben lassen."

Einmal hat er in einer seiner Kolumnen in der Zeit geschrieben, dass sein Vater ihm einen dunkelbraunen Sessel und einen Bademantel vererbt habe. "Das Erbe an dem Sessel habe ich nicht angetreten, und wenn die Kidnapper den Bademantel wollen, können sie ihn höchstens geliehen haben."

Rowohlt hat nämlich eine Riesenangst, verschleppt zu werden, so wie Jan Philipp Reemtsma damals. "Nachdem er viermal im Fernsehen war, wurde der entführt. Und sein Lösegeld konnte man aus der Kaffeekasse bestreiten. Bei mir geht das nicht." Die 49 Prozent Anteil am Verlag hat er an Holtzbrinck verkauft.

Kein Juniorchef

Also kein Dasein als Juniorchef, sondern mühsamer Gelderwerb mit Übersetzungen. Angefangen hat das mit A.S. Neill, dessen Buch "Die grüne Wolke" wegen der vielen Slangausdrücke als unübertragbar galt. Harry Rowohlt hat sich ein Wörterbuch der Gaunersprache Rotwelsch zugelegt und hatte Erfolg.

Dann kam der Ire Flann O' Brien hinzu, den schon Rowohlts Vater im Programm hatte. Allerdings mit von Harry Rowohlt gezählten 1200 Fehlern in der deutschen Version.

Rowohlt übersetzte den Roman "In Schwimmen-zwei-Vögel", fehlerfrei, wie er sich selbst zugute hält, wurde zum Irland-Experten und als solcher vom Dachverband der irischen Brennereien mit dem Titel "Ambassador of Irish Whisky" gekrönt.

Zauselhaftes Äußere

Er selbst verteidigt den Ehrentitel bis zum letzten Tropfen, indem er sich bei seinen eigenen Lesungen selbst auf der Malt-Flasche begleitet.

Aber das zauselhafte Äußere des Harry Rowohlt steht diametral zur Pedanterie, mit der er arbeitet. Rowohlt liebt es, die fremden Texte wortwörtlich ins Deutsche zu transportieren.

Ein Mann, ein Wort, ein Brummen

Zum Beispiel, wenn er aus Frank McCourts Bestseller "Die Asche meiner Mutter" an einer Stelle, die vom Hunger handelt, übersetzt: Unser Nabel rieb sich an der Wirbelsäule. Da hat ihm eine Leserin geschrieben, das hieße auf Deutsch: "den Gürtel enger schnallen".

"Ach, leck mich doch am Arsch."

Der Übersetzer schaut jetzt so entgeistert durch die Brille, als säße die Leserin vor ihm, hebt die Teetasse zum Mund und sagt dunkel: "Ach, leck mich doch am Arsch."

Harry Rowohlt nimmt seine blaue Jeansjacke vom Garderobenständer und ist drei Minuten später wieder aus Plexiglas. An der verkehrslauten Eppendorfer Landstraße drehen sich zwei junge Mädchen nach ihm um.

Die Kellnerin im Restaurant "Mediterraneo" kommt öfter an den Tisch als notwendig, und als Harry Rowohlt das Wort "Lindenstraße" in den Mund nimmt, schaut auch die alte Dame mit dem komischen Hut herüber.

Die drei aus Liverpool

"Ich habe schon fünfmal Gehaltserhöhung bekommen", sagt er, "und ich sehe die Gage als Schmerzensgeld." Aber er wird wohl weiter den Penner Harry spielen.

Dagegen hat er es aufgegeben, seine kleinen, verträumt-sprunghaften Geschichten weiter zu schreiben, die er bis vor einigen Jahren regelmäßig in der Zeit veröffentlicht hat - im Namen des Bären Winnie the Pooh, dessen Geschichten Rowohlt mit seiner Übersetzung populär gemacht hatte.

Ulrich Greiner, Literatur-Chef der Zeit, kamen die Bärentexte vor, als habe sie einer geschrieben, der gerade erst geweckt wurde. Und Harald Martenstein, selbst Kolumnist, gratulierte Rowohlt dazu, die Kolumne vom Zwang der linearen Logik befreit zu haben.

Nur Verehrer

Harry Rowohlt scheint fast nur Verehrer zu haben. Ein anderer, der seine Übersetzerarbeit "gemischt" sieht, möchte nicht mit Namen genannt sein. Kritik an Harry Rowohlt wird aber vor allem von Harry Rowohlt selbst besorgt:"Ich habe meine eigenen Kolumnen mit wachsendem Unmut gelesen", sagt er.

"Korrekteure und Setzer" hätten seine Wörter verdreht und die Texte mit Fehlern gespickt. Schürboden statt Schnürboden. "Ich meine", sagt er, "die wissen nicht, was ein Schnürboden ist, also schreiben sie Schürboden. Aber was das ist, weiß man auch nicht."

Matjes mit Schwarzbrot

Irgendwann habe er sich bemüht, Sachen zu erleben, in denen keine schweren Wörter vorkamen. "Außerdem: Was ich in meinen Kolumnen nicht geschrieben habe, das kann ich ja immer noch erzählen." Oder den Leuten direkt nach Hause schreiben.

Sein Verlag "Kein und Aber" hat gerade ein dickes Buch mit Rowohlts "nicht weggeschmissenen Briefen" herausgebracht. Im "Mediterraneo" hat der Übersetzer eine Portion Matjes mit Schwarzbrot gegessen und Apfelschorle dazu getrunken.

Jetzt singt Elvis Presley vom Band "Blue Suede Shoes", und plötzlich beginnt Harry Rowohlt, das Lied rhythmisch mit dem Körper zu begleiten. Dies geschieht ruckartig und unter kurzem, schnellem Gebrumm.

Geschenkt

Aber man spürt, dass da ein großer Impuls nach Ausdruck sucht. Im Lokal erzählt er noch schnell die Geschichte, wie die drei Jungs aus Liverpool damals bei ihrem Engagement in Hamburg einen Schlagzeuger suchten.

Schlagzeug ist das einzige Instrument, das Harry Rowohlt spielen kann. Aber er hat es dann doch bleiben lassen, Beatle zu werden. Gut, dann hätten wir das jetzt auch, und danke, Herr Rowohlt, für das Gespräch. "Geschenkt!" Na gut, geschenkt.

Aber den Mann im "Mediterraneo" in Eppendorf ein paar Sekunden lang auf einen Song von Elvis zucken und brummen zu sehen - das muss es wohl gewesen sein, das Zauberhafte an Harry Rowohlt, von dem der Verleger am Telefon gesprochen hatte.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: