Sie sei zu groß für Hauptrollen, wurde der jungen Vanessa Redgrave von einer Schauspiellehrerin attestiert. Und tatsächlich strahlt Redgrave, die bekanntlich doch noch jede Menge Hauptrollen spielen sollte, durch ihre Größe von 1,80 Metern eine gewisse Sprödigkeit und Widerspenstigkeit aus. Die Frauen, die sie verkörpert, machen sich nicht klein, sie wollen nicht unbedingt gefallen.
Wie sehr das einen Mann reizen kann, erfährt schon David Hemmings als Fotograf in Michelangelo Antonionis "Blow Up". Da ist Redgrave eine mysteriöse Frau im Park, die Rolle machte sie 1966 international bekannt. Während alle anderen Mädchen den Fotografen umschmeicheln, fasziniert diesen gerade Redgraves Unnahbarkeit. Vanessa Redgrave ist eine ausgebildete Tänzerin. Darauf konnte Antonioni sich verlassen, als er das Spiel von Anziehung von Abstoßung der beiden choreografierte: etwa die Szene, wenn sie ihm seine Kamera abringen will, ihn bedrängt und sogar in die Hand beißt bei der ersten Begegnung. Dass ausgerechnet dieses geradlinige, etwas biedere Mädchen das Geheimnis des Filmes verbirgt, ist ein raffinierter Trick Antonionis, der nur mit einer Darstellerin wie ihr gelingen konnte. Der Regisseur habe genaue Anweisungen gegeben, wie sie sich zu bewegen habe, erzählte Redgrave später. Als Tänzerin mit entsprechender Disziplin konnte sie ihm leicht folgen.
Dass Vanessa Redgrave auf der Bühne stehen würde, war ihr gewissermaßen in die Wiege gelegt. Sie wurde am 30. Januar 1937 in London in eine Schauspieler-Dynastie hineingeboren. Ihr Großvater Roy Redgrave war ein Stummfilmstar, auch ihre Eltern Michael Redgrave und Rachel Kempson, ihre Geschwister Lynn und Corin Redgrave sind Schauspieler. Einer Anekdote zufolge stand ihr Vater mit Laurence Olivier auf der Bühne, als er die Nachricht von der Geburt seiner Tochter bekam. Woraufhin Olivier nach der Vorstellung vor das Publikum getreten sei und verkündete, dass gerade eine große Schauspielerin zur Welt gekommen wäre.
Vanessa Redgrave wechselt früh vom Tanz zum Theater, sie wird Mitglied der Royal Shakespeare Company. Mit ihrer Rolle, in "Morgan. A Suitable Case for Treatment" ("Protest", 1966) von Karel Reisz, gelingt ihr auch der Durchbruch beim Film. Sie wird für einen Oscar nominiert und bekommt den Darstellerpreis in Cannes. Sie dreht mit Tony Richardson - ihr erster Ehemann -, mit Fred Zinnemann und Sidney Lumet, ist in den Sechzigern eine der aufregendsten Frauen des britischen Films. Mit Karel Reisz verfilmt sie 1968 auch die Lebensgeschichte der "Isadora" (Duncan), eine besondere Herausforderung für die gelernte Tänzerin. Ihre Isadora ist eine Revolutionärin, künstlerisch wie politisch. In einer Zeit, als die Frauen in Korsetts gefangen waren, tanzt sie barfuß im Flatterkleid und zieht in die UdSSR. "Mein Körper ist schön, mein Körper ist frei", postuliert sie. Wenn Isadora tanzt oder besser: hüpft, schwebt, flattert, dann wirkt sie auch auf der Bühne so selbst- und weltvergessen wie ein Kind. Es ist diese Reinheit der Empfindung, ein leidenschaftlicher Ernst, den Vanessa Redgrave vielen Rollen mitgibt und auch als politische Aktivistin demonstriert.
Einen ähnlichen Gesichtsausdruck wie jenen Isadoras, den Ausdruck eines Menschen, der nur auf seine innere Stimme hört, zeigte sie auch, als sie 1978 ihren Oscar als beste Nebendarstellerin in Fred Zinnemanns "Julia" entgegennahm. Sie spielt eine jüdische Widerstandskämpferin gegen die Nazis. Ihre Dankesrede nutzte die bekennende Sozialistin dazu, eine Gruppe "zionistischer Strolche" zu kritisieren, die gegen ihre Mitwirkung in dem Dokumentarfilm "The Palestinian" demonstrierten.
Sie hat sich für die Sache der Palästinenser engagiert, protestierte gegen Nuklearwaffen und Guantanamo, engagierte sich für Amnesty International. Als Auslöser für ihr politisches Engagement nennt sie eine BBC-Sendung von 1948 mit einer Hörspielfassung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Damals war sie elf. An diesem Montag wird Vanessa Redgrave 80 Jahre alt.