Friedenspreis für Anselm Kiefer:Kühner als Greta Garbo

So menschenscheu ist der neue Träger des Friedenspreises gar nicht: Zur Feierstunde trat Anselm Kiefer sympathisch linkisch auf - und dazu ganz und gar uneitel.

B. Müller

Dass dieses Jahr in Anselm Kiefer zum ersten Mal ein bildender Künstler den Friedenspreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels erhielt, schien irgendwie allen Beteiligten besonderer Rechtfertigung bedürftig.

Friedenspreis für Anselm Kiefer: Anselm Kiefer, neuer Träger des Friedenspreises: Auseinandersetzung mit den Wunden der Geschichte.

Anselm Kiefer, neuer Träger des Friedenspreises: Auseinandersetzung mit den Wunden der Geschichte.

(Foto: Foto: Regina Schmeken)

Mit Büchern kann man dem Frieden unmittelbar nützen - aber mit Bildern? Die Rechtfertigung sah konsequenterweise so aus, dass man Anselm Kiefer für die Literatur eroberte.

Als einen lesenden Künstler, der um ein Haar Schriftsteller geworden wäre, würdigte ihn die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, und fügte hinzu, das Bild sei ihm nicht Selbstzweck - für einen Künstler ein eher zweideutiges Lob.

Der Verleger Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins, erkannte in Kiefer, der dem materialen Aspekt des Buchs in seinem Werk solchen Respekt zollte, den natürlichen Verbündeten im Kampf gegen die jüngsten ökonomischen Verwerfungen, die dem Buchmarkt drohen - gegen die neuen Möglichkeiten zur elektronischen Produktpiraterie.

Der Laudator Werner Spies ging ins Grundsätzliche; und auch er tat es, indem er die Brücke vom bildenden zum literarischen Kunstwerk schlug.

Statistin der Verdrängung

Überrascht, doch angeregt wohnte man der Hinrichtung der klassischen Moderne bei, die Spies vortrug: Ihre arrogante Geringschätzung der literarischen, erzählenden Malerei habe sie unfähig gemacht, angemessen auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu reagieren; und so sei ihr spätestens seit den fünfziger Jahren nur noch eine höchst läppische Nebenrolle geblieben, als eine Art Statistin der Verdrängung.

Auf einmal rückten die Begriffe Wort, Bild, Buch, Geschichte, Mythos ganz eng zusammen, um Front zu machen gegen die Abstraktion.

Spies widerrief in aller Form den Tadel, den er einst gegen Anselm Kiefer geäußert hatte, es gebe da eine "Überdosis an Teutschem". Nur an einer solchen Überdosis, der Eindruck stellte sich ein, konnte die Kunst von der Krise der Themenlosigkeit genesen und ihre Erneuerung in der historischen Konkretion finden. Da könnte was dran sein, vor allem wenn man bedenkt, wie viele der gegenwärtig weltweit geschätztesten Künstler Deutsche sind und was sie malen.

Am meisten war man natürlich gespannt, was Anselm Kiefer, der inzwischen schon von so vielen anderen in Anspruch genommen worden war, selbst zu sagen hatte.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Kiefer als würdiger Preisträger in Erscheinung trat.

Kühner als Greta Garbo

Als menschenscheu wie Greta Garbo hatte Spies, die New Yorker Kunstkritik zitierend, ihn geschildert, zur Erheiterung des Publikums in Frankfurt.

Doch überwand Kiefer diese Scheu jedenfalls und trat, auf sympathische Weise ein wenig linkisch, mit großem Ernst auf, ganz und gar uneitel. Bemüht, seinem Text ebenso wie dem zuhörenden Publikum treu zu bleiben, schoss sein Gesicht zwischen Saal und Blatt auf und nieder.

Er hielt, was man eine gute schlechte Rede nennen möchte. Von einer solchen hat man auf alle Fälle mehr als von einer schlechten guten. Der Literatur erwies er hohe Achtung; höhere teilweise, als seine ausgedehnten lyrischen Zitate von Celan und Bachmann sie verdienten.

Es schien hier eine merkwürdige Zeitverschiebung zugange: In jener Epoche, da im Sinne von Spies der eskapistische Flachsinn des abstrakten Expressionismus triumphiert und im schuldbeladenen Deutschland nur allzugern aufgegriffen wird, entsteht zugleich eine Literatur, die sich die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit keineswegs erspart.

Bilder, die einander bedrängen

Sie wirkt auf den jungen Kiefer und tritt damit in ihre Latenzphase ein. Mit Kiefers reifem und anerkanntem Werk verwandelt sie sich, während schon keiner mehr die ollen Kamellen lesen mag, auf einmal und verschwistert sich symbiotisch mit der Kunst; nachträglich erweist sie sich als das wahrhaft Zeitgenössische, während das vormals Moderne oder Modische dahinwelkt.

Das allerdings musste man schon selbst heraushören, denn Kiefer lag alle Polemik und Ranküne völlig fern. Seiner Rede zu folgen, die sehr vieles einschloss, war nicht immer ganz leicht; und doch entstand in Bildern, die einander bedrängten, ein mächtiger Entwurf jenes idealistischen Materialismus, der sein Werk trägt und grundiert.

Wofür er den Preis (dotiert mit 25.000 Euro) jetzt aber genau gewonnen hat, darüber konnte man auch am Ende im Zweifel bleiben. Natürlich zuerst einmal deswegen, weil sein Gesamtwerk die Auseinandersetzung mit den Wunden der Geschichte gesucht und damit deren Heilung gefördert hat.

Die Begründung der Jury hielt aber auch fest, dass er, weil bei ihm so oft Bücher vorkommen, die Form des Buchs als "Ausdrucksträger" verteidigt und des weiteren entscheidend dazu beigetragen habe, die "unverbindliche Ungegenständlichkeit" der zeitgenössischen Kunst zu überwinden.

Das sind drei Fliegen mit einer Klappe, mithin möglicherweise zwei zu viel. Als würdiger Preisträger ist Anselm Kiefer am Sonntag in der Paulskirche dennoch in Erscheinung getreten.

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