Friedrich II. und Potsdam:"Wenn Sie die Stadt sehen, wird sie Ihnen gefallen"

Friedrich II. und Potsdam: Endlich eine schöne Kulisse, wie sie sich Friedrich II. für seine Residenzstadt wünschte: Carl Christian Wilhelm Barons Bild vom Alten Markt.

Endlich eine schöne Kulisse, wie sie sich Friedrich II. für seine Residenzstadt wünschte: Carl Christian Wilhelm Barons Bild vom Alten Markt.

(Foto: Privat)

König Friedrich II. verwandelte den nüchternen Soldatenstandort in ein architektonisches Schaustück. Italienische Renaissance- und Barockbauten standen Pate.

Von Michael Rohlmann

Nach Potsdam, nach Potsdam! Das brauche ich um glücklich zu sein. Wenn Sie diese Stadt sehen, wird sie Ihnen sicherlich gefallen. Zu meines Vaters Zeiten war es ein elendes Nest; wenn er jetzt wiederkäme, würde er seine Stadt nicht wiedererkennen, so habe ich sie verschönert. Ich habe die Pläne der schönsten Bauwerke Europas, insbesondere Italiens, ausgewählt und lasse sie im Kleinen und meinen Mitteln entsprechend ausführen. Alle meine Bauwerke gefallen den Leuten, davon werden Sie sich überzeugen können. Ich gestehe, dass ich gerne baue." So berichtet 1758 begeistert der Preußenkönig Friedrich II., der seit 1744 seine Residenzstadt Potsdam von einem kargen, strengen Sparta des Soldatenkönigs in ein strahlendes Athen der Schauarchitekturen verwandeln ließ, in ein gebautes Sehnsuchtsziel des Südens, ein Ersatz-Rom der ihm verwehrten Grand Tour nach Italien.

Aus illustrierten Architekturhandbüchern und Stichwerken suchte Friedrich Meisterwerke der Baukunst, um sie in Potsdam kopieren zu lassen. Architektur war für den König Vergnügen, Erholung von den Amtspflichten im Dienst der Staatsraison: "Ich bin in diesen Dingen wie ein Kind; das sind meine Puppen, mit denen ich spiele". Zugleich war Kunstförderung notwendiger Bestandteil des Herrscherruhms, der "gloire" Preußens in Europa. Friedrich sammelte Fassaden wie die Gemälde seiner Bildergalerie. Preußen sollte auch kulturelles Zentrum werden, die Residenzstadt ein Bildungsort von Schönheit und Eleganz. Friedrichs Berater, der Italiener Algarotti, schwärmte von Potsdam, das bislang als Schule der Kriegskunst galt, als einer neuen Schule der Baukunst.

Friedrich ließ architektonische Veduten besonders für den Blick vom Stadtschloss aus inszenieren. Ferner liebte er es, durch die Straßen seines Potsdam mit seinen Neubauten zu promenieren. Dass die Fassadenzitate allzu oft die innere Struktur der Gebäude, ihre praktische Benutzbarkeit, die Ansprüche ihrer Bewohner ignorierten, rührte den König nicht. Der Blick des Flaneurs auf die Fassaden war alles.

Zentrum dieser Stadtverschönerung war der vor dem Schloss gelegene Alte Markt. Die Auswahl der nachgebauten Architekturvorbilder war inhaltlich bedeutungsvoll. Für einfache Bürger wurden "Palläste in Mignatur" errichtet, die dem Vicenza und Verona der Renaissance-Epoche des Architekten Andrea Palladio entstammten. Es waren Stadthäuser von Mitgliedern der als politisches Ideal verklärten liberalen Adelsrepublik Venedig, wo keiner sich vor dem anderen zu stark herausheben sollte. Untertanen durften sich zu gleichrangigen Patriziern veredelt fühlen.

Auch das Potsdamer Rathaus erhielt eine Palladio-Fassade. Damit zeigte es seine Zugehörigkeit zur Welt der Bürger. Kombiniert ist das Italienzitat jedoch mit einem Kuppelaufsatz und einer Atlasskulptur, die dem Amsterdamer Rathausbau des 17. Jahrhunderts entstammten. Potsdam verwies damit auf das reichste und prächtigste Rathaus der Welt. Und bot zugleich den vielen nach Potsdam eingewanderten Holländern ein Identitätssymbol.

Die am Platz gelegene alte Nikolaikirche wurde mit einer neuen Fassade verkleidet. Friedrich ließ hier einen Bau aus dem zeitgenössischen Rom imitieren. Ferdinando Fuga hatte dort für den Papst die ehrwürdige frühchristliche Basilika Santa Maria Maggiore mit einer barocken Schaufront versehen. In Potsdam aber einen protestantischen Kirchenbau mit einer katholischen Papstfassade zu schmücken, dies muss vor dem Hintergrund der kirchenpolitischen Haltung des "roi philosophe" gesehen werden. Es ist ein Akt der Toleranz in einem Staat, der gerade erst mit Schlesien einen großen katholischen Bevölkerungsanteil hinzugewonnen hatte. Als Bekrönung zeigte die schon 1811 abgerissene Fassade über der gemalten Darstellung der "Religion" passend die Statue der "Toleranz".

Mit all diesen Bauten inszenierte Friedrich keine geometrische Place Royale nach französischem Vorbild. Vielmehr blieb der Potsdamer Alte Markt in Name wie Grundriss der unregelmäßige alte Markt. Geschichtlichkeit sollte so sichtbar, der Stadtwandel bemerkt werden. Der Unregelmäßigkeit des Grundrisses entsprach die Verschiedenheit der den Platz rahmenden individuellen Architekturkopien aus Renaissance und Barock. Eine neue urbanistische Ästhetik entstand. Gesucht waren malerische Effekte der Gruppierung von Verschiedenartigem, wie sie Friedrichs Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff in der komponierten Landschaftsmalerei studiert hatte und wie sie sich in England schon im neuen malerischen Landschaftsgarten fanden. Canaletto und Piranesi hatten es in ihren Veduten und Architekturvisionen italienischer Stadtbilder vorgemacht. Die zeitgenössischen Veduten des Alten Markts zeigen, wie mit dieser Ästhetik auch die Wahrnehmung des Potsdamer Ensembles gesteuert wurde.

Friedrichs Alter Markt bot kunstvollstes Komponieren. In der Mitte gab der vierkantige Obelisk Richtungen vor, in denen Gegenüberstehendes zu Äquivalenten gewichtet wurde, durch Ähnlichkeiten im Verschiedenen Harmonie entstand. Die Rathauskuppel antwortet der Kuppel des alten Fortunaportals an der Schlossfront. Beide Kuppeln sind von großen vergoldeten Skulpturen bekrönt. Am Rathaus stemmt Atlas die Last der Weltkugel, am Schloss tanzt die Glücksgöttin Fortuna leichtfüßig über der Kugel. So zeigte Friedrich, dass im Staat Lastentragen, Tugendmühen und glückliches Geschick zusammenkommen müssen.

Erst 1771/72 erhielt die Nikolaifassade ihr gegenüberstehendes Pendant. Als Abschluss der Platzrahmung entstand dort der Palast Barberini. Palast wie Kirche stellen im Mittelabschnitt der Fassade Säulenordnungen in Geschossen übereinander. Fünf säulendekorierte Achsen springen jeweils vor die Flucht symmetrischer, schlichter Seitenflanken von jeweils drei, vier Achsen Breite. Um diese Korrespondenzen zu erreichen, wurde bei dem Nachbau des barocken römischen Palazzo Barberini in Potsdam auf die in Rom vorspringenden Seitenflügel verzichtet.

Friedrichs Kulturleistung gründet auf Traditionsbildung, Kopie und Adaption

In den drei übereinanderstehenden Loggiengeschossen des Palasts Barberini verdichtet sich die Idee von Friedrichs Altem Markt. Als architektonische Logenränge symbolisieren sie wie ein gebautes Auge das Hinausschauen auf den Platz. Zugleich manifestiert sich in einzigartiger Dichte mit dem architektonischen Motiv der übereinander aufragenden Loggien die auf Traditionsbildung, Kopie und Adaption gründende Kulturleistung Friedrichs: Einst hatten die Römer die drei Säulenordnungen dorisch, ionisch und korinthisch von den Griechen übernommen und in Rom am Kolosseum als Abfolge übereinandergestellt. Von hier übernahm in der Renaissance Donato Bramante das Motiv für die Fassade des vatikanischen Papstpalastes. Von dort griff es der römische Hochbarock auf, für den Palazzo Barberini als Wohnsitz einer Papstfamilie. Weiter wanderte das Motiv nach Potsdam in den Palast Barberini von Friedrichs neuem Rom. Und dort erlebt es jetzt im Zeichen des Bürgermäzens mit dem als Nachbau entstandenen Museum Barberini nochmals seine Auferstehung. Die Bildungstradition der Geschichte lebt fort!

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