Süddeutsche Zeitung

Interview am Morgen: Rassismus im Fußball:"Es wird zur Zeit sogar schlimmer"

Der ehemalige Profispieler Jimmy Hartwig über Heimatgefühl, latenten Rassismus und Fußball als Integrationshilfe.

Interview von Harald Hordych

Der ehemalige Fußball-Profi Jimmy Hartwig, Kind eines US-amerikanischen Besatzungssoldaten und einer deutschen Mutter, ist einer der Nationalspieler, die im Dokumentarfilm "Schwarze Adler" (ab 15. April bei Amazon) zu Wort kommen. Hartwig, 66, war mehr als sechs Jahre Integrationsbotschafter für den Deutschen Fußball-Bund, seit 2019 ist er DFB-Botschafter für Fair Play. Ein Interview über Heimatgefühl, Rassismus und Fußball als Integrationshilfe.

SZ: "Schwarze Adler" kommt viele Jahre nach Ihrer erfolgreichen Zeit als Bundesligaspieler heraus, in der Sie auch viele negative Erfahrungen gemacht haben. Gibt es für Sie signifikante Veränderungen gegenüber damals?

Jimmy Hartwig: Im Gegenteil. Es wird zur Zeit sogar schlimmer. Obwohl wir mittlerweile in einer globalen Welt leben, gibt es immer noch Menschen in diesem Land, die etwas gegen andere Menschen haben, nur weil sie anders aussehen. Und solange es diese Engstirnigkeit gibt, müssen noch mehr Filme wie "Schwarze Adler" gezeigt werden. Der Rassismus ist nicht weg, er ist unterschwelliger geworden.

Gerade dem Fußball wird eine große Integrationskraft nachgesagt. Darum geht es in "Schwarze Adler" auch.

Für mich ist der Fußball immer noch der Integrationsträger Nummer eins. Wenn Sie ins All fliegen und lassen einen Fußball auf die Erde fallen - wo auch immer dieser Ball liegen bleibt, es sind sofort fünf oder sechs Kinder da, die zusammenspielen, egal, wo sie herkommen. Aber das ändert nichts daran, dass wir alle beim Thema Antirassismus noch viel aufholen müssen. Denken Sie nur daran, was für einen schweren Stand Erwin Kostedde und ich damals in der Nationalmannschaft hatten.

Im Film erzählen Sie konkret von Anfeindungen gegen sich aus der Fankurve. Wie haben sich denn Ihre Mannschaftskameraden verhalten?

Da gab's immer zwei oder drei, die sich mit mir gut gestellt haben: ,Hey Jimmy, mein Freund!' Aber als die Fans damals ,Negerschwein' gerufen haben, ist keiner gekommen und hat mir geholfen. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft, wir haben alles gewonnen, das schon. Aber wenn ich beschimpft wurde, hat keiner gesagt: ,Hey Leute, lasst das mal sein.'

Hat sich das nicht verändert? Immer wieder starten Spieler Aktionen, bei denen sie Solidarität bekunden.

Auf Plakate kann man viel schreiben. Aber jeder einzelne Spieler muss auch dazu stehen.

Sie waren 15 Jahre Fußballprofi, Ihre sportlich erfolgreichsten Zeiten haben Sie in Hamburg und München erlebt. Gab es da Unterschiede, wie man Ihnen begegnet ist?

In München habe ich von den Fans bei Sechzig ganz wenige Beleidigungen gehört. Ich habe darüber auch mal mit Henri Françillon gesprochen, der 1974 mit Haiti bei der WM teilgenommen und dann auch für 1860 im Tor gespielt hat. Der hat auch nie was gehört. Im Gegensatz zu Hamburg. Die dortige Skinhead-Fan-Szene hat mich mal eingeladen, das waren komischerweise alles Banker und Angestellte. Und die haben dann zu mir gesagt: ,Wir haben nichts gegen dich - weil du beim HSV spielst.' So eine Aussage braucht kein Mensch.

Hätte dieser Film früher gedreht werden müssen?

Der kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Gerade jetzt vor der Bundestagswahl wirft er die richtigen Fragen auf und bringt zum Nachdenken. Ein Freund von mir hat ihn gesehen und gesagt: Das ist ja Wahnsinn. Wir haben immer nur den Spieler gesehen und nie den Menschen hinter dem Spieler. Dieser Film zeigt genau den Menschen. Und das ist so wichtig: Die haben Gefühle, die leiden, die haben Kinder, die beleidigt werden, wie bei Gerald Asamoah.

Sie alle sagen, dass Sie stolz sind, für dieses Land zu spielen. Warum haben diese negativen Erfahrungen Ihr Verhältnis zu Deutschland nicht belastet?

Weil wir dieses Land lieben. Ich bin hier geboren. Ich habe eine deutsche Mutter und bin froh, in diesem Land leben zu dürfen. Ich habe die ganze Welt gesehen und ich möchte in keinem anderen Land leben.

Auch wegen der positiven Erfahrungen mit Menschen, die Ihnen offen und mit Zuneigung begegnet sind?

Selbstverständlich, sonst wäre ich, glaube ich, kein Fußballer geworden. Mein Trainer Kurt Schreiner, mein Jugendtrainer bei Kickers Offenbach, der Betreuer, ein Lehrer in der Berufsschule - die haben alle voll hinter mir gestanden. Ich habe schon mir gegenüber positiv eingestellte Menschen kennengelernt. Aber das waren zu wenige. Wenn wir diese Menschen in einer Millionenvielfalt hätten, gäbe es in Deutschland keinen Rassismus. Die Bemerkung von Frau Merkel, als unsere Flüchtlingsfreunde in unser Land gekommen sind, hätte lauten müssen: Wir schaffen das, wenn alle mitmachen.

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