Friedenspreis:Weckruf für den Westen

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Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani betete bei der Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Navid Kermani fordert in der Frankfurter Paulskirche mehr Kampfgeist in Syrien und gegen den IS.

Von Franziska Augstein

Seit 2009 wurde der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani mit neun Preisen bedacht, deren Zahl nun um den Friedenspreis des deutschen Buchhandels ergänzt worden ist. Wer da meint, das lasse auf eine gewisse gedankliche Behäbigkeit deutscher Jurys schließen, ja auf einen Automatismus, wie er sich bei chemischen Kettenreaktionen einstellt, der sollte bedenken, dass Kermani im selben Zeitraum acht Bücher veröffentlicht hat. Sein jüngstes heißt "Ungläubiges Staunen - Über das Christentum" und annonciert schon im Titel, was Kermani auszeichnet: Zum einen pflegt er einen poetologisch naivischen Zugang zu den Dingen, die ihn interessieren, und schreckt auch vor ehrlicher Naivität nicht zurück. Zum zweiten ist der Sohn persischer Eltern, der in Siegen aufwuchs, ein Freund des Abendlandes im guten Sinn des Wortes und ein Liebhaber des Morgenlandes, wie es sich darstellt in der Poesie des Koran und in der Exegese muslimischer Gelehrter vergangener Zeiten.

Kermanis zweifache Herkunft wird es sein, die ihm eine Idee eingab: Am Ende seiner Dankesrede in der Paulskirche bat er, das Publikum möge nicht klatschen, sondern für die Bewohner einer von der Terrororganisation IS drangsalierten Ortschaft beten. Mit der Andeutung eines Schmunzelns sagte er, so abwegig sei das ja in einer Kirche vielleicht nicht.

Die Laudatio des Literaturwissenschaftlers Norbert Miller war gekonnt vorgetragen, machte allerdings den Eindruck, als habe Miller sich dem Gegenstand seiner Rede - Navid Kermani und dessen Befassung mit der Mystik des Sufismus - bis zur intellektuellen Verschmelzung nahe gefühlt. Immerhin ein paar handfeste Dinge waren Millers Rede zu entnehmen, so hat er den Verleger Michel Krüger zitiert, der über Kermanis 1228 Seiten umfassenden Roman "Dein Name" von 2011 anerkennend gesagt habe, das sei "ein Knödel".

Hätte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Güte gehabt, die Reden des Laudators und des Preisträgers, wie es früher üblich war, vorzulegen, wäre es wohl möglich gewesen, die Qualität von Millers Vortrag umfänglicher zu ästimieren. Stattdessen erscheint nun im November ein Büchlein - "ca. 100 Seiten, 14,90 Euro" - mit den "Ansprachen aus Anlass der Verleihung".

Kermanis Dankesrede war frei von Geraune. Sie war fulminant. Sie war mutig. Sie spielte auf verschiedenen Ebenen. Er erzählte die Geschichte eines katholischen Klosters in Syrien und seiner Bewohner, die sich dem Islam so nahe gefühlt hätten, dass sie sogar den Ramadan einhielten. Er erzählte, dass ein Pater vor einigen Monaten vom IS gefangen genommen, dass sein Bild auf der Internetseite des IS zu sehen gewesen sei: das des Paters und anderer Christen, kahl geschoren, ausgemergelt. Kermani nimmt an, dass der Pater sich schuldig fühle: schuldig, weil er den Christen Mut zugesprochen hatte, sie seinetwegen nicht geflohen waren und so in die Hände des IS fielen. Und er erzählte, dass muslimische Nachbarn vor wenigen Tagen den katholischen Pater aus dem Gefängnis des IS befreit hätten, in einer Aktion, bei der ein jeder Helfer das eigene Leben aufs Spiel setzte.

Es quält ihn, dass Europa und die USA dem Krieg in Syrien nahezu tatenlos zusehen

Außerdem sprach Kermani über den Koran und fand scharfe Worte: Während seines Studiums habe er den Koran als ein poetisches Werk kennengelernt. Der Koran sei "Partitur eines Gesanges" mehr als ein Buch. Vorbei! Heute dürfe das in vielen muslimischen Ländern nicht mehr gesagt werden. Sein Lehrer in Ägypten sei deshalb von der Ehefrau zwangsweise geschieden worden. "Es gibt keine islamische Kultur mehr", sagte Kermani, "jedenfalls keine von Rang."

Das führt er auf den von Saudi-Arabien gepflegten Wahhabismus zurück, eine Form des Islam, die alles Fremde unterdrücke, demütige, zerstöre. Mit dem Geld des Öls hätten die Saudis den Wahhabismus weithin verbreitet. Der IS hängt dem Wahabbismus an. Wer es schrecklich finde, fuhr Kermani fort, dass der IS die jahrtausendealten Bauten von Palmyra sprenge, sollte sich klarmachen, dass in Saudi-Arabien "praktisch überhaupt keine Altertümer mehr stehen". Das Haus in Medina, in dem einst der Prophet Mohammed gewohnt habe, sei durch "ein öffentliches Klo" ersetzt worden. Neben der heiligen Kaba in Mekka befinde sich ein gigantisches Shopping-Center. Kermani wunderte sich - genauer gesagt: er ist entsetzt darüber -, dass Saudi-Arabien zu den besten Verbündeten des Westens zählt.

Manche Agenturen haben verbreitet, Kermani wünsche einen Krieg gegen den IS. In seiner Rede sagte er: "Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen?" Das tue er natürlich nicht. Ihn quält indes, dass der Westen dem Krieg in Syrien und dem Aufstieg des IS tatenlos zusehe. Diplomatische Mittel sollten eingesetzt werden, zur Not militärische Mittel. Kermani weiß vermutlich, dass Waffen, mit denen die USA "gemäßigte" (wie das im Westen genannt wird) islamistische Gegner des syrischen Präsidenten Assad unterstützen wollten, neulich prompt an den IS weitergegeben wurden. Er weiß, was die Dankesrede eines Friedenspreisträgers verlangt. Seine Rede war kein Aufruf zum Krieg. Sie war ein mit Inbrunst vorgetragener Weckruf.

In einem seiner ersten Bücher hat Kermani seinen deutschen Lesern nahegebracht, was der Sufismus ist: teils Mystik, teils Lebensfreude. Im Sufismus wird die Poesie des Koran lebendig: Der Koran wird sozusagen getanzt und gesungen. Vor allem in Asien, aber auch andernorts, werde diese Form des Islam noch gepflegt, sagte Kermani. Er hoffe, dass sie nicht zugrunde gehe.

© SZ vom 19.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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