"Der ganz große Coup" im Kino:Dr. Mopsi sucht das Glück

"Der ganz große Coup" im Kino: Bloß nicht den Hund stressen! Der ist sensibel.

Bloß nicht den Hund stressen! Der ist sensibel.

(Foto: Kairos Filmverleih)

Er wird es nicht finden in "Der ganz große Coup". Der italienische Film erzählt mit wunderbar absurder Komik vom ewigen Kreislauf des Scheiterns im Kapitalismus.

Von Philipp Stadelmaier

Wenigstens Ugo hat Glück. Er steckt in einem roten Sweater und sieht so süß und knuffig aus, dass er jedes Katzenvideo in den Schatten stellt. Udo ist eine französische Bulldogge, die Sorte von Hund, für die Menschen viel Geld bezahlen. Fürs Wochenende aber überlässt ihn seine reiche Herrin einer jungen Dogsitterin namens Marti, die noch eindringlich davor gewarnt wird, ihren Liebling nur ja keinem Stress auszusetzen. Ugo reagiert sensibel auf Stress.

Marti (Daphne Scoccia) geht mit Ugo in einen Park, wo ein Herr mit billigem Anzug und seltsamen Pagenschnitt auftaucht. Der stellt sich als Dr. Mopsi vor, auf seiner Visitenkarte steht "Tierazt", der dubiose Doktor scheint wohl ein r vergessen zu haben. Er fragt, ob er Ugo mal ausborgen darf, um ihn mit einer anderen Bulldogge Nachwuchs zeugen zu lassen, und bietet ihr viel Geld dafür an.

Um hier Ja zu sagen, muss man schon ziemlich abgebrannt und verzweifelt sein. Abgebrannt und verzweifelt sind aber alle in dieser lustigen und doch auch bitteren Komödie des erst einunddreißig Jahre alten Regisseurs Fulvio Risuleo, die unter dem Titel "Der ganz große Coup" in die deutschen Kinos kommt. Fürs Dogsitten bekommt Marti, die kaum die Miete zahlen kann, von der geizigen Besitzerin schlappe fünfunddreißig Euro, also beschließt sie mit ihrer Partnerin (Silvia D'Amico), Dr. Mopsis Angebot anzunehmen. Bald liefert sie sich mit dem "Tierazt" eine Verfolgungsjagd. Der hat den - nun doch ziemlich gestressten - Ugo auf dem Beifahrersitz, in der Hoffnung, die begehrte Edelbulldogge auf dem Schwarzmarkt weiterverkaufen zu können. Denn auch er braucht Geld. Dringend.

Der Kuchen ist hier längst verteilt, selbst die Krümel sind außer Reichweite

Das Personal des italienischen Films erinnert an die skurrilen Charaktere amerikanischer Indie-Filme. Die schusselige Marti lässt noch im Stress der Verfolgungsjagd ihre Liebe zu Tieren freien Lauf ("oh schau, ein Pferd!"), während ihre genervte Partnerin mit dem Kleinwagen über holprige römische Vorstadtpisten brettert. Und dann gibt es natürlich noch "Dottore Mopsi".

Der Film steuert zunächst auf Ugos Entführung zu, um danach in Rückblenden die Vorgeschichte zu erzählen - eine absurde Anhäufung des Scheiterns. Orazio, ein Heavy-Metal-Fan, hat seinen Job im Computerladen verloren, ist arbeitslos und leidet an chronischem Husten. Sein Bruder kommt auf die Idee, das für die Mutter reservierte Grab zu verkaufen, was Orazio ablehnt. Dann sucht er sein Glück im Hundegeschäft. Doch auch hier verlaufen sämtliche Möglichkeiten im Nichts, ebenso die Annäherungsversuche an seine Nachbarin. Die hört ebenfalls dunkle Musik, hat aber leider einen Freund.

Der Kapitalismus lässt den Figuren keine Wahl - sie müssen sich die idiotischsten Sachen ausdenken

Rein äußerlich könnte man sich Orazios Milieu von biertrinkenden Metal-Fans, Mechanikern, Arbeitslosen und Verlierern auch in einem ernsthaften Sozialdrama vorstellen. Die soziale Kritik entsteht bei Risuleo jedoch aus einer absurd-komischen Dramaturgie, die alle wirtschaftlichen und amourösen Bemühungen stets in Leere laufen lässt. Der Kapitalismus lässt den Figuren keine Wahl: Weil alle verarmt sind, müssen sie sich die idiotischsten Sachen ausdenken, sich auf die fragwürdigsten Angebote einlassen, auf die billigsten Tricks reinfallen - ohne dabei das Geringste gewinnen zu können. Sie mögen naiv und orthographisch unterbrillant sein, doch sie sind auch Gefangene dieses ewigen Kreislaufs. Der Kuchen ist längst verteilt, selbst die Krümel sind außer Reichweite. Der Nonsens hat damit eine politische Dimension: Er ist eine Parabel auf eine italienische Jugend, die kein Geld in der Tasche hat und kaum Aussichten, an welches zu kommen. Gibt es doch mal welches, ist es meist nicht mehr wert als das Papier, auf dem es gedruckt wird.

Risuleo verbindet dabei den Humanismus der Verlierer à la Chaplin mit einer Freude am postmodernen Erzählen, das mit verschiedenen Blickwinkeln, Unterbrechungen, Flashbacks und Ellipsen arbeitet. Man denkt an den frühen Tarantino, dessen "Reservoir Dogs" ja auch, ausgehend von einem schiefgelaufenen Coup, in Rückblenden erzählt wird; an Alejandro González Iñárritus "Amores Perros", dessen Episoden durch einen Unfall in Mexico-Stadt sowie die Beziehungen von Menschen zu Hunden zusammengehalten werden. Nun mögen diese beiden Filme Hunde beinhalten oder dem Titel nach darauf anspielen, während ihren Charakteren die Kontrolle entgleitet und das vom Drehbuch vorgeschriebene Schicksal übernimmt. Und doch hat Risuleos Film etwas, was Tarantino und Iñárritu nicht haben: eine süße kleine französische Bulldogge namens Ugo, die im Gegensatz zu den armen Menschen, die ihr hinterherhecheln, das Glück für sich gepachtet zu haben scheint.

Il colpo del cane, Italien 2019 - Regie und Buch: Fulvio Risuleo. Kamera: Juri Fantigrossi. Mit Edoardo Pesce, Daphne Scoccia, Silvia D'Amico. Kairos Filmverleih, 93 Min.

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