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Ganz persönliches Risiko:Militärs und Söldner für jeden: Wie der Krieg privatisiert wird

Der amerikanische Soldat ist die "Person des Jahres". So hat es das Nachrichtenmagazin Time verkündet. Dabei ist dieser Soldat vielleicht ein auslaufendes Modell, zumindest als "Bürgersoldat" der öffentlich aufgestellten und unterhaltenen Armee.

Von Petra Steinberger

(SZ vom 23.12.2003) — Wer heute Schutz sucht, nicht nur als Unternehmen, sondern auch als Staat oder als internationale Hilfsorganisation, der wendet sich zunehmend an die private Sicherheitsindustrie - wie es sich gehört in einer Welt, in der der Staat sich immer weiter aus seinen historischen Aufgaben zurückzieht.

Mit der Sicherheit in Bagdad beispielsweise ist das zur Zeit nicht leicht, das musste auch das Büro von Newsweek erfahren. Zwei private Sicherheitsfirmen waren sich nicht einig, wie der Schutz der Korrespondenten zu organisieren ist. Das Hotel im Zentrum, in dem sie bislang wohnten, sagten die einen, würde demnächst vermutlich Ziel eines gewaltigen Anschlags werden.

Besser sei eine private Unterkunft, und zwar eine, die eben jene Firma bewachen würde. Unsinn, meinte die andere, das Hotel sei absolut sicher, schließlich habe man die Anlage selbst überprüft. Nun, erwiderten die anderen, bei jener Firma seien doch bloß ehemalige Royal Marines beschäftigt, gewöhnliche Soldaten also, während man selbst ausschließlich mit altgedienten SAS-Kämpfern, britischen Eliteeinheiten, bestückt sei und deshalb auch allein wisse, wie mit einer Terrordrohung professionell umzugehen sei.

Kleines Gewaltproblem

Zwei Firmenangebote konkurrieren im Wettbewerb um die Nachfrage nach Sicherheit, wie das inzwischen üblich ist auf dem freien Markt. Die private Sicherheitsindustrie blüht, und der Irak ist der jüngste unerschlossene Markt. Wenn Newsweek also auf den freien Markt vertraut, wird das Magazin abwägen zwischen der besseren Sicherheit und dem günstigsten Preis.

Professionalität und Transparenz werden, heißt es, durch den Markt garantiert - wer würde schon eine Firma mit schlechter Erfolgsbilanz engagieren? Irgendwann gäbe es öffentliche Ausschreibungen: Große Staatengemeinschaft sucht kurzfristig einsatzbereite Firma für Behebung eines latenten Gewaltproblems im südlichen Asien. Seriöse Angebote an: United Nations, 1 UN Plaza, New York.

Nur ist das mit dem freien Markt für Sicherheit und solche, die sie bereitstellen, natürlich so eine Sache. Eigentlich sollten dafür, so will es nach wie vor die herrschende Theorie vom Nationalstaat und seinem Gewaltmonopol, allein die staatlichen Sicherheitskräfte zuständig sein, Polizei, und in Kriegs- und Krisengebieten, das Militär. Das war das Prinzip, spätestens seit Napoleon und den großen Volksarmeen der Neuzeit.

Die Privatisierung der Gewalt und des Krieges hat hingegen keinen besonders guten Ruf. Das Outsourcing der Gewalt, die heute immer häufiger so genannten PMCs, private military companies, oder PMFs, privatized military firms, und ihre diversen Untergruppen auf dem freien Markt anbieten, war einst unter einem anderen Namen bekannt: Söldnertum.

Das hören Firmen wie DynCorp oder MPRI oder Sandline oder Vinnell nicht gern. Söldner? Personen also, die nach Artikel 47 der Genfer Konvention von einem anderen als ihrem eigenen Land rekrutiert werden und allein durch persönliche Bereicherung motiviert werden?

Und die offiziell geächtet sind? Viele sagen: Abschaum? Keinesfalls. Natürlich existieren noch Söldner alten Schlages. Aber moderne PMCs verstehen sich als professionelle Serviceleister und betonen, dass sie in den seltensten Fällen direkt ins Kampfgeschehen verwickelt sind, sondern vor allem Logistik bereitstellen, militärische Ausbildung und Sicherheitsdienste anbieten oder mit der Konstruktion und Wartung von militärischem Gerät oder Stützpunkten beschäftigt sind. Gute, saubere Aufgaben. Verpflegung an der Front, Wäschereidienste, Minensuche und ähnlich Seriöses.

Natürlich werden noch ein paar andere Jobs erledigt, relativ unbeachtet und versteckt vor den Augen der Öffentlichkeit. Seit 1975 etwa bildet Vinnell die Nationalgarde Saudiarabiens aus, offiziell für den Schutz der Ölfelder. Ende der neunziger Jahre entschied die südafrikanische PMC Sandline den Bürgerkrieg in Sierra Leone für die geschwächte nationale Armee - unterstützt von einem amerikanischen Beitrag: einer kleinen Armeeeinheit und zwei Transporthubschraubern der International Charter Incorporated of Oregon (ICI), angeheuert vom Pentagon.

Die drei Amerikaner, die im Sommer in Israel einem palästinensischen Anschlag zum Oper fielen, waren Angestellte der Sicherheitsfirma DynCorp, die für die US-Botschaft in Tel Aviv arbeiteten. Im Guerilla- und Drogenkrieg Kolumbiens sind die unterschiedlichsten Firmen tätig, teilweise angeheuert von Ölfirmen, teilweise im Auftrag des Pentagons. Und Anfang Dezember bot die britische PMC Northbridge Services an, Charles Taylor, den ehemaligen Diktator Liberias, aus Nigeria zu holen, wo er untergeschlüpft war.

Der Boom der privaten Sicherheitsindustrie ist Resultat der neoliberalen Wende, der weltweiten Privatisierungswelle und dem Ende des Kalten Krieges. In jener vergangenen bipolaren Welt wurden Auseinandersetzungen zwar lieber über Stellvertreterstaaten geführt, gleichzeitig jedoch unterhielten die USA, die UdSSR und ihre jeweiligen Verbündeten Massenarmeen und gewaltige Waffenarsenale - für den Ernstfall. Aber dann, als das "Ende der Geschichte" ausgerufen war, reduzierte man die überdimensionierten Strukturen und baute Personal ab.

Die Großmächte interessierten sich nicht mehr sonderlich für die Bürgerkriege in irgendwelchen failed states, es hing, dachte man zumindest bis zum 9.11., nicht mehr das Überleben eines ganzen Systems daran. So verlagerte man immer größere militärische Bereiche in die Wirtschaft: Warum sollte ein teuer vom Steuerzahler ausgebildeter Soldat Kartoffeln schälen, wenn es eine Privatfirma viel billiger bewerkstelligen könnte?

Außerdem passte diese Verschlankung in die neue Vision von der "Revolution in Military Affairs", die von schnellen High-Tech-Kriegen träumte und kleinen, beweglichen Einsatztruppen. Oft übersah man dabei freilich, dass Länder nicht nur erobert, sondern manchmal auch länger besetzt werden müssen.

Inzwischen ist das Geschäft mit dem Krieg international geworden. Eine der in Kolumbien tätigen Gruppen ist Defense Systems Colombia (DSC), bestehend hauptsächlich aus kolumbianischen Ex-Soldaten. DSC wiederum gehörte der britischen Defense Service Limited (DSL), die sich überwiegend aus ehemaligen SAS-Truppen zusammensetzt. DSL erwarb mit den Jahren ähnliche Firmen wie Falconstar und Intersec und wurde schließlich 1996 von der amerikanischen Armor Holdings aufgekauft.

Und als Armor die russische Alpha Firm, einen sozusagen privatisierten Ableger der russischen Entsprechung zur Delta Force, kaufte, war man endgültig global geworden. Und es lohnt sich: In den letzten vier Jahren ist Armors Vertragsvolumen um 400 Prozent gestiegen, anderen großen PMCs geht es ähnlich. Wer sichere Aktien kaufen will, sollte es mit ihnen versuchen.

Keiner zählt die Leichen

Mit PMCs hätte sich der endlose Streit um Peacekeeping erledigt. Den Blauhelmen der UN trauen viele Strategen solche Aufgaben nicht wirklich zu, die Verteidigungsminister wollen aus naheliegenden Gründen ungern Truppen in Gebiete mit unkalkulierbaren Risiken schicken - je weniger wieder heil herauskommen, desto größer die Legitimationsprobleme, von gefährdeten Wahlchancen ganz zu schweigen.

Warum also nicht aus jenem großen Pool ehemaliger Militärs und, noch immer, neuer Abenteurer schöpfen, die solche Aufgaben freiwillig übernehmen und deren body bags niemand in der Öffentlichkeit zählt - sie sind es, die einen Völkermord in Ruanda womöglich hätten verhindern können, weil es keine langen politischen Diskussionen gegeben, sondern nur einige Millionen Euros oder Dollars gekostet hätte. Dass die Angestellten von PMCs ebenso oder erst recht draufgehen bei der Arbeit - das gilt nun als ihr ebenfalls privatisiertes Berufsrisiko.

Vielleicht wird mit den PMCs nur jener Normalzustand wiederhergestellt, wie er über den größten Teil der Geschichte bestand. Er funktionierte nach der einfachen Logik: Die besten Krieger hat in aller Regel der, der am meisten bezahlt - ob Fürst, Staat oder Drogenbaron. Auch die Loyalität der PMCs muss in letzter Konsequenz bei ihrem einzig wahren Herrn liegen, dem Auftraggeber und der Summe, die er bezahlt. Natürlich kann dies dazu führen, dass die Verlängerung eines Krieges, kalt kalkuliert, im Sinne solcher Auftragnehmer wäre.

Das Team von Newsweek jedenfalls entschieden sich nach Abwägung der Risiken für die Terrorspezialisten der SAS - und zogen sogleich in deren Haus um.

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