Süddeutsche Zeitung

Gaucho-Tanz:Wer verliert, wird brüskiert

Lesezeit: 3 Min.

Der sogenannte "Gaucho-Tanz" der siegreichen Nationalspieler zeugt sicher nicht von guten Manieren. Doch die Debatte darüber erzählt weniger über die Gesinnung von Fußballspielern als einiges über den Stand der politischen Korrektheit in Deutschland.

Ein Kommentar von Andrian Kreye

Besonders lustig war der Gaucho-Tanz nicht, den die Weltmeister bei ihrer Siegesfeier in Berlin aufführten. Nun geistert die Triumphgeste aber gleich als #gauchogate durch die sozialen Netze und als finsterer Makel durch die Kommentare.

Der Tanz ist politisch sicher nicht korrekt. Politische Korrektheit und gute Manieren sind im besten Falle ja ein und dasselbe. In manchen Ländern ist das so. In Amerika zum Beispiel, wo jeden Tag aufs Neue die unterschiedlichsten Bevölkerungs- und Einwanderergruppen einen Konsens finden müssen, um friedlich miteinander auszukommen.

Das ist in europäischen Ländern nicht ganz so ausgeprägt. Die Siegesfeier eines Sportturniers war allerdings schon immer eine Ausnahme. Da sind die Maßstäbe der guten Manieren in der Regel bis zur Grenze der strafrechtlich relevanten Sachbeschädigung oder gar Körperverletzung außer Kraft gesetzt.

In anderen Sportarten wie dem Boxen gehört die Beleidigung des Gegners sogar zur Strategie. Nur die politische Korrektheit ist da eine Ausnahme. Das zeigt auch die sehr vernünftige Reaktion des Fußballs, Homophobie und Rassismus weder in den eigenen Reihen noch auf den Rängen zuzulassen. Diffamierung gehört nicht in den Sport.

Der Gaucho ist aber keine Bevölkerungsgruppe oder eine zu schützende Minderheit. Man kann den Gaucho nicht einmal mit dem deutschen Michel oder dem bayerischen Seppel vergleichen, eher noch mit dem amerikanischen Cowboy. Der erinnert wie der Gaucho in Argentinien und Brasilien als folkloristisches Symbol an die Jahrhunderte, als die Siedler und Pioniere im 18. und 19. Jahrhundert die neue Welt erst eroberten und sich dann mit Ackerbau und Viehzucht untertan machten.

Jede Form der Generalisierung einer Nation ist ein Affront

Er ist deswegen nicht nur eine Lichtgestalt. Und es ist anzunehmen, dass so mancher, der sich nun über den Gaucho-Tanz aufregt, auch schon Geld gespendet hat, damit die echten Gauchos in Südamerika nicht den ganzen Regenwald abhacken.

Als Schwarzweißschablone taugt die politische Korrektheit jedenfalls nicht. Es gibt eine Grundregel - jede Form der Generalisierung einer Nation, eines Volkes oder einer Bevölkerungsgruppe durch die Zuschreibung ist ein Affront, egal ob es eine Verhöhnung, Beleidigung oder Diffamierung ist (gilt übrigens auch für positive Generalisierungen).

Nur - die Debatte erzählt nun wenig über die Gesinnung deutscher Fußballspieler und so einiges über den Stand der politischen Korrektheit in Deutschland. Das ist einerseits ein Land, in dem die pauschale Verteufelung von Muslimen immer noch als "Islamkritik" durchgeht, in dem Frauen im Arbeitsleben und in Fernsehtalkshows als Bürger zweiter Klasse behandelt werden und sich antisemitische Klischees hartnäckig im Unterbewusstsein sämtlicher politischer Lager halten. Andererseits zerpflückt die öffentliche Debatte solche Übergriffe zum Glück schon länger. Und da liegt wohl auch die Wurzel der Empörung.

In Deutschland werden die Fußballweltmeisterschaften nun schon seit dem deutschen Sommermärchen vor acht Jahren mit nationalen Befindlichkeiten überfrachtet, vor allem mit der Scheu vor jeder Form von Patriotismus.

Da gibt es zum einen die Generation, welche die Tragödie der deutschen Geschichte und die Last der historischen Schuld nicht einmal mehr aus den Erzählungen ihrer Großeltern kennt. Die suchen immer wieder aufs Neue nach Wegen, ihr Land zu lieben oder ihre Heimat zu feiern.

Das aber ist zum anderen immer noch nicht ganz einfach. Denn die Last der historischen Schuld ist ja keineswegs getilgt. Der Fußball, diese wunderbare, berauschende Zivilreligion wird gerne als Ventil benutzt. Da aber nun die Rolle Deutschlands als moralischen Phoenix hineinzuinterpretieren, ist von einer Gruppe junger Sportler doch sehr viel verlangt.

Bekenntnis zum Triumph über die Verlierer

Was beim #gauchogate so unangenehm berührt, ist nicht nur die Verhöhnung der Argentinier als kreuzlahme Viehhüter, als vielmehr die Erkenntnis, dass zu jedem Sieg auch eine Niederlage gehört. Das war das eigentliche Stein des Anstoßes - das öffentliche Bekenntnis zum Triumph über den Verlierer.

Wen das so richtig empört, dem sei ein Besuch in einem deutschen Fußballstadion empfohlen. Da kann man diese Konsensfindung, wie man sie aus amerikanischen Großstädten kennt, seit einigen Jahren ganz gut beobachten. Rassismus und Homophobie sind da schon lange auf dem Rückzug. Das heißt aber keineswegs, dass man sich über den Gegner nicht so richtig lustig machen darf. Vor allem, wenn er verliert. Und nicht erst seit dem Dienstag in Berlin - auch mit solchen Tänzen.

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