Friedenspreis:Die Verameisung der Welt

Margret Atwood

Die Gäste in der Frankfurter Paulskirche waren hingerissen vom Auftritt der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood.

(Foto: Regina Schmeken)

Margaret Atwood erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche.

Von Franziska Augstein

Margaret Atwoods Lächeln begeistert das Publikum in der Frankfurter Paulskirche, bevor sie auch nur ein Wort gesagt hat. Es ist bezaubernd-spitzbübisch und leicht amüsiert, es kündet von souveräner Bescheidenheit und ist zugewandt. Die Gesellschaft im Festsaal ist hingerissen: Vorderbänkler und wer noch eben in den Festsaal geschlüpft ist, Linke und Rechte, der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann, die Kulturstaatsministerin Monika Grütters, der Ministerpräsident Armin Laschet - alle. Das Lächeln der Margaret Atwood stiftet Einigkeit. Ganz umstandslos ist damit die Frage geklärt, ob die Kanadierin eine passende Wahl für den Friedenspreis sei und ob man, wenn man schon nach Trump-Gegnern suchte, nicht besser einen aus der Heimat des US-Präsidenten hätte benennen sollen.

In ihrer Laudatio macht Eva Menasse ihrem Beruf als Schriftstellerin Ehre. Klug räumt sie das Vorurteil aus dem Weg, Atwood sei vor allem als feministische Autorin zu würdigen: Viel eher sei jede Form des Totalitarismus ihr Thema, nur dass anmaßende Menschenverachtung Frauen in aller Regel zuerst treffe. Das rein Weibliche an Atwoods Literatur beschränke sich darauf, dass es nur sehr wenigen gelinge, "auf dem Gebiet der Literatur als Frau ein Weltstar zu werden". Und, fügt Menasse an, "wir alle wissen, dass es nicht an den Frauen liegt". Da gibt es herzhaften Applaus, den allerdings manch eine Frau im Saal als ein kleines bisschen heuchlerisch auffassen dürfte. Margaret Atwoods Dankesrede zeugt von ihrer großen Gabe, gleichzeitig komisch und bewegend, ironisch und ernsthaft zu schreiben. Ihre erste schriftstellerische Karriere endete, als sie sieben Jahre alt war: "Die Heldin war eine Ameise, und sie saß auf einem Floß und ließ sich einem Abenteuer entgegentreiben, das nie konkrete Formen annahm." Auch sei ein Insekt als Heldin eher ungeeignet - "wobei das ein Problem ist, das Kafka recht gut in den Griff bekam". Da lacht das Publikum. Später wollte sie Botanikerin werden: "Pflanzen waren stumm und leicht zu beobachten, und anders als Frösche bluteten sie nicht beim Sezieren." Aber auch daraus wurde nichts. Anderenfalls "wäre ich in diesem Moment damit beschäftigt, fluoreszierende Kartoffeln für Sie zu klonen". Abermals lacht das Publikum.

Ameisen wissen, was sie wollen: "Es wird keine Menschen geben, nur Sandwiches und Kekse."

Ihre berühmte utopische Dystopie "Der Report der Magd" schrieb sie - Orwell lässt grüßen - 1984 in West-Berlin. Von dort aus bereiste sie östliche Länder, in denen sie erlebte, wie ein Gespräch plötzlich abbrach, wie sie selbst begann, zu überlegen, was sie sagen dürfe. In ihrem Roman, in dem sie ausmalt, was eines Tages Schreckliches geschehen könnte, findet sich das wieder. Seit Ende 2016 ist der Roman in den USA ein Renner. Einmal hat sie sich keck die Einzige genannt, die davon profitiere, dass Trump Präsident wurde.

"Jedes Land", sagt Atwood, "hat, wie jeder Mensch, ein nobles Ich - das Ich, für das es sich gern halten würde (...) und dann hat es ein verborgenes, viel weniger tugendhaftes Ich, das in Augenblicken der Bedrohung und Wut hervorbrechen und unsägliche Dinge tun kann."

Das habe sich in kleiner Form bei Wahlen in Großbritannien und Deutschland gezeigt, ganz schlimm aber in den USA und den Gesetzesinitiativen der Trump-Regierung. Der Tochter eines Entomologen stehen Insekten immer noch nahe. In ihrer Rede hat die Ameise wieder einmal einen Auftritt: "Beauftragt man die Ameisen, das Picknick auszurichten, werden die Ameisen das Picknick nach ihrem Geschmack umgestalten. Es wird keine Menschen geben, nur Sandwiches und Kekse." Die Ameisen, sagt sie, wüssten, was sie wollen. Die Menschen müssten sich genau das auch fragen. Sie spricht von der Zerstörung der Weltmeere und vom Klima, von Ungleichheit, Kriegen und Flucht. Das Publikum lacht nun nicht mehr. Um es nicht in Furcht und Hoffnungslosigkeit zu entlassen, preist Margaret Atwood jetzt die Kraft des Buches.

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