Für wen schrieb Goebbels Tagebücher?:"Vorher noch Helga ordentlich verprügelt"

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Gescheiterter Dichter: NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. (Foto: AP)

Die Tagebücher von Joseph Goebbels gelten als doppelbödige Schriften: halb authentisch, halb Propaganda und Geschichtsklitterung. Die Historikerin Angela Hermanns hat sich der Weltsicht des Nazi-Chef-Propagandisten angenähert.

Dominik Petzold

Die Goebbels-Tagebücher sind tatsächlich die Tagebücher von Joseph Goebbels": Was wie eine Nullbotschaft klingt, ist eine gewagte These. Die Münchner Historikerin Angela Hermann vertritt sie in ihrer Doktorarbeit und könnte damit einen Streit wieder anheizen, den Historiker bis vor einigen Jahren über diese Tagebücher führten. Dabei geht es nicht darum, ob Goebbels diese Texte selbst geschrieben hat. Provokant ist vielmehr die Behauptung, dass es sich bei Goebbels' Tagebüchern - um Tagebücher handelt.

Bisher galten sie nämlich als doppelbödige Schriften: halb authentische Schilderung, halb Propaganda und Geschichtsklitterung. Denn Goebbels hat - das war bislang unbestritten - auch mit Blick auf die Nachwelt geschrieben. Deshalb war die Kritik heftig, als das Institut für Zeitgeschichte in seiner Gesamtausgabe der heiklen Quelle (1993-2008) auf einen Kommentar verzichtete. Der Historiker Bernd Sösemann schimpfte, auf diese Weise werde dem Propagandisten Goebbels "Gelegenheit zum Wirken über den Tod hinaus" gegeben.

Angela Hermann, langjährige Mitarbeiterin der Edition, liefert nun mit "Der Weg in den Krieg 1938/39" diese fehlende kritische Einordnung nach. Doch dürfte ihre Studie die Debatte nicht befrieden, sondern eher wieder befeuern. Denn Hermann behauptet, Goebbels habe rein "persönliche Tagebücher" geschrieben und keineswegs auf die Nachwelt geschielt. Das ist eine kühne These, denn Goebbels verkaufte 1936 die Rechte an seinen künftigen Tagebüchern dem parteieigenen Eher Verlag für 100.000 Mark jährlich. Zwanzig Jahre nach seinem Tod sollten sie veröffentlicht werden.

Hat der Großpropagandist dennoch weiterhin völlig unbefangen in seine Kladden geschrieben? Hermann versucht das mit Einträgen zu illustrieren, die so gar nicht nach Geschichtsklitterung klingen: Am Ostersonntag notiert Goebbels, er sei "grollend" im Bett geblieben, weil seine Frau Magda für ihn kein Osternest versteckt habe.

Auch sonst berichtete er oft Privates ("Vorher noch Helga ordentlich verprügelt"). Doch widerlegt diese Geschwätzigkeit kaum, dass er mit den Texten zugleich propagandistische Absichten hegen konnte. Denn er plante, sie "für spätere Generationen" zu überarbeiten, sprich Unvorteilhaftes zu streichen. Dazu sollte er bloß keine Gelegenheit mehr finden.

Auch ansonsten leuchtet die Behauptung nicht ein, "dass Goebbels seine Tagebücher nicht als NS-Propaganda verstand". Denn deren Inhalte, allen voran Antisemitismus und Führerkult, ziehen sich durch alle Bände. Doch interpretiert die Autorin entsprechende Stellen statt als "Werbebotschaften" an künftige Leser als authentischen Ausdruck der Goebbels'schen Weltsicht.

Dabei führt die Lektüre der Tagebücher vor Augen, dass zynisches politisches Kalkül und Wahnsinn bei Goebbels ineinander übergingen. Wenn er Churchill 1938 in seinem Tagebuch als "Kriegstreiber" geißelte, wenn er den erzwungenen Anschluss Österreichs als "Stunde der Freiheit" feierte oder das von ihm selbst mitinszenierte Novemberpogrom als Ausdruck des "Volkszorns" wertete: Wie soll da entschieden werden, ob das nur verrückte Privatmeinung war oder, zumindest auch, Propaganda für die Nachwelt?

Propaganda war Goebbels Metier. Nicht nur gegen Juden stachelte er die Massen auf. (Foto: dpa)

Ohne jeden Zweifel zeichnete Goebbels in den Tagebüchern das "Selbstbild des genialen Propagandalenkers", so der Historiker Peter Longerich in seiner 2010 erschienenen Biographie. Diesen Aspekt nimmt Hermann gar nicht in den Blick. Ohnehin glaubt sie, dass Goebbels nicht die "Hybris" besessen habe zu glauben, künftige Generationen würden großes Interesse an diesen Tagebüchern haben.

Gegen diese Annahme spricht aber, dass Goebbels nach dem Verkauf der Rechte an den Büchern 1936 prahlte, der Eher Verlag habe eine "gute Kapitalanlage" erworben. Und 1944, als sich der Untergang abzeichnete, ließ er alle Tagebücher in einem neuartigen Verfahren auf Glasplatten-Mikrofiches kopieren. Wieso hätte er das tun sollen, wenn er die Tagebücher nur für sich selbst geschrieben hätte?

Die Neubewertung der Tagebücher überzeugt also nicht. Doch steuert Hermann anhand der Tagebücher neue Erkenntnisse zur Vorkriegszeit bei, etwa zu der Frage, wer in München für das Novemberpogrom 1938 verantwortlich war: Hitler feierte mit einem NS-Traditionsverband das Jubiläum des Novemberputsches. Danach zogen die älteren Männer los - wahrscheinlich von Hitler angestachelt -, zündeten eine Synagoge an und schlugen Geschäfte jüdischer Bürger kurz und klein, wie Goebbels begeistert notierte ("Als ich ins Hotel fahre, klirren die Fensterscheiben. Bravo! Bravo!").

Mit großer Akribie weist Hermann zudem nach, dass der notorische Lügner Goebbels, wenn es um reine Fakten und Abläufe ging, fast immer die Wahrheit notierte. Das ist eine wichtige Orientierungshilfe für künftige Studien, denn die Goebbels-Tagebücher sind zu vielem, was in obersten NS-Zirkeln geschah, die einzige Quelle.

Angela Hermann: Der Weg in den Krieg 1938/39. Quellenkritische Studien zu den Tagebüchern von Joseph Goebbels. Oldenbourg Verlag, München 2011. 574 Seiten, 79,80 Euro.

© SZ vom 10.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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