Führungswechsel:Fehlstellen füllen

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Maurin Dietrich tritt als neue Direktorin des Münchner Kunstvereins an

Von Evelyn Vogel, München

In gewisser Weise ist ein Traum für sie in Erfüllung gegangen. Auch wenn Maurin Dietrich, die neue Direktorin des Münchner Kunstvereins, das nicht so emotional formuliert. "Aber", so erzählt sie bei einem Treffen im Hofgarten, "schon vor Jahren, als ich nach einem Besuch im Kunstverein auf der Bank davor saß, habe ich beschlossen: "Wenn diese Stelle frei wird, bewerbe ich mich." Schon damals sei ihr bewusst gewesen, "dass der Münchner Kunstverein kuratorisch ein wichtiger Ort ist".

Als der Amerikaner Chris Fitzpatrick vergangenes Jahr bekannt gab, dass er den Direktorenposten aus privaten Gründen vorzeitig aufgibt, erhielt Maurin Dietrich ihre Chance - und setzte sich gegen die Konkurrenz durch. Dietrich ist 1990 in Freiburg geboren, hat in Berlin Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft studiert und an der Universität der Künste unterrichtet. Sie hat an den Kunst-Werken Berlin Ausstellungen, Performanceprogramme und diskursive Formate entwickelt. Sie ist Mitbegründerin und war bislang Direktorin von "Fragile", einem Ausstellungsraum in Berlin, arbeitete für die 9. Berlin Biennale sowie für "Schir Art Concepts", einem Residency-Programm mit Standorten in Tel Aviv und Berlin. Zudem war sie seit 2017 Gastmentorin und Kuratorin am Postgraduiertenprogramm Berlin Program for Artists (BPA).

Maurin Dietrich ist die zweite Frau auf dem Direktorenposten in der Geschichte des 1823 gegründeten Münchner Kunstvereins. Aber das Genderthema wolle sie auf keinen Fall in den Mittelpunkt stellen. "Für mich geht es mehr um den Menschen, weniger um das Mann-Frau-Ding." Ihr kuratorisches Denken sei von anderen Vorbildern und Einflüssen geprägt. Als Kuratorin an den Kunst-Werken hat sie sich ein internationales Netzwerk geschaffen. Sie sagt, sie arbeite gerne langfristig und diskursiv, entwickle - hier tritt auch die Literaturwissenschaftlerin zu Tage - aus der Schreibpraxis heraus Ausstellungen. Den Themen Fiktion und Narration will sie sich widmen, will Fragen stellen und Geschichten erzählen. Und sie will die Reihe im Foyer weiterentwickeln. Von diesem Montag an ist sie im Amt, mit ihrem eigenen Programm fängt sie im September an.

Ein Großereignis wird ihre Amtszeit bestimmen: In vier Jahren wird der Kunstverein, einer der ältesten seiner Art, 200 Jahre alt. Deshalb richtete sie ihren Blick auf Künstlerinnen im Ausstellungsprogramm. Sehr überrascht sei sie gewesen, wie früh zahlreiche weibliche Positionen gezeigt wurden. Beispielsweise Adrian Piper, deren geplante Ausstellung im Haus der Kunst für dieses Jahr abgesagt wurde. Der Kunstverein zeigte ihre Werke schon 1992. Generell zeichnet sich die Institution ja dadurch aus, dass oft Positionen von noch unbekannten Künstlern - männlichen wie weiblichen - ausgestellt wurden, lange bevor diese berühmt waren.

Dietrich will dem von Fitzpatrick in den Fokus gerückten Archiv noch mehr Raum geben. "Ich habe große Lust, diese Schachteln zu öffnen und hineinzuschauen." Vermutlich wird sie ähnliche Aha-Erlebnisse haben wie ihr Vorgänger, der, wann immer die Sprache auf die Archivschachteln kam, ins Schwärmen geriet.

Klingt das zu rückwärtsgewandt, zu wenig visionär? Dietrich findet, die Vergangenheit des Kunstvereins biete reichlich Möglichkeiten zurückzublicken, um nach vorne zu schauen. Und weil ihr das Archiv so wichtig ist, will sie den Kinoraum, der erst unter ihrem Vorgänger etabliert wurde, wieder abschaffen und dort einen eigenen Archivraum einrichten. Bislang sind die Schachteln nämlich auf die Büroräume verteilt. Doch der neue Archivraum soll nicht nur die Schätze des Vereins verwahren. Theresa Bauernfeind, die im Zuge des gestiegenen Interesses für das Archiv zum Team des Kunstvereins stieß, soll dort arbeiten, das Publikum ein- und ausgehen können. "Die Besucher sollen ihre Spuren dort hinterlassen, wir wollen ihre Erinnerungen an den Kunstverein sammeln." Denn bei einer so altehrwürdigen Institution gebe es eine "Geschichte neben der offiziellen Geschichte". Diese "Fehlstellen" in der offiziellen Geschichtsschreibung des Vereins wolle sie schließen, erklärt Dietrich ihr Vorhaben.

Dass dies bei einer 200-jährigen Tradition naturgemäß rudimentär bleiben muss, ist für Maurin Dietrich offensichtlich kein Grund, nicht wenigstens mal anzufangen.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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