Gastbeitrag:Eine Stimme für jene, die keine haben

Lesezeit: 3 Min.

Die Redaktion der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" wehrt sich gegen Verhaftungen und falsche Anschuldigungen. Hier ist ihre Erklärung.

Von der Redaktion der Cumhuriyet

Die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei ist in höchster Gefahr . Journalistinnen und Journalisten werden zum Schweigen gebracht, Medien geschlossen oder auf Staatslinie getrimmt. Zum "Writers-in-Prison-Day" an diesem Dienstag setzen zahlreiche überregional und regional erscheinende deutsche Tageszeitungen gemeinsam ein Zeichen. Aus Solidarität mit den verfolgten Kollegen veröffentlichen sie parallel folgenden Text, den die Redaktion der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet verfasst hat. Sie steht derzeit besonders unter Druck, Mitarbeiter aus Verlag und Redaktion wurden bereits verhaftet, andere ins Exil getrieben.

In der Zentrale der Tageszeitung Cumhuriyet im Istanbuler Stadtteil Şişli geht es am 2. November 2016 zu wie in einem Bienenstock. Es ist Tag drei, nachdem 13 Journalisten und Manager bei uns festgenommen worden sind. Wir Mitarbeiter versuchen, ruhig zu bleiben. Es gilt, eine Zeitung herauszubringen. Wir haben keine Alternative. Denn die Cumhuriyet ist eine Zeitung, und hier arbeiten Journalisten.

Es begann am Morgen des 31. Oktober 2016, mit dem Anruf unseres Chefredakteur Murat Sabuncu. Morgens um sieben Uhr meldete er sich: "Sie nehmen mich mit." Sie nahmen Sabuncu fest. Zur gleichen Zeit wurden unsere Journalisten und Manager Aydın Engin, Hikmet Çetinkaya Hakan Kara, Güray Öz, Bülent Utku Mustafa Kemal Güngör, Bülent Yener, und Günseli Özaltay aus ihren Häusern abgeführt. Kadri Gürsel, Musa Kart und Önder Çelik sind von sich aus zur Polizeiwache gegangen, selbstverständlich wurden sie verhaftet. Zudem wurde die Wohnung von Orhan Erinç, dem Vorsitzenden der Cumhuriyet-Stiftung, durchsucht. Zuletzt wurde am vergangenen Freitag unser Herausgeber Akın Atalay, der sich aus beruflichen Gründen in Deutschland aufhielt, bei seiner Landung festgenommen.

Wir Mitarbeiter versammelten uns in unserem "Haus". Schnell stellten wir fest, dass die Operation gegen die Cumhuriyet niemanden wirklich überrascht hat. Wie alle Oppositionellen wollte man die Cumhuriyet zum Schweigen bringen. Dabei machte die Cumhuriyet keine Opposition, sondern nur "Nachrichten". Aber das politische Klima ist im Regime des Ausnahmezustands rauer geworden.

Der Grund, unsere Freunde festzunehmen, lautete: Mitglieder der Gülen-Organisation und der PKK zu sein und in deren Namen Straftaten begangen zu haben. In Wahrheit ist die Cumhuriyet eine der wenigen Zeitungen, die stets auf die Gefahr hingewiesen haben, dass die Gülen-Organisation Polizei und Justiz mit dem Ziel unterwandert, die Kontrolle über die Republik an sich zu reißen und die Türkei in einen islamischen Staat zu verwandeln. Zudem ist die Cumhuriyet eine der wenigen Zeitungen, die die Rechte der Kurden verteidigen, zugleich die PKK ständig kritisieren und jede Art von Terror ablehnen. Doch nun wird diese Vergangenheit für nichtig erklärt und alle Schuld auf Cumhuriyet abgeladen.

Doch die Wahrheit hat eine Angewohnheit: Sie kommt ans Licht. So war es abermals ein Journalist, der aufdeckte, dass der Staatsanwalt, der die Ermittlungen gegen die Cumhuriyet geführt hatte, selbst in einem Gülen-Prozess angeklagt ist. Die Tatsache, dass ein wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Organisation angeklagter Staatsanwalt die Ermittlungen geführt hatte, hätte das Verfahren gegen die Cumhuriyet eigentlich zusammenbrechen lassen müssen. So aber sprach der Justizminister bloß von einem "Missgeschick". Das Ministerium war nicht einmal auf die Idee gekommen, den Staatsanwalt von seinen Aufgaben zu entbinden.

Wir gehen unserer Arbeit nach mit dem Ziel, guten Journalismus zu machen. Und wir danken für die Kraft, die uns unsere Unterstützer täglich geben.

Wir wollen nur eines: die Pressefreiheit. Um in Ruhe unserer Arbeit nachgehen zu können, müssen wir einfach nur Journalisten bleiben. Wir müssen die Stimme sein für jene, die keine haben. Wir müssen die Tatsachen berichten und aufschreiben, wie es gewesen ist. Unsere Arbeit ist schwer, der Druck ist enorm, die Bedrohungen sind sehr ernst. Doch nichts davon wird uns abhalten. Unser Chefredakteur Murat Sabuncu hat uns aus der Haft eine Nachricht zukommen lassen. Er hat damit unsere Augen mit Tränen gefüllt. Sie ist eigentlich der Grundsatz von jedem, der bei der Cumhuriyet arbeitet: "Wir werden uns nur unserem Volk und unseren Lesern beugen."

Deutsch von Timur Tinç und Deniz Yücel

© SZ vom 15.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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