Frühe Bilder berühmter Künstler:Das Kind malt alle an die Wand

Diese Bilder zeigen, welche Talente schon in jungen Jahren schlummern: Der "me Collectors Room" in Berlin stellt Kinderzeichnungen von Künstlern aus, die es inzwischen teils zu Weltruhm gebracht haben. Das war nicht bei jedem absehbar.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

7 Bilder

Kinderzeichnungen

Quelle: Courtesy Olaf Holzapfel and Johnen Galerie Berlin

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Diese Bilder zeigen, welche Talente schon in jungen Jahren schlummern: Der me Collectors Room in Berlin stellt Kinderzeichnungen von Künstlern aus, die es inzwischen teils zu Weltruhm gebracht haben. Doch nicht bei jedem war das absehbar.

Eine mehr oder weniger typische Kinderzeichnung: Da hat ein Sechsjähriger den Alexanderplatz in Berlin gemalt. Der Fernsehturm ist gut zu erkennen, sogar das Europa-Center aus Charlottenburg hat der kleine Künstler in dessen Nähe gerückt - offenbar hat Olaf Holzapfel, der 1969 dieses Bild im zarten Alter mit Buntstiften auf Papier brachte, Gefallen an dem weithin sichtbaren Stern gefunden. Eine echte Jungszeichnung, inklusive Flugzeug und Mann mit Hut. Aber wahre Kunst? Noch nicht.

Kinderzeichnungen

Quelle: Courtesy Uwe Henneken and Galerie Giselal Capitain, Cologne

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Trotzdem zeigt der "me Collectors Room" der Stiftung Olbricht zurzeit eine Ausstellung in seinen Räumlichkeiten in der Auguststraße in Berlin mit ausschließlich Kinderzeichnungen (im Bild ein Bild des damals noch sehr jungen Künstlers Uwe Henneken). Der Clou: All diese kleinen Kreativen sind im Erwachsenenleben - wie auch Holzapfel und Henneken - tatsächlich Künstler geworden. Manche so erfolgreich, dass sie davon leben können, andere sogar richtig berühmt. Es kann also Spaß machen, sich die Kinderzeichnungen unter der Fragestellung zu betrachten: Konnte man das ahnen, schon in jungen Jahren, dass in diesem Kind ein wahrer Künstler steckt? Oder sind die meisten der Bilder ganz normale Kinderstricheleien, die so oder ähnlich jedes Kind malt - und nur der spätere Lebensweg unterscheidet sich von dem der Nicht-Künstler?

Kinderzeichnungen

Quelle: Courtesy: TAL R / Copyright Paradis

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Die Antworten fallen manchmal leicht, wie im Fall von Tal R: Der kleine Tal, geboren in Tel Aviv, hatte offenbar schon in jungen Jahren ein äußerst scharfes Auge - und künstlerischen Ausdruck. Auf diesem Bild brachte er, achtjährig, feinsinnig die Verbindung von Waffen, Flugzeugen, Bäumen, Häusern und Scharfschützen auf Papier. Auf ein anderes Blatt hat er im Alter von sechs Jahren so eindeutig wie unschuldig Erwachsene und den Einsatz ihrer Geschlechtsorgane gezeichnet, dass es dem Betrachter fast die Schamesröte ins Gesicht treibt. Tal Rosenzweig Tekinoktay, 1967 während des Sechstagekrieges in Israel geboren und später nach Dänemark gezogen, lehrt inzwischen Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf.

Meese Repro Zeichnung Kinderzeichnung; Kinderzeichnungen

Quelle: Photography Jan Bauer/Courtesy Jonathan Meese/Copyright VG Bild-Kunst, Bonn, 2013

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Auch Jonathan Meese, Enfant terrible der deutschen Kulturszene, hat mal klein angefangen. Als Sechsjähriger malte er dieses Bild namens "Hütchenfest", ganz reizend. Inzwischen zeigt er gerne mal den Hitlergruß, streitet sich vor Gericht darum, ob das Provokation oder Performance ist, und thematisiert in seinen Installationen und Collagen oft deutschen Größenwahn mithilfe parodierender Nazi-Anleihen und radikaler Bildsprache. Aber Moment mal: Zeigt nicht schon der grinsende Kürbis über diesen beiden süßen Kindergestalten auf der Zeichnung leicht dämonische Züge? Auch die anderen Meese-Bilder in der Ausstellung lassen erahnen, dass der kleine Jonathan die Welt von Anfang an nicht ganz so harmlos sah wie viele seiner Altersgenossen.

Kinderzeichnungen

Quelle: Courtesy Michael Kunze

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Sind nun Bilder wie diese ein Beweis dafür, wie wichtig frühkindliche künstlerische Erziehung ist? Haben doch diejenigen Eltern Recht, die in ihrem Nachwuchs automatisch ein Genie sehen? Mitnichten. Von Pablo Picasso ist das Zitat überliefert: "Als Kind ist jeder ein Künstler. Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener einer zu bleiben." Und so zeigt gerade der Vergleich zwischen der kindlichen Malerei und den Arbeiten der inzwischen erwachsenen Künstler in der Ausstellung die ungeheure Entwicklung, die sie im Laufe ihres Lebens genommen haben. Michael Kunze etwa, der hier als Elfjähriger den "Perry Rhodan Weltraumkampf" phantasievoll zu Papier brachte, macht inzwischen ganz ähnliche Bilder - nur so viel professioneller, ausgefeilter, allgemeingültiger und erschütternder, dass man den kindlichen Kern darin zwar noch erkennt. Aber niemals im direkten Vergleich von seinen Kinderzeichnungen auf sein erwachsenes Repertoire schließen könnte.

Kinderzeichnungen

Quelle: Courtesy Ralf Ziervogel, Copyright VG Bild-Kunst, Bonn, 2013

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Nur ein bisschen schade, dass die praktischerweise in den Ausstellungsräumen ausliegenden aktuellen Kataloge der erwachsenen Künstler so versteckt sind. Denn es ist zwar lustig, Kinderzeichnungen wie diese von Ralf Ziervogel zu betrachten, der im Alter von zwölf Jahren mit dem Füller Rambo-Filmplakate nachmalte und nicht nur in szenischen Collagen zu den Filmen seines offenkundigen Helden, sondern auch in der Genauigkeit der Nachzeichnung von dessen Haarpracht seine Leidenschaft offenbarte. Richtig interessant wird es aber erst, wenn man sieht, was aus diesen Kindern geworden ist - und aus ihren Bildern.

Kinderzeichnungen

Quelle: Courtesy Katja Strunz

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Katja Strunz etwa, die schon als Zwölfjährige ihre westdeutsche bürgerliche Kleinstadtidylle zwischen Einfamilienhausbaustellen und Weihnachtsmarkt mit unglaublich genauem Strich zeichnete, oder wie in diesem Bild, ihre Vorstellung vom "Urwald" zu Papier brachte - ausgerechnet sie, die malerisch vielleicht begabteste von allen Ausgestellten, sie überzeugt nun, als erwachsene Künstlerin, mit Skulpturen, die auf ganz reine, geometrische Formen reduziert sind. Oder Rosemarie Trockel, eine der bekanntesten deutschen Künstlerinnen, die in den 80er Jahren in den USA große Erfolge feierte: Sie begann schon als Kleinkind zu zeichnen, obwohl sie in jungen Jahren nie auch nur eine einzige Ausstellung besucht hatte. Eine dieser frühkindlichen Zeichnungen ist in der Ausstellung in Berlin nun zu sehen - und sie wirft den Betrachter fast um: Mit welch fahrigem, tatsächlich noch kindlich-unsicherem Strich aber dennoch schon so reduziertem wie eindeutigen Ausdruck sie da als Dreijährige ein weibliches Portrait gekritzelt hatte, ist nahezu unglaublich. Und wäre im Vergleich mit ihrem heutigen Werk fast schon eine Einzelausstellung wert.

Sowieso waren Kinderzeichnungen in früheren Jahrhunderten viel beliebter, in der Ausstellungsversessenheit des 18./19. Jahrhunderts sollte eine Vielzahl von Kinderausstellungen einen frischeren Blick auf die Kunst erlauben und neue Impulse für die Kreativität von Kunstschaffenden fördern, sowie Kunstinteressierten den Blick auf unverfälschte Kreativität gewähren. Dass man Kinderzeichnungen allerdings mit den Ergebnissen ihrer inzwischen berühmt gewordenen Erzeuger vergleicht, dieser Ansatz ist neu. Und könnte noch weiter gesponnen werden: indem man etwa aktuelle Bilder direkt neben die jeweiligen Kinderzeichnungen hängt - oder den Betrachter suchen lässt, welche Kinderzeichnung zu welchem Künstler passt. Ein Kinderzeichnungs-Künstler-Puzzle - denn für Kreativität ist man nun wirklich nie zu jung oder zu alt. Auch nicht als Betrachter.

Die Ausstellung "Paperworlds" wurde verlängert bis zum 11. Mai, im April erscheint dazu ein Katalog, weitere Infos hier.

© SZ.de/rus/mkoh/tob
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