Süddeutsche Zeitung

Gagen für Orchester:Im Takt der klingenden Münze

Was darf Kunst kosten? Dass Popmusiker ein Vermögen verdienen, rechtfertigt sich durch ihren Marktwert. Dass auch Musiker eines staatlich finanzierten Ensembles sehr hohe Gehälter bekommen, hat nun wieder ein Rechnungshof gerügt. Die weltberühmten Orchester kosten Millionen, aber das müssen sie auch, wenn sie den Spitzenplatz halten wollen.

Harald Eggebrecht

Es ist ein durchaus altes, wohlbekanntes, für die Betroffenen aber ein garstig Lied, das der sächsische Rechnungshof in seinem jüngst erschienenen Bericht anstimmt. Dort wird moniert, dass die Zuschusskosten für das weltberühmte Leipziger Gewandhausorchester zu hoch und darüberhinaus ungebührlich gestiegen seien. Zudem lasse die Dienstauslastung der Musiker zu wünschen übrig. Und Chefdirigent Riccardo Chailly, der sogenannte Gewandhauskapellmeister, erhalte zusätzliche Boni pro Dirigat - und das bei einem extraordinären Gehalt, das weit über das eines Staatsministers hinausgehe. Doch damit nicht genug: Gewandhausdirektor Andreas Schulz verdiene mehr als der Leipziger Oberbürgermeister, wie der Rechnungshof maliziös bemerkt. Sein Rat lautet deshalb: künftig an der Spitze angemessen zu honorieren und das Orchester wieder nach dem normalen Tarifvertrag für Kulturorchester zu bezahlen, und nicht nach dem Leipziger Haustarif. Zudem solle die Auslastung der Musiker verbessert und sollten die Kosten insgesamt begrenzt und gedeckelt werden.

Der sächsische Rechnungshof ist nicht der erste und wird nicht der letzte sein, der gegenüber solchen verhältnismäßig kostenintensiven Kultureinrichtungen, wie es Orchester sind, dergleichen scheinbar nüchtern-vernünftige Ansinnen stellt. 2009 plädierte zum Beispiel der Oberste Bayerische Rechnungshof dafür, doch die beiden Orchester des Bayerischen Rundfunks auszugliedern, weil sie zu wenig Sendungen lieferten, vor allem als Konzertorchester agierten und sich damit immer mehr von ihrem Auftrag entfernt hätten. Damit stünde die Legitimation in Frage, die Orchester weiterhin aus den Gebühren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu finanzieren. Ähnlich wie jetzt in Leipzig wehrten die Verantwortlichen bis hin zum BR-Intendanten solche Vorschläge entschieden ab, die bei Annahme und Ausführung die Existenz der BR-Orchester sicher aufs Spiel gesetzt hätten.

Über Dirigentengehälter wird mindestens seit Karajans Tagen häufig spekuliert und so manche Neiddebatte angestoßen. Kein Wunder, dass Dirigenten und auch deren städtische oder staatliche Verhandlungspartner liebend gern Stillschweigen wahren über das tatsächlich vereinbarte Salär. Da macht Riccardo Chailly genauso wenig eine Ausnahme wie früher James Levine bei den Münchner Philharmonikern. Kommt es nämlich zu einer öffentlichen Diskussion, wird es für den Maestro mehr als schwierig, musikalisch ungestört arbeiten zu können. Als Chailly in Valencia Opernchef werden sollte, wurde sein Jahresgehalt von mehr als einer Million Euro bekannt und diskutiert. Chailly zog sich sofort zurück. Das kann auch in Leipzig drohen, wenn allzu viel Lärm um das Gehalt des Gewandhauskapellmeisters gemacht werden sollte.

Das älteste bürgerliche Orchester der Welt

In all diesen Debatten schwingt neben Schadenfreude und Neid immer auch eine gehörige Aversion gegen die sogenannte Hochkultur mit, weil sie halt so viel Geld koste und doch eigentlich nur wenige etwas davon hätten. Es schwingt aber auch die große Ahnungslosigkeit darüber mit, was es mit der Musik und denen, die sie aufführen, auf sich hat. Darüber hinaus wird oft die enorme Bedeutung unterschätzt, die ein Spitzenorchester für eine Stadt, unter anderem als sogenannter weicher Standortfaktor, und für die gesamte Kulturlandschaft hat. Das Leipziger Gewandhausorchester zum Beispiel ist nach Mitgliedern (185 Stellen) nicht nur das größte deutsche Orchester, es ist auch mit mehr als 250 Jahren Existenz das älteste bürgerliche Orchester der Welt. Dabei nimmt es, auch das ist einmalig, gleich drei Funktionen wahr: Es tritt als Symphonieorchester im 1981 eingeweihten dritten Gewandhaus auf, es fungiert als Orchester der Leipziger Oper, und es begleitet in der Thomaskirche die Konzerte des weltbekannten Thomanerchors.

Dementsprechend gilt das Amt des Gewandhauskapellmeisters als eines der ehrwürdigsten und gewichtigsten unter allen Dirigentenposten. Der berühmteste und für das ganze Konzertleben bis heute maßstabsetzende Gewandhauskapellmeister war Felix Mendelssohn-Bartholdy, der als Erster nicht nur jedes Stück mit dem Taktstock leitete, sondern auch jenes Programmschema entwickelte, das im Großen und Ganzen auch heute noch gilt, nämlich alte und neue Stücke zu mischen. Mendelssohn gründete zudem das erste deutsche Konservatorium, an dem Gewandhausmusiker unterrichteten und so den Nachwuchs für das eigene Orchester ausbildeten.

Diese eindrucksvolle, die ganze Stadt Leipzig bis heute ergreifende und prägende Tradition verpflichtet. Und umgekehrt: Wer einmal Gewandhauskapellmeister wird, kann sagen, er sei an der Spitze angekommen. Spitze heißt aber auch, dass für ein solches Ensemble, das über seine heimatlichen Verpflichtungen hinaus seit 1916 in der ganzen Welt den Ruf Leipziger und deutscher Orchesterkultur verbreitet und mehrt, nur die besten Instrumentalisten in Frage kommen, gewissermaßen extrem spezialisierte und daher fieberhaft gesuchte Facharbeiter. Die wollen und müssen auch bezahlt werden. Gleiches gilt für andere Orchester dieser Klasse, zum Beispiel die Philharmoniker in Berlin und München, die Staatskapellen in Dresden und Berlin, selbstverständlich für die wichtigen Rundfunksymphonieorchester und die bedeutenden Opernorchester.

Verschworene Gemeinschaft

Bei diesen Institutionen bewerben sich selbst um Tutti-Stellen Hunderte Musiker aus aller Welt. Aus denen wählt das Orchester dann eine Gruppe aus für das fällige Probespiel, das keineswegs sofort erfolgreich sein muss. Oft werden mehrmals Probespiele für eine Stelle angesetzt, bis man sich für jemanden entscheidet. Danach folgt ein Probejahr; erst wenn das gut überstanden ist, wird man echtes Orchestermitglied. Bei Konzertmeisterposten und Solopositionen der Streicher und Bläser kann es häufig jahrelange Vakanzen geben, weil man die klanglich und charakterlich passende Person nicht gleich findet - eben weil sie überaus wichtig ist in einer so verschworenen Gemeinschaft, wie es ein Orchester ist. Dass solche Spitzenpositionen mit Sonderkonditionen ausgestattet werden, liegt auf der Hand. Eins nicht zu vergessen: Jemand, der Musiker werden will, entscheidet sich für einen harten Ausbildungsweg. Und später muss er dann den einmal erreichten technischen und musikalischen Standard lebenslang halten, erst recht in Weltklasseorchestern.

Solche auswählende und abwägende Sorgfalt um die womöglich noch zu steigernde Qualität des Ensembles hat natürlich Auswirkungen auf die Wahl des Dirigenten, von denen es weltweit nur wenige außerordentliche Könner und Persönlichkeiten gibt. Und was so selten ist, hat seinen Preis. Doch schon Rolf Liebermann, Komponist und erfolgreicher Opernintendant in Hamburg und Paris, hat gesagt: Die Stars spielen ihr Geld immer ein. Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, stellt schließlich das Entscheidende fest, das nicht nur für Leipzig gilt: "Das ist doch das Gewandhaus. Verstehen Sie? Das ist die Identität einer Stadt. Die kann man gar nicht teuer genug bezahlen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1507550
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.10.2012/ihe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.