Süddeutsche Zeitung

Gangster-Film:Odyssee im East End

Brutal glamourös: Tom Hardy verkörpert in "Legend" die berüchtigten Gangster-Zwillinge Reggie und Ronnie Kray.

Von Fritz Göttler

Das Wiedersehen ist herzlich und pathetisch, und auf hohem Niveau. Home at last, wie Agamemnon in Ithaka, begrüßt der eine Kray seinen Bruder, als der wieder aus dem Gefängnis kommt - auch in den bestorganisierten Gangsterkreisen kann man Verurteilungen hin und wieder nicht vermeiden, selbst wenn das Gesetz, verkörpert vom Inspektor Leonard "Nipper" Read, eher glücklos operiert.

Der Amerikaner Brian Helgeland, Regisseur und Drehbuchschreiber von "Legend" hat in Hollywood schon viel übers Gangster-Milieu gearbeitet, über die verschlungenen Beziehungen zwischen Gang-Kriminalität und Wirtschaft, Politik und Polizei, wie es sie in ganz Amerika gibt, von Los Angeles ("L. A. Confidential", Regie Curtis Hanson) bis Boston ("Mystic River", Clint Eastwood). Nun macht er Station in London. Reggie und Ronnie Kray, eineiige Zwillinge, waren in den Sechzigern dort berüchtigte Gangster, erfolgreich mit Nachtclubs, Geldwäsche, Erpressung, exquisit gekleidet und mit pathologischer Lust an Gewalt. Ihr Stil hat "Get Carter" inspiriert, den legendären Gangsterfilm aus dem Jahr 1971, mit Michael Caine.

Tom Hardy, der mit "Mad Max: Fury Road" einen neuen Heldentypus ins Kino brachte, spielt beide Brüder, äußerlich durch Make-up gar nicht so besonders ähnlich, aber im Austausch, in der Balance zwischen Eleganz, Gefühl und Brutalität wie kommunizierende Röhren. Es ist großartig, sagt Brian Helgeland, wie er sich selbst ins Wort fallen kann. Und er hat auch nicht die übertriebene Angespanntheit von Johnny Depp, wenn der das Böse verkörpert als Whitey Boulger in seinem neuen Film "Black Mess".

Gangster-Bosheit und -Brutalität wirken gemeiner und perverser in der Enge von London als im weiten Amerika - Geschichten von Verbrecherbanden führen da immer irgendwie zu Dickens zurück. Die Krays sind geprägt von der Backstein-Monotonie und den bedrückenden Blumentapeten ihrer Jugend im Viertel Bethnal Green.

Ronnie ist der plumpere der beiden, seine dicken Backen drücken die Cockney-Sätze zur Unverständlichkeit zusammen. Er redet gern davon, dass er schwul sei, und die entsprechenden Partys, die er gibt, haben sogar politische Implikationen - der Unterleib der Swinging Sixties.

Reggie wiederum wirkt smart und elegant neben ihm, die Alten-Ladies-über-die-Straße-helfen-Ritterlichkeit teilt er mit Johnny Depps Boulger. Bist du gern ein Gangster, fragt ihn Frances, die Frau, die er liebt und verehrt und umwirbt (und schließlich heiraten wird). Da schaut Reggie ein wenig traurig: "Bin kein Gangster. Bin ein Clubbesitzer. Dazu braucht's eine Menge Geld und eine Menge Respekt."

Ja, sie sind glamourös, gibt Brian Helgeland von den Helden seines Films zu, aber diesen Glamour habe er nicht erfunden. In die Clubs der Krays kamen Frank Sinatra, Francis Bacon oder Joan Collins. Der berühmte Fotograf David Bailey bildete die Brüder ab. Reggie war ein Gangsterprinz des East End, sagt Frances, Ronnie war ein "One Man Mob". In ihren Gewaltausbrüchen gleichen die verschiedenen Brüder sich dann doch, in der Wildheit, mit der sie Gegner umbringen. Ohne Rücksicht auf mögliche Folgen. "The Profession of Violence" heißt das Buch von John Pearson über die Krays, an das sich Helgeland hält.

Frances erzählt uns im Off die Geschichte der Brüder, aus einer denkbar unabhängigen Perspektive. Reggie liebt sie innig, ihre erste Liebesszene ist zärtlich grotesk, sie spielt auf offener Straße, vor der Tür des Reihenhauses. Alles ganz intim, sie kennen sich von Kindheit an, nun kommt erwachte Sexualität dazu. Sie gibt ihm den Drops, den sie gerade lutscht, er steckt ihn in den Mund und zerbeißt ihn, um ans Süße drin zu kommen. Die Ehe hält dann aber nicht lang.

Der Glamour, der die Krays umgibt, ist der Glamour des Untergangs, man kennt ihn seit den Dramen der Antike. Es ist der Glamour von geborenen Verlierern, denen die Tragödie ihres Lebens - da genügt nur ein ganz kleiner Schritt - plötzlich zur Klamotte wird.

Legend, GB 2015 - Regie, Buch: Brian Helgeland. Musik: Carter Burwell. Kamera: Dick Pope. Schnitt: Peter McNulty. Produktionsdesign: Tom Conroy. Mit: Tom Hardy, Emily Browning, Christopher Eccleston, David Thewlis, Paul Bettany, Joshua Hill, Colin Morgan, Tara Fitzgerald, Chazz Palminteri, Kevin McNally, Taron Egerton. Studiocanal, 131 Min.

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SZ vom 07.01.2016
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