Friedenspreis für Saul Friedländer:Raum der Fassungslosigkeit

Der israelische Historiker Saul Friedländer erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Der 74-Jährige habe "den zu Asche verbrannten Menschen Klage und Schrei gestattet, Gedächtnis und Namen geschenkt."

Der israelische Historiker Saul Friedländer wird in diesem Jahr mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Dem 74-jährigen Friedländer wird der mit 25.000 Euro dotierte Preis während der Frankfurter Buchmesse am 14. Oktober verliehen, wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels am Donnerstag in Berlin bekanntgab.

Friedenspreis für Saul Friedländer: Saul Friedländer.

Saul Friedländer.

(Foto: Foto: dpa)

Mit der Auszeichnung werde der "epische Erzähler der Geschichte der Shoah, der Verfolgung und der Vernichtung der Juden in der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft in Europa" geehrt, begründet der Stiftungsrat des Preises die Entscheidung.

Friedländer sei "einer der letzten miterlebenden und mitlebenden Historiographen des früh angekündigten, offen geplanten und mit maschineller Präzision ins Werk gesetzten Völkermordes", heißt es in der Begründung weiter. Er entziehe sich der in der Beschreibung von Geschichte angelegten Distanzierung und gebe jener Fassungslosigkeit Raum, welche die einzig mögliche Reaktion auf "ein noch immer unfassbares Verbrechen" sei.

Der Historiker habe "den zu Asche verbrannten Menschen Klage und Schrei gestattet, Gedächtnis und Namen geschenkt." Er habe den Ermordeten die ihnen geraubte Würde zurückgegeben, deren Anerkennung die Grundlage des Friedens unter den Menschen sei.

Friedländer wurde am 11. Oktober 1932 als Pavel Friedländer in Prag geboren. Die Familie emigrierte wegen ihrer jüdischen Wurzeln nach der Besetzung der Stadt durch Deutschland nach Frankreich. Nach dem Einmarsch der Deutschen überlebte der junge Friedländer dort als Internatsschüler und getaufter Katholik unter dem Namen Paul-Henri Ferland, während seine Eltern wahrscheinlich 1942 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wandte sich Friedländer unter dem Eindruck des Holocaust dem Judentum zu und wanderte 1948 in den neu gegründeten Staat Israel aus.

Seine akademische Laufbahn begann Friedländer in Genf, wo er am Institut für Internationale Studien von 1967 bis 1987 als Professor lehrte. Ab 1976 nahm er zudem den Ruf als Ordinarius für moderne europäische Geschichte an der Universität von Tel Aviv und ab 1987 einen Lehrstuhl für Geschichte an der University of California in Los Angeles an.

Als sein Opus Magnum gilt das zweibändige Werk "Das Dritte Reich und die Juden". Für seine wissenschaftliche und literarische Tätigkeit erhielt Friedländer zahlreiche Preise, darunter den Geschwister-Scholl-Preis und in diesem Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse. Der Historiker hat drei Kinder und vier Enkelkinder und lebt die meiste Zeit in Los Angeles.

Der Friedenspreis der Deutschen Buchhandels wird seit 1950 jährlich an Persönlichkeiten aus Literatur, Wissenschaft und Kunst vergeben, die "zur Verwirklichung des Friedensgedankens" beigetragen haben.

Geehrt wurden bisher unter anderen der Theologe, Philosoph und Missionsarzt Albert Schweitzer, die Schriftsteller Hermann Hesse, Max Frisch, Thornton Wilder und Astrid Lindgren sowie der erste deutsche Bundespräsident Theodor Heuss. Im folgenden die Preisträger ab 1990:

1990: Karl Dedecius, deutscher Herausgeber und Übersetzer

1991: György Konrád, ungarischer Schriftsteller und Soziologe

1992: Amos Oz, israelischer Schriftsteller

1993: Friedrich Schorlemmer, Theologe und Publizist

1994: Jorge Semprún, spanischer Schriftsteller

1995: Annemarie Schimmel, deutsche Orientalistin und Islamwissenschaftlerin

1996: Mario Vargas Llosa, peruanischer Schriftsteller

1997: Yasar Kemal, türkischer Schriftsteller

1998: Martin Walser, deutscher Schriftsteller

1999: Fritz Stern, deutscher Historiker

2000: Assia Djebar, algerische Schriftstellerin

2001: Jürgen Habermas, deutscher Philosoph und Soziologe

2002: Chinua Achebe, nigerianischer Schriftsteller

2003: Susan Sonntag, US-amerikanische Schriftstellerin und Kulturtheoretikerin

2004: Péter Esterházy, ungarischer Schriftsteller

2005: Orhan Pamuk, türkischer Schriftsteller

2006: Wolf Lepenies, Soziologe und früherer Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin

2007: Saul Friedländer, israelischer Historiker

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